Globalisierung, Internationalisierung, Digitalisierung: In vielen Unternehmen hat man sich aufgrund der zunehmenden Komplexität zu einem Arbeiten in Matrixstrukturen entschieden. Die tägliche Personalpraxis sieht sich hierdurch vor zahlreiche arbeitsrechtliche Herausforderungen gestellt.
Arbeiten in klassischen Hierarchien ist vielfach „von gestern“. Doch auch die wohl bekannteste Erscheinung moderner Organisation, die sogenannte Matrixstruktur, ist streng genommen nicht „von heute“. Erstmals aufgekommen in den USA in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, erlebt sie derzeit eine Hochphase. Hintergrund ist die fortschreitende Globalisierung im Zusammenspiel mit den Möglichkeiten der Virtualisierung und Digitalisierung gerade bei der Organisation von Arbeit. Arbeitsrechtlich wirft das Arbeiten in Matrixstrukturen einige Fragen auf, derer man sich bewusst sein sollte, zumal sich gerade erst in jüngster Zeit verschiedene Arbeitsgerichte mit ihr befassen mussten.
Eine gesetzliche Definition der Matrixstruktur gibt es nicht. Ihren verschiedenen Erscheinungsformen gemein ist aber eines: Arbeitsorganisation bildet nicht mehr die gesellschaftsrechtliche Struktur ab, sondern legt sich wie ein virtueller Mantel über diese. Die Matrix orientiert sich allein an operativen Gesichtspunkten. Unternehmens- und Ländergrenzen sind irrelevant. Unternehmensleitungen und die Zuordnung von Aufgaben und Funktionen werden in einem Mehrliniensystem strukturiert und dabei die Arbeitsorganisationen länder- und gesellschaftsübergreifend nach zwei Dimensionen gegliedert, typischerweise nach Funktionsbereichen (Produktion, Einkauf, Vertrieb) einerseits und Produktbereichen (Ländermärkte, Produkte, Kunden) andererseits. Die Vorteile liegen auf der Hand: Effizienzgewinne durch Dezentralisierung bei gleichzeitiger Fokussierung und höherer Flexibilität in der übergreifenden Führung. Ein wichtiger Gesichtspunkt, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, für den weltweit agierenden Konzern mit mehreren Geschäftsbereichen ebenso wie für den Mittelständler mit einigen Auslandsstandorten.
Disziplinarische und fachliche Führung
Ein Praxisbeispiel
Arbeitsrechtlich bedeutet die Matrixstruktur vor allem das Auseinanderfallen von fachlichem und disziplinarischem Vorgesetzten, zumeist mit zwei gleichzeitigen Weisungsbeziehungen. Die dazu notwendige Übertragung des fachlichen Weisungsrechts auf (externe) Dritte (Matrixmanager) ist ohne Zustimmung des Arbeitnehmers möglich. Ein Beispiel: Mitarbeiter A ist bei Unternehmen B (dem Vertragsarbeitgeber) in Deutschland angestellt. B ist Teil eines internationalen Konzerns, der sich in einer Matrixstruktur organisiert hat. A ist als Controller Teil des EMEA Automotive Teams. Sein fachlicher Vorgesetzter D (Matrixmanager), der Head of EMEA Automotive, ist bei der Muttergesellschaft C in London angestellt. Die Teamkollegen stammen aus den Ländern der EMEA Region und sind bei dortigen Landesgesellschaften angestellt. Berichtsbeziehungen bestehen zu D ebenso wie zum Leiter Controlling bei B. Man arbeitet im EMEA Team vorwiegend virtuell zusammen und trifft sich gelegentlich persönlich, zum Beispiel auf Meetings im Ausland. Der Vertragsarbeitgeber B gerät in Vergessenheit.
Kündigung in der Matrix
Der Vertragsarbeitgeber ist aber nicht irrelevant. So kann etwa die Kündigungsbefugnis nicht auf den Matrixmanager übertragen werden, sofern dieser einer anderen Gesellschaft angehört. Ist eine Unterzeichnung der Kündigung durch den Arbeitgeber oder dessen gesetzlichen Vertreter nicht möglich, so ist der Kündigung eine Original-Vollmacht beizufügen, um ihre Zurückweisung (§ 174 BGB) durch den Arbeitnehmer zu vermeiden.
