Was macht Bereitschaftszeit zur Arbeitszeit?

Arbeitsrecht

Obwohl der Fall im Beamtenrecht verortet ist, hat er aufgrund der Anwendung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie auch große Relevanz für die Privatwirtschaft. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wann gilt Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit? Der Kläger, ein Feuerwehrmann im höheren Dienst bei der beklagten Gemeinde, wurde neben seinen normalen Dienstzeiten regelmäßig für sogenannte Alarmbereitschaftsdienstzeiten im Hintergrunddienst (nachfolgend: Bereitschaft) eingesetzt. Während der Bereitschaft musste der Kläger erreichbar und innerhalb einer Ausrückzeit von 90 Sekunden dienstbereit sein. Dafür war er verpflichtet, sein Dienstfahrzeug mit seiner persönlichen Ausrüstung stets mit sich zu führen. Sein Aufenthaltsradius war während der Bereitschaft auf zwölf Kilometer begrenzt.

Zwischen 2013 und 2022 leistete der Kläger jährlich etwa 50 bis 60 Bereitschaftsdienste, von denen er in etwa der Hälfte tatsächlich alarmiert wurde. Die Vergütung der Bereitschaftszeiten erfolgte mit einem Viertel des Gehalts, während die tatsächlichen Einsätze voll vergütet wurden. Der Feuerwehrmann sah jedoch auch die – außerhalb der regulären Dienstzeiten geleiteten – Bereitschaftszeiten als „volle“ Arbeitszeit an. Er machte für die zu niedrig vergüteten Bereitschaftszeiten einen dienstrechtlichen Entschädigungsanspruch geltend.

Feuerwehrmann im Bereitschaftsdienst

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster gab der Klage statt. Bei der Bereitschaftszeit in ihrer besonderen Gestaltung habe es sich um Arbeitszeit gehandelt. In seiner Entscheidung vom 30. September 2024 (6 A 856/23, 6 A 857/23) legt das OVG Münster zunächst zutreffend den binären Ansatz der europäischen Arbeitszeitrichtline dar: Bereitschaftsdienste oder Rufbereitschaft sind entweder Arbeitszeit oder Ruhezeit. Es gibt keine Zwischenkategorie. Ob Arbeitszeit vorliegt, bemisst sich am Freizeitwert der Bereitschaftszeit: Arbeitszeit liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer in seiner Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen Interessen zu widmen, objektiv ganz erheblich beeinträchtigt ist. Hierfür sind zwei Gesichtspunkte entscheidend: Die faktische Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit (1.) in qualitativer Hinsicht durch (a) Kürze der Reaktionszeit und durch (b) die auferlegten Zusatzpflichten (hier: Einhalten eines Radius; Mitführen der Ausrüstung) und (2.) in quantitativer Hinsicht durch die Häufigkeit und Länge der tatsächlichen Einsätze.

Hieran gemessen liege, so das OVG Münster, hier eine erhebliche Einschränkung der Freizeitgestaltung vor, was die Bereitschaftszeit zu Arbeitszeit macht. Durch die auferlegten Vorgaben würden einige Freizeitaktivitäten ganz ausscheiden, wie etwa Aktivitäten in der Natur, da das Auto mitgeführt werden muss. Andere Aktivitäten, wie Kino- oder Konzertbesuche, seien immer mit dem Risiko verbunden, sie jederzeit abbrechen zu müssen. Aufgrund dieser erheblichen Einschränkungen der Freizeit in qualitativer Hinsicht, komme es auf die Häufigkeit und Dauer der Einsätze (also die Einschränkung in quantitativer Hinsicht) gar nicht mehr an.

Praxisfolgen

Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Arbeitnehmer in Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft. Machen die im Bereitschaftsdienst auferlegten Einschränkungen bestimmte Freizeitaktivitäten nahezu unmöglich, liegt – jedenfalls in den meisten Fallgestaltungen – unabhängig von Dauer und Häufigkeit der tatsächlichen Einsätze Arbeitszeit vor. Wird beispielsweise im Bereitschaftsdienst das dauernde Mitführen eines Laptops unter ständiger Gewährleistung einer stabilen Netzwerkverbindung gefordert, steht der Freizeitwert des Bereitschaftsdiensts bereits deutlich infrage. Umso mehr gilt dies bei einer sehr kurzen Reaktionszeit des Arbeitnehmers.

Personalverantwortliche sind daher gut beraten, die Regelungen zu Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft auf den Prüfstand zu stellen und die hierin vorgesehenen Einschränkungen gegebenenfalls anzupassen. Insbesondere sollte geprüft werden, ob nicht bereits kleine Lockerungen in den Einschränkungen große positive Auswirkungen auf den Freizeitwert des Arbeitnehmers haben könnten. Setzt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter falscher Annahme einer nicht voll vergütungspflichtigen Bereitschaft ein, drohen ihm erhebliche Nachzahlungen (der Feuerwehrmann hatte zunächst Vergütung für über 500 Dienste über neun Jahre geltend gemacht) und arbeitsschutzrechtliche Sanktionen.

Weitere Artikel zum Arbeitsrecht:

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Dr. Friedrich Goecke, Rechtsanwalt bei Tylor Wessing

Dr. Friedrich Goecke

Dr. Friedrich Goecke ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Taylor Wessing. Er berät national und international tätige Unternehmen sowie Führungskräfte in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.Einen Tätigkeitsschwerpunkt bildet hierbei die vertragliche und tatsächliche Gestaltung des flexiblen Personaleinsatzes.

Weitere Artikel