Ist die Leistungskontrolle am Arbeitsplatz erlaubt?

Beschäftigtendatenschutz

Das Bundesarbeitsgericht hatte in der Keylogger-Entscheidung von 2017 eine permanente Überwachung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch eine Software, die verdeckt die Tastaturbewegungen am PC aufzeichnet, als grundsätzlich rechtswidrig beurteilt. Die aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover (09.02.2023 – 10 A 6199/20) zeigt nun, warum eine fortwährende Leistungsdatenerhebung im Einzelfall durchaus rechtlich zulässig sein kann.

Der Fall

Es ging in der Entscheidung um eine Klage der Amazon Logistik Winsen GmbH gegen die Landesbeauftragte für Datenschutz in Niedersachsen. Die Klägerin betreibt ein Logistikzentrum zur Auslieferung von Waren aus dem Onlineversandhandel von Amazon (sogenanntes „Fulfillment Center“) mit einer Beschäftigtenzahl – abhängig von saisonalen Schwankungen – zwischen 1.700 und 2.200 Personen. In dem Logistikzentrum werden täglich durchschnittlich etwa 220.000 Pakete mit einer Liefergarantie versandt – etwa 153 Pakete pro Minute.

In einigen Tätigkeitsbereichen ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Einsatz eines Handscanners vorgeschrieben. Mit dessen Software werden fortlaufend und minutengenau die Arbeitsschritte vom Warenein- bis Warenausgang erfasst und die Leistungsdaten für drei Monate – und darauf aufbauende Feedbackgespräche oder daraus abgeleitete Vorschläge – für einen Zeitraum von 12 Monaten gespeichert.

Die niedersächsische Datenschutzbehörde leitete schon 2017 ein datenschutzrechtliches Kontrollverfahren gegen die Klägerin ein und untersagte ihr, mit Bescheid vom 28. Oktober 2020, aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten ihrer Beschäftigten ununterbrochen zu erheben und diese zur Erstellung von Quantitäts- und Qualitätsleistungsprofilen sowie für Feedbackgespräche und Prozessanalysen zu nutzen. Die Datenschutzbehörde argumentierte, dass die permanente Erhebung der entsprechenden Leistungsdaten der Beschäftigten gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoße und daher rechtswidrig sei.

Hiergegen klagte die Klägerin mit der Begründung, sie habe ein schützenswertes berechtigtes Interesse an der Datenerhebung in Echtzeit und deren Verarbeitung. Es würden aktuelle und minutengenaue individuelle Leistungswerte bei der Steuerung der Logistikprozesse benötigt, um unverzüglich auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Umsetzungen von Mitarbeitenden in andere Prozesspfade reagieren zu können. Anhand der aktuellen Leistungswerte der Beschäftigten könne sie erkennen, ob diese an einem bestimmten Tag besonders schnell oder besonders langsam arbeiteten und hierauf durch Umverteilung der Arbeitskräfte reagieren. Mittelfristig würden zurückliegende individuelle Leistungswerte aber auch benötigt und eingesetzt, um die konstanten Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden zuverlässig erfassen und bei der flexiblen Einsatzplanung berücksichtigen zu können. Zudem ermögliche diese Vorgehensweise die Schaffung objektiver und fairer Bewertungsgrundlagen für Feedback und Personalentscheidungen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern könne objektives und individuell leistungsbezogenes Feedback gegeben werden, das nicht durch subjektive Wahrnehmungen beeinflusst sei.

Die Entscheidung

Das Verwaltungsgericht entschied nach der vorzunehmenden Interessenabwägung für die Klägerin. Dabei erkannte das Gericht aber auch die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Beschäftigten. Immerhin könnten diese einer permanenten Überwachung ihrer Leistung unterliegen und damit potenziell der Gefahr erhöhten Leistungsdrucks ausgesetzt sein.

Das Gericht sah jedoch ein überwiegendes berechtigtes Interesse der Arbeitgeberin. Ein Verstoß gegen Artikel 88 der Europäischen Datenschutzgrundverordnung in Verbindung mit § 26 Absatz 2 Bundesdatenschutzgesetz liege nicht vor. Die Vorschrift erlaubt es, personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zu verarbeiten, wenn dies zum Beispiel für die Durchführung der Tätigkeit erforderlich ist. Die Klägerin, so das Verwaltungsgericht, verfolge im vorliegenden Fall drei berechtigte Zwecke:

  • die Steuerung der Logistikprozesse,
  • die Steuerung der individuellen Qualifizierung von Mitarbeitenden
  • und die Schaffung objektiver Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen.

Die Datenschutzbeauftragte hatte auch nicht bestritten, dass diese Interessen berechtigt, billigenswert und schutzwürdig seien. Sie befand jedoch, dass die ununterbrochene Datenerhebung hierfür nicht erforderlich sei.

Das Gericht hielt hingegen das Interesse des Logistikkonzerns an Effizienz und damit Geschwindigkeit der Abläufe für vorrangig berechtigt, um einen Warenstau mit störenden Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette zu vermeiden. Stichproben, wie die Datenschutzbeauftragte sie als ausreichend unterstellte, könnten nicht die aktuell von Tag zu Tag unterschiedlichen Leistungsschwankungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Effizienzverluste erkennen und umgehend durch Steuerung des Personals ausgleichen lassen. Es sei der Klägerin auch nicht zuzumuten, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer Lagerfläche von 64.000 m² nicht über die Datenerhebung suchen zu dürfen, wenn sie aktuell auftretende Leistungsschwächen durch Umsetzung von Personal auszugleichen versuche.

