Lohnlücke zwischen Frauen und Männern endlich geschlossen?  

Gender Pay Gap

Gemäß des Statistischen Bundesamtes haben Frauen in Deutschland im Jahr 2022 durchschnittlich einen um 18 Prozent geringeren Bruttostundenverdienst als Männer. Im langfristigen Vergleich hat sich dieser Wert verbessert – 2006 lag er noch bei 23 Prozent. Am 16. Februar 2023 hat nun das Bundesarbeitsgericht Erfurt ein medial stark beachtetes Urteil (8 AZR 450/21) zum Recht auf gleichen Lohn für Frauen und Männer gefasst. Das Urteil ist zum Teil als „Meilenstein für Lohngleichheit“ bezeichnet worden. Worum ging es in diesem Rechtsstreit und wie wirkt er sich auf die Praxis aus? Das wird – basierend auf den Erkenntnissen der vorliegenden Pressemitteilung – im Folgenden analysiert.

Sachverhalt (verkürzt)

Ausgangspunkt des Urteils vom 16. Februar 2023 war die Klage einer Vertriebsmitarbeiterin gegen ihren früheren Arbeitgeber. Die Arbeitnehmerin, die ihr Arbeitsverhältnis am 1. März 2017 begonnen hatte, vereinbarte mit ihrem damaligen Arbeitgeber zum Einstieg einzelvertraglich ein Grundgehalt in Höhe von 3.500,00 Euro brutto und beginnend ab dem 1. November 2017 einen erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteil.

Der Vertriebsbereich des früheren Arbeitgebers der Klägerin bestand neben der Klägerin noch aus zwei männlichen Kollegen. In dem Verfahren waren sich die Arbeitnehmerin und der Arbeitgeber einig, dass alle drei im Vertriebsaußendienst tätig und mit denselben Verantwortlichkeiten sowie Befugnissen ausgestattet waren – und somit die gleiche Arbeit ausführten.

Einer der beiden männlichen Kollegen war deutlich länger bei dem Unternehmen beschäftigt. Im Jahr 2017 hatte er bereits eine 32-Jährige [FF1] Betriebszugehörigkeit bei dem Arbeitgeber. Mit diesem Arbeitnehmer hatte der Arbeitgeber mit dem „außertariflichen Anstellungsvertrag“ vom 31. Juli 2018 ein „außertarifliches Grundgehalt“ in Höhe von 4.500,00 Euro brutto vereinbart.

Der andere männliche Kollege wurde kurz vor der Arbeitnehmerin am 1. Januar 2017 beim Arbeitgeber angestellt. Dieser war als Ersatz für eine langjährige Vertriebsmitarbeiterin, die plangemäß am 31. Oktober 2017 altersbedingt ausschied, vorgesehen. Dem anderen Arbeitnehmer hatte der Arbeitgeber zum Einstieg auch zunächst angeboten, dass sich sein Grundgehalt auf 3.500,00 Euro brutto belaufe und er ab dem 1. November 2017 eine zusätzliche, vom erzielten Umsatz abhängige Entlohnung erhalte. Dieser war mit dem Angebot jedoch nicht einverstanden und verlangte zum Einstieg für den Einarbeitungszeitraum (bis die variable Vergütung am 1. November 2017 in Kraft trat) ein erhöhtes Grundgehalt in Höhe von 4.500,00 Euro brutto. Der Arbeitgeber akzeptierte diese Forderung des Arbeitnehmers und schloss einzelvertraglich einen dahingehenden Arbeitsvertrag ab.

