Inflationsausgleichsprämien beschäftigten weiterhin die Arbeitsgerichte

Arbeitsrecht

Coronapandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise: nur drei Ursachen für die galoppierende Inflation in Deutschland im Jahr 2022. Sage und schreibe 6,9 Prozent betrug die Teuerungsrate damals. Ein Jahr später waren es immerhin noch 5,9 Prozent. Die damalige Bundesregierung reagierte und schaffte – befristet bis zum 31. Dezember 2024 – Anreize für Unternehmen zur Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie.

Viele Arbeitgeber machten von dieser Möglichkeit Gebrauch und gewährten zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn die steuer- und abgabenfreie Prämie in Höhe von bis 3.000  pro Jahr. In der Praxis variierten dabei sowohl die Rechtsgrundlagen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Arbeitsverträge/Gesamtzusagen) als auch die konkreten Inhalte der Zusagen. Nicht selten enthielten die Zusagen eine Stichtagsregelung. Demnach war die Auszahlung der Prämie an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten (Stich-)Tag gebunden.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit einer aktuellen Entscheidung vom 21. Mai 2025 (10 AZR 121/24) die Wirksamkeit dieser Stichtagsregelung (und damit verbundener Rückzahlungsklauseln) eingeschränkt. Inflationsausgleichsprämien, die der Arbeitsgeber als „Gesamtzusagen“ versprochen hat, durften keine Stichtagsklausel enthalten. Arbeitnehmer, die wegen einer (Eigen-)kündigung am Stichtag nicht mehr im Unternehmen waren, müssen die Prämie nicht zurückzahlen.

Arbeitnehmer begehrte Inflationsausgleichsprämie trotz Eigenkündigung

Ein Unternehmen hatte sich kurz nach Inkrafttreten der steuerrechtlichen Privilegierung von Inflationsausgleichsprämien im Oktober 2022 für deren Einführung entschieden. Im betrieblichen Intranet sagte die Geschäftsführung allen Mitarbeitern eine Prämie – gestaffelt nach Gehaltsgruppen – zwischen 500 und 3.000 Europro Jahr zu. Die Auszahlung war für den Monat Dezember 2022 vorgesehen.

Die Zusage enthielt unter anderem folgenden Passus:

„Die Gewährung der Inflationsausgleichsprämie steht unter der Bedingung, dass Sie nicht in der Zeit bis einschließlich 31.03.2023 aus Ihrem Verschulden oder auf eigenen Wunsch bei der Gesellschaft ausscheiden. Das heißt, dass Sie die Inflationsausgleichsprämie in voller Höhe zurückzuzahlen haben, wenn Sie bis einschließlich 31.03.2023 das Arbeitsverhältnis beenden, ohne dass für diese Kündigung ein wichtiger Grund besteht.“

Der Arbeitnehmer, um den es in dem vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall ging, kündigte selbst zum Ablauf des 31. Dezember 2022. Für den Arbeitgeber war die Rechtslage wegen der Stichtagsregelung klar. Aufgrund der Eigenkündigung des Mitarbeiters, die das Arbeitsverhältnis vor dem 31. März 2023 beendete, zahlte das Unternehmen keine Inflationsausgleichsprämie. Daraufhin erhob der Arbeitnehmer Zahlungsklage.

BAG hebt Urteil des LAG Düsseldorf auf

Sowohl das in erster Instanz entscheidende Arbeitsgericht Wuppertal als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hatten dem Arbeitgeber Recht gegeben. Diese Entscheidung wurde vom BAG nunmehr aufgehoben. Das Unternehmen muss die volle Inflationsausgleichsprämie an den klagenden Arbeitnehmer bezahlen.

Nach Ansicht der Erfurter Richter hielt sowohl die Stichtagsregelung als auch die Rückzahlungsklausel der AGB-Kontrolle nicht stand. Das BAG erachtete diese Teile der Zusage als unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers.