Bei einer fristlosen Kündigung ist in der Matrix besonders auf die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist (§ 626 Abs. 2 BGB) zu achten. Hier können Probleme entstehen, wenn der Matrixmanager Pflichtverletzungen erst sehr spät an den Vertragsarbeitgeber meldet. Durch klare Vorgaben zur Kommunikation lässt sich dies vermeiden.
Betriebsbedingte Kündigungen
Sind betriebsbedingte Kündigungen notwendig, ist gegebenenfalls eine betriebsbezogene Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) durchzuführen. Müssen in Matrixorganisationen Mitarbeiter aus gesellschafts- oder länderübergreifend gebildeten Teams in diese einbezogen werden? In der Regel nicht, insbesondere nicht die im Ausland Beschäftigten. Führt die Matrix aber zu einem Gemeinschaftsbetrieb der hieran beteiligten inländischen Unternehmen, kann sich der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer matrixbedingt schnell vergrößern.
Hinsichtlich etwaiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gilt auch in der Matrix: Freie und zumutbare Arbeitsplätze im Ausland beziehungsweise bei einer anderen (Konzern-)Gesellschaft müssen nach deutschem Kündigungsrecht nicht angeboten werden. Im Einzelfall ist jedoch Vorsicht geboten. Eine Weiterbeschäftigungspflicht kann sich – selten, aber nicht ausgeschlossen – aus einer sogenannten Konzernversetzungsklausel im Arbeitsvertrag ergeben. Außerdem hat das Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 24.9.2015 – 2 AZR 3/14) die Notwendigkeit zur Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Ausland, zum Beispiel bei einem Betriebsübergang, nicht kategorisch ausgeschlossen.
Erhöhte Anforderungen an die Kommunikation
Betriebsverfassungsrecht
Weitere Fragen werfen Matrixstrukturen in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht auf. Wo bleibt der Betrieb? Welches Betriebsratsgremium ist zuständig? Geprüft werden muss ferner, welche Mitbestimmungsrechte in Betracht kommen und wie mit diesen, vor allem bei den Klassikern Kündigung und Versetzung, umzugehen ist. Ein Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes erfordert das Vorliegen eines „einheitlichen Leitungsapparates“. Matrixstrukturen kennzeichnen sich durch eine Überlagerung von Kompetenzen. An einer einheitlichen Leitungsebene wird es aber vielfach fehlen. Gibt es in der Matrix also keinen Betrieb mehr? Davon geht die Rechtsprechung nicht aus und behilft sich mit der Formel, dass ein „Mindestmaß an Organisation“ für die Annahme eines Betriebs genügt. Insbesondere die Ansiedlung der Führung im Ausland – wie bei Matrixstrukturen häufig – steht der Annahme eines Betriebes in Deutschland nicht entgegen.
Zuständig bleibt auch in der Matrix grundsätzlich der örtliche Betriebsrat. Einen Automatismus „Matrix heißt Zuständigkeit des Konzern- oder Gesamtbetriebsrats“ gibt es nicht. Es muss im Einzelfall geprüft werden, ob Maßnahmen beispielsweise unternehmensübergreifend wirken und deswegen zwingend auf Konzernebene geregelt werden müssen.
Nicht gleichbedeutend mit dem Betrieb
Betriebsratsanhörung
Selbstverständlich muss auch in der Matrix der Betriebsrat vor einer Kündigung angehört werden (§ 102 BetrVG). Aber welcher? Der Arbeitnehmer kann mitunter derart intensiv in der Matrixstruktur arbeiten, dass er zugleich in mehrere Betriebe seines Vertragsarbeitgebers eingegliedert wird. Nach der Rechtsprechung ist eine solche doppelte Betriebszugehörigkeit nicht ausgeschlossen. In diesen Fällen kann es zur Risikominimierung zweckmäßig sein, vorsorglich alle in Betracht kommenden Betriebsräte zu beteiligen. Eine Beteiligung des Gesamtbetriebsrats wird dagegen nur in den seltensten Fällen in Betracht kommen; vorsorglich kann aber auch sie erwogen werden.
