Handlungsspielräume für Urlaubsverzicht eingeschränkt

Arbeitsrecht

In einer aktuellen, für die Praxis hochrelevanten Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht eine weitere Grenze der Gestaltungsfreiheit beim Abschluss von gerichtlichen Vergleichen gezogen. Genauer gesagt, hat das Bundesarbeitsgericht eine weitverbreitete Klausel zur Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, die sich in der Praxis in zahlreichen gerichtlichen wie außergerichtlichen Vergleichen finden lässt, als unwirksam beurteilt.

Auf die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses folgt in den meisten Fällen die Erhebung einer Kündigungsschutzklage durch den betroffenen Arbeitnehmer vor dem zuständigen Arbeitsgericht. Sowohl außergerichtlich als auch im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird dann in der Regel über die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Streitbeilegung im Wege des Abschlusses eines Vergleichs verhandelt. Der Vergleich vor dem Arbeitsgericht, bei dessen Inhalt Arbeitnehmer und Arbeitgeber in weiten Teilen Gestaltungsfreiheit genießen, regelt regelmäßig verschiedene Aspekte. Neben der Festlegung des Beendigungsdatums und der Höhe einer Abfindung, vereinbaren die Parteien in der Praxis sehr häufig, wie mit etwaig noch ausstehenden Ansprüchen auf Urlaub oder Freizeitausgleich umgegangen werden soll.

Bisheriger Umgang mit offenen Urlaubsansprüchen

Ausgangspunkt ist die gesetzliche Regelung im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), wonach der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten ist. In gerichtlichen Vergleichen findet sich daher vielfach eine entsprechende Regelung zur Urlaubsabgeltung. Sofern sich die Parteien jedoch im Verhandlungsweg nicht auf die Abgeltung, sondern auf den Verzicht auf offene Urlaubsansprüche geeinigt haben, vereinbaren sie im Rahmen eines Vergleichs bislang üblicherweise folgende Klausel: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“. Der Arbeitnehmer verzichtet hiermit auf die Abgeltung seiner noch offenen Urlaubstage. Hintergrund ist, dass Arbeitgeber in einem solchen Fall sicherstellen wollen, dass der Arbeitnehmer nach dem Vergleichsschluss keine Abgeltung offener Urlaubstage fordern kann.

Diese weitverbreitete Praxis hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun jedoch mit seinem Urteil vom 3. Juni 2025 (9 AZR 104/24) als unwirksam beurteilt. Dies kann für Arbeitgeber zu unerwarteten finanziellen Belastungen führen.

Klage auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs

In dem zugrunde liegenden Fall war der Arbeitnehmer im Jahr 2023 aufgrund einer Erkrankung von Beginn des Jahres bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in der Lage, seinen Urlaub nehmen zu können. Vor dem Arbeitsgericht einigte sich der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber dann im Rahmen eines Vergleichs unter anderem auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und auf die Zahlung einer Abfindung. Mit Blick auf die (eigentlich noch offenen) Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers verständigten sich die Parteien darauf, dass diese „in natura gewährt“ seien. Anschließend erhob der Arbeitnehmer erneut Klage vor dem Arbeitsgericht und verlangte nunmehr die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023.

Verzicht auf Urlaub ist unzulässig

Das BAG entschied, dass der Verzicht des Arbeitnehmers auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub in der Regel unzulässig ist. Die Klausel verstoße gegen ein gesetzliches Verbot, soweit während eines laufenden Arbeitsverhältnisses zum Nachteil des Arbeitnehmers von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen werde. Dies gelte selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Vergleich beendet wird und feststeht, dass der Arbeitnehmer den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen kann.


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Zwar wies das BAG darauf hin, dass dies ausnahmsweise dann anders sei, wenn es sich um einen sogenannten Tatsachenvergleich handele. Ein solcher Tatsachenvergleich liegt jedoch nur dann vor, wenn die entsprechende Klausel vereinbart wird, weil sich die Parteien unsicher sind, ob der Anspruch tatsächlich besteht.

Konsequenzen für die Praxis

Da die für einen Tatsachenvergleich notwendigen Unsicherheiten im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen allerdings regelmäßig nicht bestehen, ist aufgrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in den meisten Fällen von der Unwirksamkeit dieser weit verbreiteten Klausel auszugehen. Diese Unwirksamkeit kann für Arbeitgeber folgende enorme finanzielle Folgen haben:

  1. Bereits abgeschlossene Vergleiche

Für Vergleiche, die bereits mit einer vergleichbaren Klausel abgeschlossen wurden, lässt sich aus dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ableiten, dass Arbeitnehmer unter Umständen trotz des Vergleichsschlusses noch die Abgeltung von Urlaubsansprüchen vom Arbeitgeber verlangen können. Arbeitgeber, die durch den Vergleichsschluss eine abschließende Regelung erreichen wollten, müssen damit rechnen, nochmal zur Kasse gebeten zu werden.

  1. Zukünftige Vergleiche

Für Vergleiche, die künftig abgeschlossen werden, empfiehlt es sich, die Verpflichtung zur Abgeltung eines etwaig verbleibenden gesetzlichen Mindesturlaubs zu regeln. Sofern der Arbeitgeber jedoch über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus noch freiwillig sog. vertraglichen Mehrurlaub gewährt, kann die bisherige Klausel für dessen Erledigung hingegen auch weiterhin verwendet werden.

  1. Aufhebungsverträge

Zuletzt ist, auch wenn das BAG-Urteil hierauf nicht ausdrücklich Bezug nimmt, davon auszugehen, dass auch bei einer entsprechenden Regelung im Rahmen von außergerichtlich abgeschlossenen Aufhebungsverträgen Vorsicht geboten ist. Soweit im Rahmen eines Aufhebungsvertrags eine Klausel vereinbart wird, in der ein Arbeitnehmer auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichtet oder dieser pauschal als „gewährt“ bezeichnet wird, dürfte es sich ebenso um einen Verstoß gegen das gesetzliche Verbot der Abweichung von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes zuungunsten eines Arbeitnehmers handeln, der insoweit zur Unwirksamkeit der Klausel führt.

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Jan W. Grawe

Jan W. Grawe berät nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Er vertritt Arbeitgeber bundesweit in allen Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit und in Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretungen.
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Kyan Hadji

Kyan Hadji ist Mitglied der Praxisgruppe Employment, Pensions & Mobility. Er berät nationale und internationale Unternehmen in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

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