Wie kam das BAG zu dieser Einschätzung? Das Gericht schaute sich die Gesamtzusage des Arbeitgebers im betrieblichen Internet genau an. Dabei ging es dem Zweck der Zusage auf den Grund. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Prämie nicht nur als Inflationsausgleich und zur Honorierung bisheriger und künftiger Betriebstreue gewährt wurde. Vielmehr habe es sich bei der Prämie zugleich um Arbeitsentgelt gehandelt, das der Arbeitgeber als Gegenleistung für bereits erbrachte Arbeitsleistungen zahlte.

Die Inflationsausgleichsprämie stellte in den Augen der Richter somit keine Inflationsprämie „pur“, sondern zugleich auch „normales“ Arbeitsentgelt für bisher erbrachte Leistungen dar. Stichtagsregelungen und Rückzahlungsklauseln halten einer AGB-Kontrolle nach der gefestigten Rechtsprechung des BAG – siehe Urteil vom 15. November 2023 (10 AZR 288/22, Rn. 60) sowie Urteil vom 3. Juli 2024 (10 AZR 171/23, Rn. 51 ff.) nicht stand, wenn sie sich auf einen Teil des Arbeitsentgelts beziehen, welches sich der Arbeitnehmer bereits durch seine erbrachte Leistung verdient hat. Vereinfacht gesagt: dieses Entgelt können Unternehmen – weil die Arbeitsleistung schon erbracht und das Entgelt bereits „erdient“ wurde – nicht nachträglich zurückverlangen.

Doch wie konnte das BAG zur Einschätzung gelangen, bei der Inflationsausgleichsprämie handele es sich „jedenfalls auch – um Arbeitsentgelt […] als Gegenleitung für die erbrachte Arbeitsleistung”? Schließlich hatte der Arbeitgeber doch die Mitteilung im Intranet ausdrücklich mit „Inflationsausgleichsprämie für alle Mitarbeitenden“ und nicht mit „Prämie als zusätzliches Arbeitsentgelt für gute Leistungen” überschrieben.


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Dem beklagten Unternehmer fiel an diesem Punkt die in der betrieblichen Mitteilung (Gesamtzusage) enthaltene Regelung für Teilzeitkräfte auf die Füße. Diese sollten die Inflationsausgleichsprämie entsprechend ihrem Teilzeitgrad erhalten. Wer mehr (Teil- oder Vollzeit) gearbeitet hat, erhielt somit eine höhere Prämie. Dies genügte dem BAG um eine (unzulässige) Verknüpfung der Inflationsausgleichsprämie mit der Vergütung für erbrachte Leistungen anzunehmen.

Wann ist eine „Inflationsausgleichsprämie“ eine „Inflationsausgleichsprämie“?

Die Inflationsausgleichsprämie beschäftigt seit der Einführung ihrer steuerlichen Privilegierung – und noch lange darüber hinaus – deutsche Arbeitsgerichte. Dabei war die Regelung in Paragraf 3 Nummer11c des Einkommensteuergesetzes gut gemeint. Sie wurde von vielen Arbeitgebern aufgegriffen und hat viele Arbeitnehmer erfreut. Gemäß der Norm waren „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26. Oktober 2022 bis zum 31. Dezember 2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3. 000 Euro” steuerfrei- und abgabenfrei.

Nicht selten ist es inzwischen aber zum Streit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Auszahlung der Prämie gekommen. Anlass hierfür sind zumeist

  1. die Herausnahme bestimmter Arbeitnehmergruppen (zum Beispielvon Teilzeitkräften, Arbeitnehmern in Elternzeit, Arbeitnehmern während der Passivphase der Alterszeit) sowie
  2. die Verweigerung oder Kürzung der Inflationsausgleichsprämie oder deren Rückzahlung im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Bei den zuletzt genannten Streitfällen spielt die Wirksamkeit von Stichtagsregeln und Rückzahlungsklauseln eine wichtige Rolle.

