Alle Jahre wieder – Betriebsratswahl und Kündigungsschutz

Sonderkündigungsschutz

Im Jahr 2026 stehen die turnusmäßigen Betriebsratswahlen an. Ihre ordnungsgemäße Durchführung ist für viele Unternehmen ein wiederkehrendes Thema – und gesetzlich vielfach abgesichert. Zuletzt hatte der Gesetzgeber 2021 den Paragraf 15 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) um einen Absatz 3b erweitert, um schon Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats zu schützen.

Danach ist eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers unzulässig, „der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats … unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat … zu errichten, …“, es sei denn, der Arbeitgeber ist zu einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt.

 

Der Kündigungsschutz gilt von der Abgabe einer solchen Erklärung bis zur Einladung zu einer Betriebs- oder Wahlversammlung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, längstens für drei Monate. Das Ziel des Gesetzes: Arbeitnehmer sollen sich trauen, Mitbestimmung anzustoßen – ohne Angst vor Konsequenzen. Um genau solch einen Fall ging es vorliegend.

Kündigung nach Betriebsratsinitiative

Der Kläger war ab 7. März 2024 als Sicherheitsmitarbeiter bei der beklagten Arbeitgeberin tätig, befristet bis zum 31. März 2025. Eine Probezeit von sechs Monaten war im Arbeitsvertrag vereinbart, zeitlich identisch mit der sechsmonatigen Wartezeit von Paragraf 1 Absatz 1 KSchG. Sechs Tage nach Beschäftigungsbeginn gab der Kläger eine „Erklärung gemäß Paragraf 15 Absatz b KSchG“ ab, wonach er die Errichtung eines Betriebsrats im Sinne des Paragraf 15 Absatz 3b KSchG im Betrieb der Beklagten beabsichtige.

Die Echtheit der Unterschrift unter der Erklärung war am 13. März 2024 notariell beglaubigt. Am 20. März 2024 erkundigte sich der Kläger per E-Mail bei der Beklagten nach der Existenz eines Betriebsrats; sollte kein Betriebsrat existieren, beabsichtige er dessen Gründung. Er wolle zu einer Betriebsversammlung und zur Wahl eines Wahlvorstands einladen und erbat dazu die Übersendung eines Verzeichnisses aller nichtleitenden Arbeitnehmerinnen der Beklagten. Mit Schreiben vom 21. März 2024 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 28. März 2024.

Dagegen erhob der Kläger am 9. April 2024 Kündigungsschutzklage. Im Rechtsstreit trug der Kläger erst am 15. Oktober 2024 zur Existenz seiner „Erklärung gemäß § 15 Abs. 3 BGB Kündigungsschutzgesetz“ vor. Mit Schriftsatz vom 8. November 2024 vertrat er die Auffassung, die Kündigung verstoße gegen das gesetzliche Verbot der Behinderung einer Betriebsratswahl gemäß Paragraf 20 Absatz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), gegen das Maßregelungsverbot im Sinne von Paragraf 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und scheitere am besonderen Kündigungsschutz für Initiatoren einer Betriebsratswahl im Sinne des Paragrafen 15 Absatz 3b KSchG.

Arbeitgeber: Kündigung in der Probezeit ist rechtmäßig

Dem hielt die Beklagte entgegen, es handele sich um eine klassische Probezeitkündigung. Als Sicherheitsmitarbeiter habe der Kläger sich als ungeeignet erwiesen, weil er den subjektiven Anforderungen der Beklagten nicht gerecht geworden sei. Trotz Hinweises sei er wiederholt ungepflegt gewesen und habe wiederholt und deutlich sichtbar am Empfang des jeweiligen Kunden der Beklagten die Tageszeitung gelesen.

Paragraf 15 Absatz 3 KSchG sei in der sechsmonatigen Wartezeit des Paragraf 1 Absatz 1 KSchG nicht anwendbar. Außerdem sei ihm dieser Sonderkündigungsschutz verwehrt, weil er sich nicht unmittelbar – spätestens 2 Wochen – nach Zugang der Kündigung darauf berufen habe. Indem sich der Kläger erst kurz vor dem Kammertermin auf den Sonderkündigungsschutz berufen habe, habe er treuwidrig verhindert, dass die Beklagte innerhalb der Wartezeit habe nachkündigen können. Überdies sei der Sonderkündigungsschutz wegen Rechtsmissbrauchs zu versagen. Dass der Kläger schon im ersten Monat des Arbeitsverhältnisses die Vorbereitungshandlung und die Absichtserklärung vorgenommen habe, deute darauf hin, dass es ihm nur um den Sonderkündigungsschutz und nicht um die Gründung eines Betriebsrats gegangen sei.