Versetzung der Matrixarbeiter
Wird dem Matrixmanager das fachliche Weisungsrecht für bestimmte Mitarbeiter übertragen, kann das für diese eine mitbestimmungspflichtige Versetzung (§ 99 Abs. 1 BetrVG) darstellen. Das wird aber nur dann der Fall sein, wenn außer dem bloßen Vorgesetztenwechsel (der mitbestimmungsfrei ist) sonstige Veränderungen hinzukommen, wie zum Beispiel geänderte Arbeitsumstände, neue Berichtslinien oder die Zusammenarbeit mit Kollegen im Ausland.
Einstellung des Matrixmanagers
Wenn der Matrixmanager zugleich in einem anderen Betrieb eingesetzt wird, das heißt dort Personalverantwortung übernimmt, kann dies eine mitbestimmungspflichtige Einstellung (§ 99 BetrVG) darstellen. Die körperliche Anwesenheit des Matrixmanagers ist hierfür nicht erforderlich.
Der Mitbestimmung steht auch nicht entgegen, wenn der Matrixmanager in seinem Stammbetrieb leitender Angestellter ist. Dieser Status ist vielmehr laut Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Beschl. v. 28.5.2014 – 4 TaBV 7/13) und LAG Düsseldorf (Beschl. v. 10.02.2016 – 7 TaBV 63/15) für jeden Betrieb getrennt zu beurteilen.
Strategische Erwägungen
Wie die Verfahren vor dem LAG Baden-Württemberg und dem LAG Düsseldorf zeigen, besteht die Gefahr, dass Betriebsräte die Implementierung von Matrixstrukturen als mitbestimmungspflichtig ansehen und ihre Rechte (ggf. im Eilverfahren) durchsetzen. Dies kann beispielsweise die Aufhebung bereits vorgenommener Einsetzungen von Matrixmanagern erfordern. Umso wichtiger ist es für den Arbeitgeber, Mitbestimmungsrechte rund um die Einführung der Matrixstruktur frühzeitig zu prüfen. Verzögerungen oder gar eine Verhinderung der Matrix in Gänze lassen sich dadurch vermeiden.
Betriebsvereinbarung Matrixstruktur
Vermehrt werden in diesem Kontext Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen beschlossen, die Spielregeln für das Arbeiten in Matrixstrukturen festhalten. Solche Vereinbarungen können zum Beispiel Regelungen zur Arbeitssprache, Schulungen für ausländische Führungskräfte in den Grundzügen des deutschen Arbeitsrechts beziehungsweise einschlägiger Betriebsvereinbarungen oder die Klärung von Zuständigkeiten des Betriebsrats vorsehen.
Nicht immer lässt sich dies jedoch mit der beabsichtigten internationalen Unternehmensführung und den praktischen Notwendigkeiten für die Matrixmanager vereinbaren.
Die Mitbestimmung im Blick behalten
Datenschutz
Besonderes Gewicht kommt dem Datenschutz in der Matrix zu, jedenfalls wenn Konzernstrukturen vorherrschen. Wird sich die zentrale Verwaltung der Personaldaten und deren Übermittlung an die Muttergesellschaft noch über die §§ 32 oder 28 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) darstellen lassen, ist dies bei einer Übermittlung an andere Konzerngesellschaften schwieriger. Hier kommt letztlich nur der Abschluss einer (Konzern-)Betriebsvereinbarung als einigermaßen verlässliche Rechtsgrundlage gemäß § 4 BDSG in Be-tracht.
Für Übermittlungen von Daten an eine in den USA ansässige Konzernmutter verbleiben nach der Safe-Habor-Entscheidung des EuGH derzeit die Vereinbarung der Corporate-Binding Rules (BCR) oder der EU-Standard-Vertragsklauseln. Die Nutzung des EU-US Privacy Shields scheidet mangels Verabschiedung noch aus. Idealerweise sollte stets der Datenschutzbeauftragte eingebunden werden. Die Entwicklung des Datenschutzrechts, insbesondere die 2018 in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung, sollten auch in der Matrix im Blick behalten werden.
Fazit
Die Matrix beinhaltet eine Vielzahl von Herausforderungen für die Personalpraxis. Diese betreffen die individualvertragliche und die kollektivrechtliche Ebene gleichermaßen. Schematische Betrachtungsweisen verbieten sich, vielmehr ist stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung anzustellen. Wichtig werden auch eine kontinuierliche Schulung, insbesondere der Matrixmanager, und die Sicherstellung einer funktionierenden Kommunikationsstruktur sein.