Was sich durch die Tarifeinheit ändert

Arbeitsrecht

Der Bundestag hat das Gesetz zur Tarifeinheit beschlossen und der Bundesrat es am 12. Juni gebilligt. Das Tarifeinheitsgesetz dürfte folglich am 1. Juli 2015 in Kraft treten. Mit dem Gesetz bezweckt der Gesetzgeber eine Neuregelung der Tarifsituation in Betrieben, in denen mehr als eine Gewerkschaft vertreten ist.

Rückblick: Von der Tarifeinheit zur Tarifpluralität
Über Jahrzehnte hatte der Grundsatz „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ das Tarifrecht geprägt. Konkurrierten in einem Betrieb mehrere Tarifverträge (Tarifpluralität), sollte nach dem Grundsatz der Spezialität der dem Betrieb am nächsten stehende Tarifvertrag konkurrierende Tarifverträge verdrängen und nur ein Tarifvertrag zur Anwendung kommen. 2010 gab das Bundesarbeitsgericht (BAG) diesen Rechtsgrundsatz mit einem Paukenschlag auf. Die Verdrängung eines von einer Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrags nach dem Grundsatz der Tarifeinheit sei ein nicht gerechtfertigter Eingriff sowohl in die kollektive Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Gewerkschaft als auch in die individuelle Koalitionsfreiheit des an diesen Tarifvertrag gebundenen Gewerkschaftsmitglieds (BAG Urteil vom 7. Juli 2010 – 4AZR 549/08).

Seither können in einem Betrieb Tarifverträge verschiedener Tarifparteien nebeneinander Geltung beanspruchen. Dies ist insbesondere denkbar, wenn im Betrieb verschiedene Berufsgruppen tätig sind.

Mit seiner Entscheidung hat das BAG gerade die Position kleinerer Spartengewerkschaften gestärkt. In Kombination mit dem parallel erfolgenden Abbau der Zahl von Beamten, die einem Streikverbot unterliegen, und der das Streikrecht der Arbeitnehmer weit auslegenden Rechtsprechung des BAG führte dies dazu, dass Arbeitskämpfe – gerade auch in Bereichen der Daseinsvorsorge – weitreichende Auswirkungen haben. Dies haben jüngst wieder die ausdauernden Streiks der Gewerkschaft deutscher Lokführer (GdL) gezeigt, die wiederholt das gesamte Land für mehrere Tage in eine Art Ausnahmezustand versetzt haben.

Zurück zur Tarifeinheit durch Einführung des Mehrheitsprinzips
Das Tarifeinheitsgesetz führt das Mehrheitsprinzip ein. In Fällen der Tarifkollision sollen danach im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar sein, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrages im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Tarifkollisionen durch die Geltung unterschiedlicher Tarifverträge für gleiche Beschäftigtengruppen in einem Betrieb sollen hierdurch vermieden werden.

Daneben sollen flankierende Verfahrensregelungen eine „friedliche Konfliktlösung“ fördern:

Die Gewerkschaften sollen sich hinsichtlich der Geltungsbereiche ihrer Tarifverträge abstimmen (sogenannte gewillkürte Tarifpluralität), als Tarifgemeinschaft Tarifverträge gemeinsam verhandeln, inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen, den Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft nachzeichnen (sogenannter Anschlusstarifvertrag), oder innerhalb eines Zusammenschlusses mehrerer Gewerkschaften verbandsinterne Konfliktlösungsverfahren nutzen. Kommt es zu Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrages, so sollen der Arbeitgeber beziehungsweise die Vereinigung von Arbeitgebern verpflichtet sein, dies bekannt zu geben. Andere Gewerkschaften sind dann berechtigt, ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen.

Gesetz begegnet Kritik auf mehreren Ebenen
Das Gesetz sieht sich in vielerlei Hinsicht Kritik ausgesetzt. Insbesondere begegnet es dem Vorwurf, in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit einzugreifen. Schon die alte Rechtsprechung des BAG zur Tarifeinheit war entsprechend kritisiert und deshalb aufgegeben worden.

Daneben bleiben viele Fragen offen, so dass es künftig vermehrt zur Anrufung der Gerichte durch Gewerkschaften, die jeweils für sich die Anzahl der meisten Mitglieder reklamieren, kommen könnte. Da die Mitgliederzahl im Wege eines „alles oder nichts“-Kriteriums über die Kompetenz für einen Tarifabschluss entscheidet, kann von friedlicher Konfliktlösung zwischen den Beteiligten vermutlich keine Rede sein.

Ob das Tarifeinheitsgesetz in der Lage ist, die bezweckte Befriedung herbeizuführen, ist insofern zweifelhaft. Im Ergebnis werden wohl – wieder einmal – die Arbeitsgerichte Lösungen für die Praxis finden müssen.

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Sylvia Wörz, Foto: Osborne Clarke

Sylvia Wörz

Rechtsanwältin
Osborne Clarke
Sylvia Wörz ist Rechtsanwältin bei Osborne Clarke.

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