Auf die Regelungsebene kommt es an

Die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie durch Arbeitgeber erfolgte freiwillig. Es bestand zu keiner Zeit eine gesetzliche Verpflichtung zur Gewährung. Mit der zeitlich begrenzten Steuer- und Abgabenfreiheit schuf der Gesetzgeber lediglich einen Anreiz. Ob Unternehmen die Prämie von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, war ihnen selbst überlassen.

Entschieden sich Arbeitgeber für die Einführung der Prämie, fand dies auf unterschiedlichen Regelungsebenen statt. Teilweise schlossen Arbeitgeber beziehungsweisederen Verbände mit den Gewerkschaften eigene Tarifverträge über die Zahlung der Inflationsausprämie. Verbreitet waren auch Dienst- und Betriebsvereinbarungen. Nicht selten haben es Unternehmen so gemacht, wie der Arbeitgeber im oben beschriebenen Fall. Die Arbeitnehmer erhielten eine Mitteilung über die Auszahlung der Prämie.

Derartige Zusagen an eine Mehrzahl von Mitarbeitern stellen rechtlich eine sogenannte Gesamtzusage des Arbeitgebers dar. Dies ist nichts anderes als ein Vertragsangebot. Die Arbeitnehmer nehmen dieses Angebot konkludent an – so sieht es jedenfalls die Rechtsprechung. Gesamtzusagen sind damit keine kollektiv-rechtlichen Regelungen (wie Tarifverträge). Vielmehr bewegt sich die Gesamtzusage auf der individuellen – arbeitsvertraglichen – Ebene. Aus dem Grund werden Gesamtzusagen auch an denselben Maßstäben gemessen wie Arbeitsverträge.

Das bedeutet vor allem: bei Gesamtzusagen findet – anders als bei Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen – eine AGB-Kontrolle statt. Letztere unterliegen hingegen einem weitergehenden Beurteilungsspielraum der Tarif- und Betriebsparteien.

Stichtagsregelung bei Prämien für geleistete Arbeit AGB-rechtlich unwirksam

Die Maßstäbe der AGB-Kontrolle sind bekanntlich streng. So geht die Rechtsprechung von einer unangemessenen Benachteiligung der Arbeitnehmer aus, wenn Prämien nicht gezahlt oder zurückgezahlt werden sollen, die sich der Arbeitnehmer zuvor durch bereits geleistete Arbeit verdient hat. Prämien, die zumindest auch diesem Zweck dienen, können nicht (anteilig) zurückgefordert werden, wenn das Arbeitsverhältnis endet. Auch ist eine Zahlungsverweigerung durch das Unternehmen bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor dem Stichtag nicht zulässig. Die gilt sowohl bei Kündigungen durch den Arbeitgeber als auch bei Eigenkündigungen von Arbeitnehmern.

Schlussfolgerungen für das Personalmanagement

Auch wenn die Inflationsausgleichsprämie in der Praxis keine Rolle mehr spielt, bleibt die vom Bundesarbeitsgericht entschiedene Thematik aktuell. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gelten ebenso bei anderen Prämien, wie beispielsweise demWeihnachtsgeld, der Treueprämie oder einerBonuszahlung.

Insbesondere dann, wenn Arbeitgeber solche Prämien individualvertraglich (zum Beispiel im Arbeitsvertrag, einer Zusatzvereinbarung oder mittels Gesamtzusage) gewähren, kommt es auf die Formulierung im Detail an. Stichtagsregelungen sind in solchen Fällen immer dann unzulässig, wenn mit der Prämie zumindest auch die bereits vom Mitarbeiter geleistete Arbeit honoriert werden soll. Diese – für Unternehmen unangenehme – Rechtsfolge gilt es durch eine kluge Vertragsgestaltung zu vermeiden.

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Porträt eines Mannes mit Glatze, Brille und Anzug, vor einem grauen Hintergrund.

Michael Riedel

Michael Riedel ist Partner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei ADVANT Beiten in Berlin. Er berät auf Arbeitgeberseite umfassend im Individual- und Kollektivarbeitsrecht mit besonderem Augenmerk auf Einrichtungen des Gesundheitswesens.

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