Die Speicherung der Leistungsdaten für drei Monate beanstandete das Gericht gleichfalls nicht. Für die Auswertung der Daten bedürfe es eines aussagefähigen Zeitraums. Dies gelte gerade auch für die Anlernphasen, die bei der Klägerin 10 Wochen betragen. Die Speicherung von Feedbackinhalten für 12 Monate hielt das Gericht für grenzwertig, im vorliegenden Fall aber gerade noch für erforderlich, da in diese Zeit vier Feedbackgespräche fallen und hieraus eine Lernkurve entwickelbar und prüfbar sei.

Die Richter hielten der Arbeitgeberin zugute, dass die Leistungskontrollen nicht verdeckt, sondern nach vorheriger Information der Betroffenen über Funktionsweise und Zweck der Datenerhebung erfolgten. Dieser Grundsatz ist spätestens seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Eckpfeiler jeglicher Kontrolle von Beschäftigtenverhalten und findet sich dementsprechend in Artikel 5 der Europäischen Datenschutzgrundverordnung.

Auch gehe mit dem Speichern der Daten aus dem Handscanner keine Verhaltenskontrolle einher, also etwa wo, wer, wann und worüber miteinander redet oder ob jemand während der Arbeitszeit private elektronische Endgeräte nutze und Ähnliches. Es würden desgleichen keine Daten aus der Privat- oder gar Intimsphäre erhoben.

Die Leistungsdaten dürften nach dem bei der Klägerin existierenden Berechtigtenkonzept auch nur von einem begrenzten Kreis von Vorgesetzten und einigen wenigen Mitarbeitenden der Personal- oder Finanzabteilung eingesehen werden.

Das Verwaltungsgericht gewann zudem aus Zeugenaussagen den Eindruck, dass die Mitarbeitenden die durch die Software objektivierte Einschätzung ihrer Leistung sogar schätzten. In der Tat war ein Argument der Arbeitgeberin, dass die oftmals subjektive und möglicherweise fehlerhafte Bewertung durch Vorgesetzte entfalle, was aus Sicht der Arbeitnehmenden fehlerhafte Entscheidungen der Arbeitgeberin zu Lasten der Arbeitnehmenden verringere. Das Verwaltungsgericht sah sogar eine Förderung des Betriebsfriedens, da die effiziente Steuerung Staus und damit Stress für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verminderten. Die in der Verhandlung befragten Zeugen waren allerdings nur der aktuelle und die ehemalige Betriebsratsvorsitzende, die aussagten, „dass jedem Beschäftigten klar sei, dass diese Daten für den Arbeitsprozess benötigt würden“. Warum keine anderen Zeugen gehört wurden, erschließt sich aus dem Urteil nicht.

Den von der Datenschutzbehörde beklagten permanenten Anpassungs- und Leistungsdruck konnte das Verwaltungsgericht nicht erkennen. So gäbe es bei der Klägerin keinen Lohnabzug bei unterdurchschnittlicher Leistung. Zwar würden befristete Verträge möglicherweise bei leistungsschwächeren Mitarbeitenden nicht verlängert, angesichts des Arbeitnehmermarktes würden die meisten Arbeitnehmenden sich aber wohl kaum ununterbrochen um den Verlust ihres Arbeitsplatzes sorgen.

Ausblick

Die Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen. Die Datenschutzbeauftragte Niedersachsens wird nach dem Studium der seit dem 22. März 2023 vorliegenden vollständigen Urteilsbegründung entscheiden, ob eine Berufung beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden soll. Sie hatte aber schon in einer spontanen ersten Stellungnahme zu dem Urteil den Schutz des Persönlichkeitsrechts höher als die ökonomischen Interessen der Arbeitgeberin bewertet. Unabhängig von dieser Entscheidung im Einzelfall fordert sie ein eigenes Gesetz zum Beschäftigtendatenschutz.

Die Parteien der Ampelkoalition hatten im Koalitionsvertrag von 2021 die Schaffung von Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz als Ziel benannt. Man wolle die „Rechtsklarheit für Arbeitgeber sowie Beschäftigte erreichen und die Persönlichkeitsrechte effektiv schützen“ (Koalitionsvertrag, S. 14).

Die Konferenz der unabhängigen deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder erinnerte im Mai 2022, dass der Beschäftigtendatenschutz in Deutschland eine dezidierte Regelung in einem Gesetz erfordere. Der bislang nur für den Beschäftigtendatenschutz heranzuziehende § 26 Bundesdatenschutzgesetz eröffne als Generalklausel noch zu weitgehende Interpretationsspielräume, mit der Folge von Rechtsunsicherheit und auch Rechtsmissbrauch bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigtenkontext.

Die Konferenz wies als ein Beispiel darauf hin, dass auch die Auswertung und Analyse von mit Global Positioning System (GPS) ausgestatteten Fahrzeugen wegen der damit verbundenen Möglichkeit einer permanenten Überwachung einer gesetzlichen Regulierung bedürfe. Besonders schützenswerte persönliche Merkmale wie biometrische Daten von Beschäftigten dürften nur in Ausnahmefällen, die der Gesetzgeber definieren sollte, für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses genutzt werden.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte im Februar 2022 einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Konträr dazu behauptete die Bayerische Staatsregierung in ihrem Entwurf vom 10. Mai 2022 für eine Entschließung des Bundesrates, dass sich die bestehenden Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz bewährt hätten und es gar keinen Bedarf für ein eigenständiges Beschäftigungsdatenschutzgesetz gebe.

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Helge Röstermundt, Rechtsanwalt bei Heussen

Helge Röstermundt

Helge Röstermundt ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH am Standort Berlin.

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