Beim Arbeitsgericht (ArbG) München war die Klage erfolgreich. Das Gericht war der Auffassung, dass Paragraf 15 Absatz 3b KSchG keine Wartezeit vorsieht. Auch sonst beinhalte die Vorschrift keine Fristen, sodass weder das frühe Handeln des Klägers noch die späte Geltendmachung im Rechtsstreit einen Rechtsmissbrauch begründe. Es sei Ziel des Gesetzes, Gründung und Wahl von Betriebsräten zu fördern und zu erleichtern, zugleich Behinderungsfälle zu reduzieren. Eine Einschränkung durch Verlangen einer Frist erscheine gesetzgeberisch nicht gewollt.

LAG München weist Klage ab

Demgegenüber hat das Landesarbeitsgericht (LAG) München mit Urteil vom 20. August 2025 (10 SLa 2/25) die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Der besondere Kündigungsschutz des Paragrafen 15 Absatz 3b KSchG greife in der Wartezeit von Paragraf 1 Absatz 1 KSchG noch nicht ein. Damit stellte das LAG klar, dass der Schutz erst nach sechs Monaten greift – also dann, wenn das KSchG insgesamt anwendbar ist.

Zwar enthalte der Wortlaut keine zeitliche Beschränkung, doch sie knüpfe ersichtlich an die Terminologie von Paragraf 1 Absatz 2 S. 1 KSchG an, wonach personen- oder verhaltensbedingte Kündigungen sozial ungerechtfertigt seien. Dies zeige, dass nur Kündigungen aus diesen Gründen ausgeschlossen sein sollten. Im Vergleich dazu schlössen die anderen Absätze des Paragraf 15 KSchG ordentliche Kündigungen generell aus. Folglich habe der Gesetzgeber für die sogenannten Vorfeldinitiatoren die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung nicht generell ausschließen wollen.

Da für Kündigungen in der Wartezeit keine Kündigungsgründe vorliegen müssen, könne dies nur zum Ergebnis der Nichtanwendbarkeit von Paragraf 15 Absatz 3b KSchG in der Wartezeit führen. Außerdem würde ein anderes Verständnis dazu führen, dass der Zweck der Wartezeit, nämlich das „Kennenlernen“ des Arbeitnehmers und dessen Erprobung in ungerechtfertigter Weise erheblich eingeschränkt, wenn nicht gar völlig unmöglich gemacht würde.

Ein Arbeitnehmer könne dann unabhängig davon, ob er ein tatsächliches Interesse an der Errichtung eines Betriebsrats habe, dem Arbeitgeber die Trennung in der Wartezeit unmöglich machen. Umgekehrt sei es keine unzumutbare Einschränkung, wenn Arbeitnehmer mit echtem Interesse an der Errichtung eines Betriebsrates mit ihrer Initiative bis nach Ablauf der Wartezeit warten, zumal es in der Regel einige Wochen dauere, bis ein neuer Arbeitnehmer so weit im Betrieb integriert sei, dass er Interessen der Belegschaft kenne und Mitstreiter suchen und finden könne.

Begründung im Detail

Im Übrigen habe der Kläger einen etwaigen Sonderkündigungsschutz nach Paragraf15 Absatz 3b KSchG verwirkt, weil er die Beklagte nicht innerhalb von 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung, jedenfalls nicht innerhalb von drei Monaten nach Abgabe seiner Absichtserklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen des Paragraf 15 Absatz 3b KSchG informiert habe.  Nach der Rechtsprechung des BAG zum Sonderkündigungsschutz von Schwerbehinderten (2 AZR 700/15) müsse ein Schwerbehinderter sich im Kündigungsfall binnen angemessener Frist auf seinen bis dahin unbekannten Sonderkündigungsschutz berufen, wofür als Maßstab die 3-Wochen-Frist des Paragraf 4 KSchG heranzuziehen sei.

Dies sei auf die vorliegende Lage zu übertragen, sie sei vergleichbar. Der Sonderkündigungsschutz nach Paragraf 15 Absatz 3b KSchG sei auf drei Monate befristet. Einen darüberhinausgehenden Schutz könne ein Arbeitnehmer nur erlangen, wenn er weitere Vorbereitungshandlungen oder Schritte zur Betriebsratswahl einleite.

Dann aber schließe sich bereits der Sonderkündigungsschutz aus Paragraf 15 Absatz 3a KSchG an. Daher sei für Vorfeldinitiatoren eine Mitteilungsobliegenheit nach Ausspruch einer Kündigung zu bejahen. Insoweit sei – analog zum BAG zur entsprechenden Obliegenheit bei Schwerbehinderten – ein Zeitraum von drei Wochen nach Zugang der Kündigung anzusetzen. Dies sei ein angemessener Ausgleich der wechselseitigen Positionen.