Verfahrensgang

Die Klägerin, die von dem Vergütungsunterschied Kenntnis erlangte, ging gegen ihren damaligen Arbeitgeber gerichtlich vor und verlangte von ihm die Differenz, die zwischen ihrer Einstiegsvergütung und der des am 1. Januar 2017 eingestellten männlichen Kollegen bestand. Das Verlangen begründete sie mit dem Grundsatz „gleiches Entgelt für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit“. Mit ihrer Klage hatte die Arbeitnehmerin in erster und in zweiter Instanz keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Sachsen hatte mit dem Berufungsurteil vom 3. September 2021 (1 Sa 358/19) noch die Einschätzung vertreten, dass die Erhöhung des Grundgehalts des anderen Arbeitnehmenden erforderlich war, um diesen für sich zu gewinnen. Das Interesse, eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter für sich zu gewinnen, sei ein objektiv bestehendes Interesse und rechtfertige die Zahlung einer ungleichen Vergütung.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Mit seinem Urteil vom 16. Februar 2023 hat das Bundesarbeitsgericht einen anderen Standpunkt eingenommen. Es hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen aufgehoben und der Klägerin einen Anspruch auf die Vergütungsdifferenz in Höhe von EUR 14.500,00 brutto und eine Entschädigungszahlung in Höhe von EUR 2.000,00 zugesprochen.

Auf welche Gesichtspunkte das Bundesarbeitsgericht seine Entscheidung stützt, ist noch nicht abschließend bekannt, da aktuell lediglich die Pressemittelung und noch nicht die ausformulierten Entscheidungsgründe vorliegen. Aus der Pressemitteilung ist bereits ersichtlich, dass das Bundesarbeitsgericht eine Diskriminierung der Arbeitnehmerin aus Gründen des Geschlechts angenommen hat. Da in dem Rechtsstreit unstreitig war, dass die Klägerin und ihre männlichen Kollegen eine gleichwertige Tätigkeit ausgeübt haben und die Klägerin dennoch ein geringeres Grundgehalt als ihre männlichen Kollegen erhalten hat, konnte sich die Klägerin gemäß § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf die Vermutung berufen, dass eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts besteht.

Dem Arbeitgeber ist es – so das Bundesarbeitsgericht in der Pressemitteilung weiter – hingegen nicht gelungen, die geschlechtsspezifische Diskriminierung zu widerlegen. Insbesondere konnte sich der Arbeitgeber für den Zeitraum März bis Oktober 2017 nicht darauf berufen, das höhere Grundgehalt des anderen Arbeitnehmenden beruhe auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 ist bereits vielfach mit dem Attribut „Meilenstein für Lohngerechtigkeit“ versehen worden. Die wesentliche Weichenstellung hatte das Bundesarbeitsgericht meines Erachtens bereits mit seinem Grundsatzurteil vom 21. Januar 2021 (8 AZR 488/19) gezogen. In diesem nahmen die Erfurter Richter erstmals an, dass eine geschlechtsspezifische Diskriminierung vermutet wird, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer eine geringere Vergütung erhält als eine Kollegin oder ein Kollege des anderen Geschlechts, der die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Das Gericht ging weiterhin davon aus, dass in einem solchen Fall der Arbeitgeber die bestehende Vermutung einer Diskriminierung widerlegen muss.

Mit welchen Argumenten der Arbeitgeber die Vermutung widerlegen kann, hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 21. Januar 2021 im Rahmen einer sogenannten „Segelanleitung“ auch skizziert. Der Arbeitgeber muss geltend machen können, dass die festgestellte unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren zu erklären ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf einem geschlechtsunabhängigen Unterschied beruht. Die vorgebrachte Erklärung muss somit auf einem legitimen Ziel beruhen und die gewählten Mittel müssen hierzu geeignet sowie erforderlich sein. Auf Kriterien und Faktoren, die im Ergebnis Frauen stärker nachteilig betreffen als Männer, kann eine Entgeltdifferenzierung nur gestützt werden, wenn sie der Art der Arbeit geschuldet sind und zu den (legitimen) Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens in Beziehung stehen.

Im Urteil vom 21. Januar 2021 hatte das Bundesarbeitsgericht außerdem darauf hingewiesen, dass es ein objektives Kriterium darstellen kann, das nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat, wenn die Berufserfahrung einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters honoriert wird. Grundsätzlich schreiten Dienstalter und Berufserfahrung im Einklang miteinander voran und eine höhere Berufserfahrung bewirkt in der Regel, dass die geschuldete Arbeit besser oder effizienter verrichtet wird. Nach der „Segelanleitung“ im Urteil vom 21. Januar 2021 soll dieser Zusammenhang aber nicht unbegrenzt gelten, da eine erweiterte Berufserfahrung nicht zwangsläufig zu einer Steigerung der Arbeitsqualität führt. Mit der Honorierung der Berufserfahrung nicht zu verwechseln ist ferner die Bemessung der Vergütung nach dem Lebensalter, die eine Diskriminierung darstellen würde.

