Virtuelle Mitarbeiterbeteiligung: BAG kippt Verfallsklauseln

Arbeitsrecht

Mitarbeiterbeteiligungsprogramme erfreuen sich bei Unternehmen großer Beliebtheit. Ziel dieser Programme ist es, die Beschäftigten unmittelbar an dem wirtschaftlichen Erfolg partizipieren zu lassen. Den Unternehmen stehen dabei verschiedene Modelle zur Beteiligung von Beschäftigten zur Verfügung. Da bei Start-ups die finanziellen Mittel zur Beschäftigung qualifizierter Mitarbeitender beschränkt sind, wird den Mitarbeitenden insbesondere dort häufig mit einer virtuellen Beteiligung eine Teilhabe an einem (ungewissen) zukünftigen Unternehmensverkauf eingeräumt.

Diese virtuellen Beteiligungen stellen einen schuldrechtlichen Vertrag dar, durch den die Mitarbeitenden in vertraglich vereinbarten Fällen wie Gesellschafter des Unternehmens gestellt werden, etwa indem sie im Fall eines Verkaufes des Unternehmens (dem sogenannten Exit) am Erlös finanziell beteiligt werden oder nach Ablauf einer gewissen Zeit eine Auszahlung der Anteile erhalten. Im Unterschied zu echten Geschäftsanteilen finden die für Gesellschafter geltenden gesetzlichen Regelungen auf die Inhaber virtueller Optionen keine Anwendung, was für erhebliche Rechtsunsicherheit im Bereich virtueller Mitarbeiterbeteiligungsprogramme sorgt.

Üblicherweise ist in virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen vorgesehen, dass die virtuellen Optionsrechte erst nach Ablauf einer bestimmten Frist ausgeübt werden dürfen; man spricht von „Vesting“. Dabei werden die Optionsrechte über eine „Vesting-Periode“ gestaffelt – also Stück für Stück – ausübbar, das heißt etwa, dass im Falle eines Exits vor Ablauf der Vesting-Periode nur die bis zu diesem Zeitpunkt verdienten Optionen ausgeübt werden können, eine Beteiligung am Unternehmenserlös also nur im Umfang der bereits gevesteten Optionen erfolgt. Üblicherweise enthalten die Mitarbeiterbeteiligungsprogramme Regelungen dazu, was mit den bereits gevesteten Optionen geschieht, wenn ein Mitarbeitender selbst kündigt. Regelmäßig sollen die bereits angesparten Optionsrechte bei einer Eigenkündigung durch den Mitarbeitenden verfallen. Aber kann der Verfall solcher bereits gevesteter, das heißt „erarbeiteter“ Optionsrechte wirksam vereinbart werden?

Frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte bisher die Auffassung vertreten (Urteil vom 28. Mai 2008 – 10 AZR 351/07), virtuelle Optionen stellten weniger Gegenleistung für erbrachte Leistungen, sondern vielmehr Gewinnchance und Anreiz für zukünftigen Einsatz dar. Aus diesem Grund würde ein Mitarbeitender nicht unangemessen benachteiligt werden, wenn die Ausübung virtueller Optionen nach erfolgter Eigenkündigung nicht mehr möglich sei. Denn durch eine solche Regelung werde keine bereits verdiente Vergütung, sondern lediglich eine Verdienstchance entzogen.

Die neue Entscheidung: Vergütungscharakter „gevesteter“ virtueller Optionen

Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung nunmehr aufgegeben und durch sein neues Urteil vom 19. März 2025 (10 AZR 67/24) deutlich gemacht, dass „gevestete“ virtuelle Optionen auch eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung darstellen. Aus diesem Grund berücksichtigt der sofortige Verfall „gevesteter“ Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Mitarbeitenden nicht angemessen. Eine solche Klausel widerspreche dem Rechtsgedanken des Paragraf 611a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach der Arbeitgeber zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist. Zudem stelle eine solche Verfallsklausel eine unverhältnismäßige Kündigungserschwerung dar, da der Mitarbeitende sein Arbeitsverhältnis nicht kündigen dürfe, um nicht seine Verdienstmöglichkeiten aus den virtuellen Optionen zu riskieren.

Folgen für die Praxis: Prüfung und Anpassung bestehender Optionsprogramme

Das neue Urteil des BAG führt zu erheblichem Änderungsbedarf für bestehende Mitarbeiterbeteiligungsprogramme, die im Vertrauen auf die frühere Rechtsprechung gestaltet sind. Diese sollten nunmehr überprüft und angepasst werden.


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  • Unternehmen, die virtuelle Optionsprogramme unterhalten, sollten diese daraufhin überprüfen, ob der sofortige Verfall von bereits „gevesteten“ Optionen im Fall einer Eigenkündigung des Beschäftigten vorgesehen ist. Ist eine solche Regelung im Rahmen eines virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogramms enthalten, ist diese nach der neuen BAG-Rechtsprechung unwirksam und sollte daher aus den Programmen gestrichen werden.
  • Unternehmen sollten sich darüber bewusst sein, dass Mitarbeitende, die ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben, im Falle eines „Exits“ im Umfang der bereits gevesteten Optionen zur Partizipation am Exit-Erlös berechtigt sind. Zudem fallen bei einer Eigenkündigung des Mitarbeitenden dessen bereits gevestete Optionen nicht zurück in den verfügbaren Optionspool, das heißt sie können nicht an andere Mitarbeitende ausgegeben werden.
  • Auch sogenannte „Bad-Leaver“-Klauseln, die einen vollständigen Wegfall bereits „gevesteter“ Optionen etwa bei verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigungen vorsehen, sollten auf Basis der neuen Rechtsprechung des BAG überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

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Marius Bodenstedt, Revhtsanwalt

Marius Bodenstedt

Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen
Marius Bodenstedt ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen. Er begleitet Unternehmen sowie Körperschaften des öffentlichen Rechts in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, einschließlich des Beschäftigtendatenschutzrechts.

Maria von Rosen

Maria von Rosen ist Rechtsanwältin in der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen in Hamburg. Sie berät Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

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