Weiterbildung statt Personalabbau?

Restrukturierung

Immer mehr Unternehmen finden sich derzeit in Restrukturierungsszenarien wieder. Die Binnennachfrage schwächelt, und zu dem ohnehin seit längerem schwierigen Management der Lieferketten kommen die globalen politischen Verwerfungen. Zölle und allgemeine Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen schlagen zusätzlich auf die wirtschaftliche Lage. Viele Unternehmen planen daher den Abbau von Personal oder haben bereits mit Restrukturierungsmaßnahmen begonnen.
Doch wer bloß Personal abbaut, denkt möglicherweise zu kurz. In Zeiten der digitalen Transformation und des Fachkräftemangels verschaffen sich solche Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil, die alle Kanäle für die Gewinnung qualifizierter Beschäftigter nutzen – auch die internen Quellen. Werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund von Arbeitsplatzabbau frei, werden sich in dieser Gruppe häufig Personen finden, die wichtige Qualifikationen oder jedenfalls Entwicklungspotenzial haben. Diese Kompetenzen sollten Unternehmen erhalten, indem sie Personalabbaumaßnahmen mit Qualifizierungsprogrammen verbinden.

Veränderte Rahmenbedingungen

Bereits seit einigen Jahren sagen Branchenexperten voraus, die Restrukturierung durch klassischen Personalabbau werde durch Umqualifizierungsmaßnahmen verdrängt. Arbeitsrechtsexpertinnen und -experten referieren über den „Qualifikationssozialplan“ und vergleichbare Gestaltungsmöglichkeiten. Doch praktisch relevant waren derartige neue Ansätze in der Vergangenheit kaum (was sich nun ändert). Die Budgets für Abfindungsregelungen waren hoch genug und der Arbeitsmarkt hinreichend arbeitnehmerfreundlich. Beschäftigte wie Betriebsräte ließen sich daher eher mit attraktiven Abfindungspaketen begeistern als mit Weiterbildungsangeboten.

Doch die Zeiten ändern sich. Abfindungsbudgets werden kleiner, der Fachkräftemangel in vielen Bereichen größer. Und der – zumindest gefühlt – schwierigere Arbeitsmarkt lässt Beschäftigte eher an ihrem Arbeitsverhältnis festhalten. Darum gewinnen alternative Lösungsmöglichkeiten an Bedeutung. Ein noch recht neuer Trend, der aber an Relevanz gewinnt, ist die Bildung einer sogenannten Transformationseinheit. Alternativ wird teilweise der Begriff Qualifizierungsbetrieb verwendet.

Funktion und Sinn einer Transformationseinheit

Die Idee einer Transformationseinheit beruht auch darauf, Kompetenzen im Unternehmen zu erhalten und auszubauen. Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren, erhalten für eine vorgesehene Dauer (oft zwei bis drei Jahre) in der Transformationseinheit Fortbildungsmaßnahmen, denen sie in Vollzeit nachgehen können. Von der bisherigen Arbeitsleistung sind sie freigestellt, zumal der bisherige Job ohnehin entfällt.

Die Transformationseinheit funktioniert damit auf den ersten Blick ähnlich wie eine Transfergesellschaft, in der die Beschäftigten gefördert durch das Transferkurzarbeitergeld für einen begrenzten Zeitraum weiterqualifiziert und in eine Anschlussbeschäftigung vermittelt werden sollen. Doch es gibt einige Unterschiede: Vor allem ist die Transformationseinheit üblicherweise bei der jeweiligen Vertragsarbeitgeberin aufgehängt, jedenfalls aber im Konzern. Die wechselnden Beschäftigten verlassen also nicht ihren Arbeitgeber. Der Wechsel in die Transformationseinheit ist auch nicht zwingend mit einem Enddatum versehen, zu dem Beschäftigte spätestens bei erfolglosen Vermittlungsversuchen auf den Arbeitsmarkt entlassen werden. Konsequenterweise gelten für die Wechsler in die Transformationseinheiten häufig auch nicht die „klassischen“ Abfindungspakete, wie sie für Wechsler in die Transfergesellschaft in Anlehnung an die Abfindung bei regulären Kündigungen vereinbart werden. Der Verbleib der Beschäftigten im Unternehmen macht die Transformationseinheit deutlich attraktiver, weshalb dieses Modell an Beliebtheit gewinnt. Operativ verlieren die Beschäftigten zwar den Bezug zu ihren bisherigen Bereichen. Sie bleiben aber im Betrieb und damit jedenfalls informell im Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen. Auch zeigt der Lebenslauf eine ununterbrochene Unternehmenszugehörigkeit. Das erhöht erfahrungsgemäß die Akzeptanz im Vergleich zum Wechsel in eine Transfergesellschaft, der teilweise mit der (wenn auch meist unbegründeten) Sorge vor Nachteilen bei künftigen Bewerbungen einhergeht.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die Grundlage einer Transformationseinheit wird (und sollte) in der Regel eine Vereinbarung mit dem zuständigen Betriebsratsgremium sein (sofern Betriebsräte im Unternehmen bestehen). Selbst wenn sich mit der Bildung der Transformationseinheit betriebsbedingte Kündigungen oder Aufhebungen vermeiden lassen – allein der parallel eintretende Abbau von Arbeitsplätzen und die Gründung der Transfereinheit werden häufig eine Betriebsänderung nach Paragraf 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) darstellen. Besteht kein Betriebsrat, sollte der Arbeitgeber die Pläne der Belegschaft präzise vorstellen und individuelle Vertragsänderungen mit den Beschäftigten vereinbaren, die in die Transformationseinheit gehen.

