Gerade im Sommer und in den Ferien oder wenn ein Arbeitsverhältnis endet, legen einige Arbeitnehmer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Dabei haben Arbeitgeber oft Zweifel, ob die Mitarbeiten wirklich krank sind. Nichtsdestotrotz wird der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – vorausgesetzt, es handelt sich nicht offensichtlich um Fälschungen – häufig als unerschütterlich und der Arbeitgeber insoweit als machtlos beschrieben. Dies kann aber in besonders gelagerten Fällen anders sein – wenngleich die Erschütterung des Beweiswerts allein den Arbeitgebern im Ergebnis oft nicht weiterhilft.
Hoher Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Ein Arbeitnehmer hat im Falle einer Erkrankung und der damit einhergehenden Arbeitsunfähigkeit Anspruch darauf, gemäß Paragraf 3 Absatz 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) sein Gehalt trotz Krankheit bis zur Dauer von sechs Wochen zu erhalten. Hierbei trifft den Arbeitnehmer die Beweislast für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. In aller Regel reicht dafür die Vorlage einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Denn bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelt es sich um das gemäß Paragraf 5 Absatz 1 Satz 2 EFZG gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Beweismittel.
Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist dennoch nicht unerschütterlich
Der hohe Beweiswert führt oft auch zum Missbrauch durch Arbeitnehmer. Oft drängt sich für den Arbeitgeber aufgrund konkret vorliegender Umstände der Verdacht auf, dass sich ein Arbeitnehmer ein langes Wochenende verschafft oder den eigenen Urlaub „verlängert“. Auch Kündigungsfristen werden durch Arbeitnehmer gerne auf diesem Wege „überbrückt“, da die Bereitschaft zur Leistungserbringung schnell sinkt, wenn das Ende des Arbeitsverhältnisses naht. Für Arbeitgeber lohnt sich in solchen Konstellationen ein Blick in die Rechtsprechung in denen sich erhebliche Zweifel am tatsächlichen Vorliegen einer Krankheit des Arbeitnehmers aufdrängen.
Die eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begleitenden Umstände sind entscheidend
Legt ein Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die passgenau die Kündigungsfrist abdeckt, haben Arbeitgeber erstmal gute Chancen, den Beweiswert dieser Bescheinigung zu erschüttern. Das hat das BAG mit einem Urteil vom 8. September 2021 (5 AZR 149/21) klargestellt. Gemäß einer neuen Entscheidung des BAG vom 13. Dezember 2023 (5 AZR 137/23) gilt dies auch unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber die Kündigung ausgesprochen hat. Mit diesen Entscheidungen hat das BAG den Arbeitgebern mehr Spielraum gegeben.
Der Beweiswert sinkt auch außerhalb von Kündigungssachverhalten umso mehr, je deutlicher weitere Umstände hinzutreten, die das tatsächliche Vorliegen einer Krankheit als unwahrscheinlich erscheinen lassen.
Freizeitaktivitäten und alternative Erwerbstätigkeiten als Indikatoren
Solche Umstände können etwa in (beweisbaren) Freizeitaktivitäten des Arbeitnehmers während der angeblichen Krankheit liegen. Auch anderweitige Erwerbstätigkeiten können das tatsächliche Vorliegen einer Krankheit entkräften. Wie so oft sind hier die Umstände des Einzelfalles maßgeblich. Freizeitaktivitäten allein führen nicht zwingend zur Erschütterung des Beweiswerts. So ist es in vielen Fällen – abhängig von der konkreten Erkrankung – durchaus erlaubt, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit das Haus verlassen, am sozialen Leben teilnehmen, ja sogar (in Maßen) verreisen oder Sport treiben. Dies berücksichtigen deutsche Gerichte richtigerweise regelmäßig.
Krankschreibung bei abgelehntem Urlaub als besonderes Risiko
Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann auch dann erschüttert sein, wenn sie für den Zeitraum eines nicht genehmigten Urlaubs vorgelegt wird. Wenn ein Arbeitnehmer Urlaub beantragt, der aus betrieblichen Gründen nicht gewährt werden konnte, und sich für diesen Zeitraum krankschreiben lässt, um – unter Fortzahlung des Gehalts – vermeintlich doch noch den geplanten Urlaub antreten zu können, hat der Arbeitgeber gute Argumente auf seiner Seite. Der Arbeitnehmer wird jedenfalls unter Druck gesetzt, die Krankheit anders zu beweisen. Kann der Arbeitgeber sogar eine Urlaubsreise des Arbeitnehmers beweisen, wird es für diesen eng.
Arbeitgeber kennen das Problem, dass sich Arbeitnehmer wiederholt in zeitlicher Nähe von Urlaub, Brückentagen oder Wochenenden krankschreiben lassen. Gerade, wenn dies bei einem einzelnen Arbeitnehmer vermehrt vorkommt, kann dies zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führen.
Beweiswerterschütterung lässt Entgeltfortzahlungspflicht nicht automatisch entfallen
Die Erschütterung des Beweiswerts hilft dem Arbeitgeber in der Praxis dennoch oft nur bedingt. Denn die Folge besteht zunächst nur darin, dass der Arbeitnehmer auf anderem Wege belegen muss, dass er tatsächlich erkrankt war. Bei der Verweigerung der Entgeltfortzahlung sowie bei der Entscheidung über andere arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnungen oder Kündigungen sollten sich Arbeitgeber daher eines hohen Risikos bewusst sein: Ein Arzt, der einen Arbeitnehmer krankgeschrieben hat, wird im Rahmen einer Beweisaufnahme selten von der einmal gestellten Diagnose abrücken oder gar zugeben, den Arbeitnehmer gar nicht untersucht zu haben. Benennt ein Arbeitnehmer seinen Arzt also als Zeugen, ist in aller Regel davon auszugehen, dass er die behauptete Krankheit auf diesem Wege beweisen kann.
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