Sonderkündigungsschutz verwirkt

Selbst wenn man dem nicht folge, habe der Kläger einen etwaigen Sonderkündigungsschutz verwirkt. Er sei in dem Zeitraum, in dem Paragraf 15 Absatz 3b KSchG längstens Schutz gewährt, nämlich drei Monate, untätig geblieben. Zwar habe er betriebsintern auf seine Gründungsabsicht hingewiesen, aber die zweite Voraussetzung des Paragraf 15 Absatz 3b KSchG, nämlich das Vorliegen der Absichtserklärung, nicht bekannt gegeben. Die Beklagte habe daher nicht davon ausgehen müssen, dass der Kläger ein Recht nach Paragraf 15 Absatz 3b KSchG in Anspruch nehmen werde.

Die Kündigung scheitere auch nicht an Paragraf 20 Absatz 1 BetrVG. Die Vorschrift erfasse nur Kündigungen, die anlässlich einer Betätigung für die Betriebsratswahl oder im Zusammenhang mit ihr gerade deswegen ausgesprochen wird, um die Wahl dieses Arbeitnehmers oder um den Einsatz eines Arbeitnehmers bei der Betriebsratswahl zu maßregeln. Insoweit lägen keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, der Kläger behaupte selbst nicht, dass die Beklagte seine Wahl in den Betriebsrat habe verhindern wollen.

Ebenso wenig liege ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach Paragraf 612a BGB vor. Das sei nur dann der Fall, wenn das von einem Arbeitnehmer ausgeübte Recht tragender Beweggrund, das Wesentliche Motiv für die Kündigung gewesen sei. Die Beklagte habe durchgehend vorgetragen, den Eindruck gewonnen zu haben, dass der Kläger als Sicherheitsmitarbeiter nicht geeignet sei. Er sei ungepflegt gewesen. Das sei eine subjektive Einschätzung, die sich in der jeweiligen Wahrnehmung unterscheiden könne. Gleiches gelte für die Frage, ob Zeitunglesen für einen Kunden deutlich sichtbar sei oder nicht.


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Schließlich sei es mit Treu und Glauben nach Paragraf 242 BGB unvereinbar, eine redlich erworbene oder eine formale Rechtsposition im Widerspruch zu den zugrundeliegenden vertraglichen Beziehungen auszunutzen. Letztlich gehe die Kammer davon aus, dass der Kläger nur deshalb eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgegeben und die Beklagte über seine Gründungsabsicht für einen Betriebsrat informiert habe, um eine Kündigung in der Wartezeit zu verhindern oder eine für ihn lukrative Beendigungslösung zu erreichen.

Lehren aus dem Fall

Das Urteil überzeugt in vollem Umfang. Deutlich tiefer gehend als das Arbeitsgericht hat das LAG sein Ergebnis allumfassend begründet. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Fragen zu Paragraf 15 Absatz 3b KSchG hat das LAG für den Kläger die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, die er auch eingelegt hat (2 AZR 192/25). Möglicherweise wird das BAG allerdings gar nicht bis zu den Paragraf 15 Abs. 3b KSchG betreffenden Fragen vordringen.

Die Entscheidung des LAG, warum ein – unterstellter – Schutz nach dieser Vorschrift jedenfalls im vorliegenden Fall aus Gründen des Verhaltens des Klägers verwirkt sei, erscheint sehr überzeugend, so dass die eigentliche Frage der Anwendbarkeit des Paragraf 15 Absatz 3b KSchG gar nicht entscheidungserheblich wäre. Das könnte es dem BAG ersparen, zu den eigentlichen Kernfragen Stellung zu nehmen. Der Entscheidung kann man also gespannt entgegensehen.

Einstweilen kann Arbeitgebern, die in eine vergleichbare Situation geraten, nur empfohlen werden, sich jeglicher, auch nur andeutungsweiser Hinweise in Bezug auf die formal oder tatsächlich beabsichtigte Betriebsratswahl zu enthalten und sich ganz strikt auf aus ihrer Sicht bestehende Defizite eines neuen Mitarbeitenden zu stützen, wenn sie sich für eine Kündigung im Rahmen der Probe- beziehungsweise Wartezeit entscheiden. Für Beschäftigte wiederum zeigt das Urteil: Eine Betriebsratsinitiative will gut vorbereitet sein – der Schutz greift weder pro forma noch automatisch von Tag eins an.

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Axel J Klasen, Foto: Privat

Axel J. Klasen

Axel J. Klasen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GvW Graf von Westphalen.

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