Fazit

Durch die für die Klägerin positive Entscheidung vom 16. Februar 2023 werden sich voraussichtlich auch andere Personen, die ihnen gegenüber eine geschlechtsspezifische Entgeltungleichbehandlung vermuten, motiviert zeigen und versuchen, sich zur Wehr zu setzen. Es ist daher zu erwarten, dass vermehrt Klagen auf Zahlung gleichheitswidrig vorenthaltener Vergütung erhoben und Auskunftsansprüche nach dem Entgelttransparenzgesetz geltend gemacht werden. Für viele gewillte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird aber weiterhin die Beschaffung von belastbaren Informationen schwierig bleiben, da für ein Auskunftsverlangen nach dem Entgelttransparenzgesetz erforderlich ist, dass in dem Betrieb, in dem der oder die Beschäftigte tätig ist, mehr als 200 Beschäftigte bei demselben Arbeitgeber tätig sind.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 hat meines Erachtens – auch entgegen einiger kritischer Stimmen – nicht das Ende der Privatautonomie eingeleitet. Kollektivarbeitsrechtliche Entgeltsysteme werden vor allem durch Tarifverträge definiert und müssen gemäß § 4 Absatz 4 Entgelttransparenzgesetz auch so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist. Außerhalb solcher Entgeltsysteme besteht zwar zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden die Vertragsfreiheit in Bezug auf die Entgelthöhe. Sie bestand und besteht aber nicht grenzenlos.

Neben gesetzlichen Regelungen, wie etwa dem gesetzlichen Mindestlohn, begrenzen auch gesetzliche Gleichbehandlungspflichten, wie das Gebot der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern, die Gestaltungsspielräume. Zukünftig gilt es demnach noch stärker zu berücksichtigen, dass das Gebot der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern kein unverbindlicher Programmsatz ist, sondern den Status eines Ziels der europäischen Union innehat und europarechtlich in Artikel 157 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union auch noch näher konkretisiert ist. Der Europäische Gerichtshof misst diesem Grundsatz schon seit Jahrzehnten eine erhebliche Bedeutung zu und bezeichnet ihn als Grundlage des Gemeinschaftsrechts. Der Beseitigung der Geschlechterdiskriminierung misst der Europäische Gerichtshof zudem den Status eines sozialen Grundrechts bei.

Letztlich muss trotz alledem die Veröffentlichung der ausformulierten Entscheidungsgründe mit Spannung erwartet werden. Nur auf dieser Grundlage wird eine finale Bewertung der Zusammenhänge und der juristischen Einordnung möglich. Nach Prüfung der in der Pressemitteilung dargelegten Argumente bleibt erst einmal unbeantwortet, was das Bundesarbeitsgericht bewogen hat, bei der Widerlegung der Vermutungswirkung nur auf das Aushandeln eines höheren Entgeltes abzustellen. Laut dem zweitinstanzlichen Urteil hatte das Landesarbeitsgericht Sachsen dem beklagten Arbeitgeber noch zugestanden, dass er ein legitimes Interesse daran hat, einen geeignet erscheinenden Mitarbeitenden für sich zu gewinnen, damit dieser bis zum Ausscheiden der altersbedingt ausscheidenden Vertriebsmitarbeiterin eingearbeitet werden kann. In der Pressemitteilung ist dieser Aspekt vom Bundesarbeitsgericht jedoch nicht angesprochen worden. Es bleibt spannend.

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Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners 

Pascal Verma

Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners in Hamburg. Seine Tätigkeits- und Beratungsschwerpunkte liegen im Arbeitsrecht und im Datenschutzrecht.

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