Environmental Social Governance im Arbeitsrecht

Arbeitsrecht

Nachhaltigkeit und Arbeitsrecht – vor nicht allzu langer Zeit wäre man für diese Begriffskombination belächelt worden. Doch die Zeiten ändern sich. Der Begriff „Green HRM“ ist schon länger präsent. Auch in das Arbeitsrecht strahlt die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit aus. Unter der Abkürzung „ESG“ gelangt Environmental Social Governance als Thema rund um Nachhaltigkeit und verantwortliche Unternehmensführung auch arbeitsrechtlich in den Fokus.

Manches erinnert an die Anfangszeiten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Auch dieses basierte auf europäischen Vorgaben und wurde bei Schaffung durchaus kritisch gesehen – und hinsichtlich seiner Tragweite unterschätzt. Jahre später sind Auseinandersetzungen rund um „AGG-Hopper“ – also Klagen, die systematisch Entschädigungen wegen Diskriminierung in Stellenanzeigen vor den Arbeitsgerichten bezwecken – längst im Mainstream angekommen. Auch die (vermeintliche) Altersdiskriminierung bei Sozialplänen oder Entgelttransparenz beschäftigt die Arbeitsrechtspraxis immer wieder. Vieles spricht dafür, dass das Thema Environmental Social Governance ebenfalls eine solche im Wortsinne nachhaltige Bedeutung im Arbeitsrecht erlangen wird.

Eine neue EU-Richtlinie als Aufhänger

Die Europäische Union erweist sich auch beim Thema Nachhaltigkeit als maßgeblicher Treiber. Für Arbeitgeber ist insoweit besonders die wohl im dritten Quartal 2022 in Kraft tretende Corporate Social Responsibility Directive von Bedeutung. Diese europäische Richtlinie sieht voraussichtlich ab dem Wirtschaftsjahr 2023 umfangreiche Berichtspflichten für mittlere und große Unternehmen aller Branchen vor. Große kapitalmarktorientierte Unternehmen – insbesondere börsennotierte Unternehmen, Banken und Versicherungen – müssen im Vergleich zur aktuellen Rechtslage dann deutlich detaillierter berichten. Ab 2026 werden derartige Berichte für alle kapitalmarktorientierten Unternehmen relevant, die zwei von drei Kriterien (ab zehn Beschäftigten, 350.000 EUR Bilanzsumme oder 700.000 EUR Umsatzerlös) erfüllen.

Neben dem Thema Umweltschutz sind vor allem die Berichtspflichten zum Thema sozialer Nachhaltigkeit für HR relevant. Berichte werden zukünftig insbesondere Angaben zur sozialen Verantwortung des Unternehmens und dem Umgang mit Beschäftigten, über Chancengleichheit (die Wahrung von Geschlechtergerechtigkeit und Lohngleichheit), Inklusion, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und die Schaffung eines gesunden und sicheren Arbeitsumfelds enthalten müssen. Offenzulegen sind ferner Informationen zu Arbeitsbedingungen, einschließlich Angaben zu Tarifverhandlungen und sozialem Dialog. Um nur ein Beispiel zu nennen: Unternehmen, die sich mit Gewerkschaftsforderungen konfrontiert sehen, werden hierzu künftig berichtspflichtig sein.

Die Berichtspflicht – ein zahnloser Tiger?

Nähere inhaltliche Vorgaben zu Sozialthemen – wie zu Beschäftigungsquoten – enthält die Corporate Social Responsibility Directive (noch) nicht; die erforderlichen technischen Vorgaben werden durch die EU-Sozialtaxonomie derzeit noch erarbeitet. Ihrer Bedeutung für die Arbeitswelt schon jetzt tut das jedoch keinen Abbruch. Denn die Berichtspflichten dienen insbesondere dazu, Investitionsentscheidungen auf eine europaweit vergleichbare Basis zu stellen. Es wird sich also eine Art Nachhaltigkeitsranking herausbilden, das als Grundlage für den Zugang zum Kapitalmarkt dienen wird.

Wer in seinen jährlichen Lageberichten Auskunft etwa über die Herstellung von Lohngerechtigkeit oder die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben geben muss, wird zumindest in einem ersten Schritt eine Bestandsaufnahme durchführen müssen. Hier können nicht länger nur beschönigende Darstellungen oder die Beschreibung wohlklingender, aber tatsächlich wirkungsloser Maßnahmen ausreichen. Unternehmen werden daher regelmäßig versuchen wollen, erkannte Missstände zu verbessern. Das nicht nur aus Eigeninteresse: Die Corporate Social Responsibility Directive sieht als Sanktionen unter anderem die öffentliche Anprangerung von Verstößen sowie (noch nicht näher konkretisiert) Geldbußen vor. Ob diese das abschreckende Niveau der Datenschutzgrundverordnung erreichen werden, bleibt abzuwarten.

Was (aufgrund der noch ausstehenden Umsetzung noch) fehlt, ist eine Regelung zur individuellen Durchsetzung bestimmter ESG-Pflichten. So hat die deutsche Gesetzgebung in Umsetzung der Antidiskriminierungsregelungen der Europäischen Union Schadensersatzansprüche von Betroffenen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vorgesehen. Ob die Ampelkoalition bei der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht über die Vorgaben hinausgeht und Sanktionen für Unternehmen vorsieht, bleibt abzuwarten.

