Immer wieder müssen sich Arbeitsgerichte mit verspäteten oder gar fehlenden Zielvereinbarungen oder dem Übergang von Zielvereinbarungen zu einseitigen Zielvorgaben auseinandersetzen. Dies zeigen zum Beispiel die Urteile des Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 3. Juli 2024 (10 AZR 1871/23) und 19. Februar 2025 (10 AZR 54/27).
Ein Grund dafür, dass das Thema zunehmend in den Fokus rückt, ist die wachsende Verbreitung von Zielbestimmungen (also das gemeinsame Vereinbaren oder die einseitige Vorgabe) in Unternehmen – sei es als Instrument zur Leistungssteuerung, zur Mitarbeiterbindung oder zur Gewinnung neuer Fachkräfte. Dabei kommen jedoch häufig unklare oder unwirksame Vertragsgestaltungen zum Einsatz. Oft sind sie so kompliziert und missverständlich formuliert, dass weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer genau wissen, was vereinbart werden soll oder kann. Auch bei der späteren Bewertung, ob die gesetzten Ziele tatsächlich erreicht wurden, herrscht häufig Unsicherheit. Hinzu kommt, dass die Bedeutung solcher Zielbestimmungen oft unterschätzt wird, nach dem Motto: Das klären wir später, das Tagesgeschäft hat Vorrang. Doch das aktuelle BAG-Urteil macht deutlich, dass eine solche Haltung riskant ist.
Rechtliche Risiken: Was passiert bei verspäteten oder fehlenden Zielvorgaben?
Bereits in der Vergangenheit hatte das BAG entschieden, dass Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch haben, wenn eine Zielvereinbarung unterbleibt. In einem solchen Fall sind sie so zu stellen, als hätten sie 100 Prozent der Ziele erreicht.
Die Entscheidung: Das sagt das Bundesarbeitsgericht zur Zielvorgabe
Mit dem Urteil vom 19. Februar 2025 (10 AZR 57/24) konnte das BAG auch eine bislang ungeklärte Frage beantworten: Was gilt, wenn der Arbeitgeber einseitig eine Zielvorgabe festlegen muss und dies nur verspätet oder gar nicht tut? Der Arbeitsvertrag des Klägers sah eine variable Vergütung vor, die sich aus Unternehmens- und individuellen Zielen zusammensetzt. Laut Betriebsvereinbarung musste die Zielvorgabe jährlich bis zum 1. März festgelegt werden. Doch während der Kläger die Unternehmensziele erst Mitte Oktober erhielt, blieb eine Vorgabe individueller Ziele gänzlich aus.
Das Arbeitsgericht urteilte zunächst, dass es ausreiche, wenn die Unternehmensziele innerhalb des laufenden Geschäftsjahres übermittelt würden, da die Zielperiode noch nicht abgelaufen sei. Das Landesarbeitsgericht hingegen bewertete die Situation anders und sprach dem Kläger einen Schadensersatzanspruch zu.
Es stellte klar, dass eine unterlassene Zielvorgabe ebenso zu behandeln sei wie eine unterlassene Zielvereinbarung. Zudem sei eine verspätete Zielvorgabe einer vollständig unterlassenen gleichzusetzen – schließlich könne sie ihre Anreizfunktion dann nicht mehr erfüllen.
Das BAG bestätigte diese Einschätzung und entschied zugunsten des Klägers. Darüber hinaus stellte es fest, dass ihn kein Mitverschulden träfe. Bei einer Zielvorgabe trifft die Initiativlast allein den Arbeitgeber – eine Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers besteht nicht.
Lesen Sie auch:
- Was macht Bereitschaftszeit zur Arbeitszeit?
- Feiertagszuschläge: Kommt es auf den Arbeitsort oder den Unternehmenssitz an?
Praxistipp: So setzen Unternehmen Zielvorgaben rechtssicher um
Arbeitgeber sollten sicherstellen, dass Zielvorgaben spätestens im ersten Quartal des Geschäftsjahres festgelegt und kommuniziert werden. Dabei reicht es nicht aus, dass die Unternehmensleitung Ziele definiert – ebenso entscheidend ist, dass die einzelnen Mitarbeitenden diese auch klar vermittelt bekommen.
Gerade bei individuellen Zielvorgaben spielen Teamleads und Personalverantwortliche eine zentrale Rolle. Sie müssen gezielt darauf vorbereitet werden, Zielvorgaben nicht nur zu planen, sondern auch transparent zu vermitteln. Zielvorgaben sollen motivieren, dürfen jedoch nicht unrealistisch sein. Nur gut geschulte Führungskräfte, die sich intensiv mit ihren Teammitgliedern auseinandersetzen, können diesen Balanceakt meistern.
Daher ist es essenziell, Führungskräfte in der Zielformulierung und -bewertung zu schulen, um konsistente, faire und realistische Zielsetzungen sicherzustellen.
Checkliste für Arbeitgeber
- Zeitliche Planung
- Zielvorgaben spätestens zum Ende des ersten Quartals des Geschäftsjahres festlegen
- Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen auf etwaige Fristen überprüfen
- Fristen für die Kommunikation definieren
- Klare und erreichbare Ziele definieren
- Unternehmensziele verständlich und realistisch formulieren
- Individuelle Zielvorgaben abstimmen
- Sicherstellen, dass die Ziele ambitioniert, aber nicht unerreichbar sind (Anreiz- und Motivationsfunktion)
- Kommunikation
- Alle Arbeitnehmer sind rechtzeitig über ihre Zielvorgaben zu informieren
- Teamleads und Personalverantwortliche einbinden
- Zielvorgaben dokumentieren
- Kontinuierliche Schulungen der Teamleads und Personalverantwortlichen
- Teamleads in der Planung, Formulierung und Bewertung von Zielen schulen
- Führungskräfte für eine transparente und faire Kommunikation sensibilisieren
- Regelmäßige Feedbackgespräche einplanen, um Zielerreichung zu überprüfen
- Überprüfung und ggf. Anpassung
- Sicherstellen, dass Zielvorgaben motivierend wirken und die Anreizfunktion erfüllen
- Bei Bedarf Anpassungen vornehmen, falls sich Rahmenbedingungen ändern
- Klare Prozesse für die Nachverfolgung und Bewertung von Zielerreichungen etablieren