ESG und Arbeitsrecht – vielfältige Bezüge

Losgelöst davon bilden die Berichtspflichten eine nicht zu unterschätzende Quelle für individualrechtliche Streitigkeiten. Beschäftigte, die individuelle Ansprüche aus einer Verletzung von Sozialstandards herleiten wollen – denkbar sind beispielsweise Verstöße gegen die Lohngerechtigkeit, unzureichende Inklusion oder ein vermeintlich unsicheres Arbeitsumfeld –, könnten sich auf die ESG-Berichte stützen. Unter Hinweis auf allgemeine Versäumnisse, die in den Berichten erkennbar werden könnten, ließen sich individuelle Klagen führen.

Bedeutung wird in diesem Kontext auch das ohnehin aktuelle Thema Whistleblowing gewinnen – das aktuell im Kontext der nur zögerlichen Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie durch die deutsche Gesetzgebung im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Für Unternehmen mit Nachholbedarf in Sachen ESG ist die Verlockung nach schöngefärbten Berichten groß. Weicht die Schilderung in den Lageberichten aber von der Wirklichkeit ab, könnten sich Eingeweihte zu einer internen oder öffentlichen Gegendarstellung veranlasst sehen. Die Frage, ob beziehungsweise wann Whistleblower und Hinweisgeberinnen bei der Kritik an vermeintlich unrichtiger Berichterstattung nach der Hinweisgeberrichtlinie geschützt sind, wird Compliance-Abteilungen künftig häufiger beschäftigen.

Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt daneben zum Beispiel bei der arbeitsrechtlichen Gestaltung von Arbeitgeberleistungen zunehmend an Gewicht. Hier stellt sich etwa die Frage nach der Anknüpfung variabler Vergütung an die Erreichung von ESG-Zielen (was in manchen Feldern schon regulatorisch unumgänglich sein wird). Gleiches gilt für eine Umstellung von Dienstwagenflotten auf grünere Fahrzeugpools (E-Autos statt großzügig motorisierten Kombis für die Vertriebsmannschaft?) oder danach, ob und inwieweit Unternehmen in ihren Reiserichtlinien Flugreisen begrenzen dürfen. Weitere Konflikte werden folgen – nicht nur, aber insbesondere, sobald es um Geld geht.

Große Bedeutung hat daneben das Thema Beschäftigtendatenschutz. Wer über Chancengleichheit berichten will, braucht zunächst belastbare Informationen, wie es um Diversity im Unternehmen steht. Doch eine derartige Datenerfassung unter dem im amerikanischen Raum weit verbreiteten Stichwort Diversity Monitoring wird bislang nach deutschem Datenschutzrecht in aller Regel als unzulässig bewertet. Diese juristische Bewertung wird anhand der Gesetze zur Umsetzung der Corporate Social Responsibility Directive zu überprüfen sein, je nachdem, welche Veröffentlichungspflichten Unternehmen zukünftig haben könnten.

Schließlich dürften auch kollektivarbeitsrechtliche Bezüge durch die neu vorhandenen Informationen beeinflusst werden. Streitigkeiten mit Betriebsräten und Gewerkschaften, die Einfluss auf die Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens nehmen wollen, aber auch Gestaltungsmöglichkeiten mit diesen Sozialpartnerschaften zur Umsetzung der aus der Corporate Social Responsibility Directive mittelbar resultierenden Pflichten werden zukünftig verstärkt auf der Agenda stehen. Beispiele sind: Schon jetzt werden von einzelnen Betriebsräten Forderungen nach großzügigen Mobile-Working-Regelungen auf die Vermeidung von Pendlerverkehr gestützt. Reorganisationen der Belegschaft werden im Hinblick auf Nachhaltigkeit infrage gestellt. Umgekehrt fordern Gremien bei der Einführung nachhaltiger Arbeitsmethoden Mitbestimmungsrechte ein. Ob dort eine betriebliche Mitbestimmung besteht beziehungsweise wie weit sie reicht, ist bislang weitgehend ungeklärt.

Fazit

Environmental Social Governance ist gekommen, um zu bleiben. Das gilt auch insbesondere im Arbeitsrecht. HR und Arbeitsrecht sollten ihre Aufgabe – vor allem im Hinblick auf die soziale Komponente des Begriffs – zügig annehmen. Sonst werden sie getrieben von Belegschaft und Betriebsrat, die sich die neuen Instrumente zunutze machen. Die Einhaltung von Sozialstandards wird aufgrund der künftigen Berichtspflicht daneben zusätzliche Aufmerksamkeit auf Managementebene erhalten. Das ist einerseits zu begrüßen. Andererseits geraten HR und Arbeitsrecht dadurch auf dieser Ebene zusätzlich in den Fokus – genau das will die Richtlinie zur Corporate Social Responsibility Directive gewiss erreichen. Eine Vernachlässigung des Themenkomplexes Environmental Social Governance wird sich die Arbeitsrechtspraxis daher nicht erlauben können.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Risiko. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Till Heimann, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Kliemt.Arbeitsrecht

Till Heimann

Till Heimann ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Kliemt.Arbeitsrecht in Frankfurt am Main. Er berät Arbeitgeber unter anderem zu Nachhaltigkeitsaspekten, insbesondere im Zusammenhang mit HR-Compliance sowie regulierter Vergütung in Finanzinstituten.

Christoph Seidler

Osborne Clarke
Christoph Seidler ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Osborne Clarke in Hamburg. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in betriebsverfassungs-rechtlichen Fragen, insbesondere im Kontext von New Work und Arbeitsrecht 4.0.

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