Rechtlich zwingend wäre der Abschluss individueller Vereinbarungen nicht. Weil die betroffenen Beschäftigten im Unternehmen bleiben und die Vergütung unverändert bleibt, dürfte die Versetzung in die Transformationseinheit eine zulässige Versetzung darstellen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der bisherige Arbeitsplatz entfallen ist und die Versetzung in die Transformationseinheit der Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung dient. Dennoch sollten Arbeitgeber soweit möglich auf einvernehmliche Lösungen setzen. Die Versetzung in die Transformationseinheit soll der Weiterbildung und letztlich dem Verbleib im Unternehmen dienen. Beschäftigte, die unfreiwillig in die Einheit wechseln, werden kaum die notwendige Bereitschaft zur Mitwirkung haben und im Ergebnis nicht so häufig den gewünschten Weiterbildungserfolg erzielen.

Berücksichtigen sollte der Arbeitgeber bei der Errichtung der Transformationseinheit die öffentliche Förderungsmöglichkeit. Das Transferkurzarbeitergeld nach Paragraf 111 Sozialgesetzbuch (SGB) III wird häufig nicht zur Verfügung stehen. Alternativ kommt dagegen eine Nutzung des sogenannten Qualifikationsgeldes nach Paragraf 82a SGB III in Betracht. Der Arbeitgeber muss aber einen von der Unternehmensgröße abhängigen Eigenanteil für die Fortbildungsmaßnahmen leisten, um die Fördermittel beanspruchen zu können.

Inhalt der Gründungsvereinbarung

Die Vereinbarung mit den Sozialpartnern (oder die Vorgabe des Unternehmens, wenn keine Sozialpartner vorhanden sind) sollte definieren, welche Beschäftigten(-gruppen) für einen Wechsel in die Transformationseinheit in Betracht kommen. Die relevanten Faktoren werden in der Regel sein: 1. ein bestimmter Bereich oder ausgewählte Funktionen, die von der Restrukturierung betroffen sind, 2. die Eingrenzung auf gewisse Altersgruppen – insbesondere für rentennahe Beschäftigte ist ein Wechsel in die Transformationseinheit häufig nicht mehr zweckmäßig – und 3. bestimmte Qualifikationsprofile, die Voraussetzung für die Auswahl sind – zum Beispiel weil die Transformationseinheit nur bestimmte Qualifikationen auf- oder ausbauen soll und die hierfür vorgesehenen Qualifikationsmaßnahmen bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzen.

Für die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten wird die Gründungsvereinbarung dann üblicherweise eine sogenannte doppelte Freiwilligkeit vorsehen. Das heißt, Beschäftigte werden nur freiwillig in die Transformationseinheit versetzt, und zugleich darf der Arbeitgeber einen Wechsel ablehnen, wenn sich zum Beispiel eine Mitarbeiterin meldet, die weiter operativ tätig sein soll. Um die Arbeitgeberentscheidung transparent zu machen, kann mit den Sozialpartnern ein regelmäßiger Austausch vereinbart werden, in dem abgelehnte Personen und die Gründe für diese Entscheidung erläutert werden.


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Ein kritischer Punkt in den Verhandlungen ist oft der „Störfall“ zum Ende der Förderung. Was passiert, wenn Beschäftigte in der vorgesehenen Zeit die vorgesehene Weiterbildungsmaßnahme nicht erfolgreich abschließen oder trotz Weiterbildungserfolg keine Weiterbeschäftigung möglich ist? Der arbeitgeberseitig einfachste Fall wäre das automatische Ende des Arbeitsverhältnisses nach einer definierten Zeit. Alternativ ist der Abbruch der Fortbildung nach Konsultation mit dem Betriebsrat denkbar, wenn das Weiterbildungsziel nicht mehr erreichbar scheint. Dann wird nach Möglichkeit wieder ein Einsatz auf Basis der vorherigen Qualifikation angeboten.
Falls das aber nicht möglich ist – beispielsweise weil der bisherige Bereich nicht mehr existiert –, wird der Arbeitgeber eine Trennungsmöglichkeit haben wollen. Ob die Trennung bereits als Folge in der Gründungsvereinbarung vorgesehen ist und der Arbeitgeber trotz der vorherigen bezahlten Freistellung und Finanzierung der Weiterbildung eine Abfindung wie bei einer Kündigung zahlt, ist letztlich Verhandlungssache. Aufgrund der noch überschaubaren Zahl von Projekten, in denen eine Transformationseinheit gebildet wurde, hat sich – anders als zum Beispiel beim Sozialplan – noch kein Marktstandard herausgebildet.

Die Transformationseinheit ist insbesondere in Restrukturierungen sinnvoll, in denen Beschäftigte mit einer guten Ausgangsqualifikation ihren Arbeitsplatz verlieren, zugleich aber im Unternehmen neue Geschäftsfelder oder Technologien entwickelt werden. Im besten Falle reduziert die Transformationseinheit Restrukturierungskosten und liefert zugleich einen wertvollen Beitrag für den Aufbau neuer Kompetenzen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Struktur. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Christoph Seidler

Osborne Clarke
Christoph Seidler ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Osborne Clarke in Hamburg. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in betriebsverfassungs-rechtlichen Fragen, insbesondere im Kontext von New Work und Arbeitsrecht 4.0.

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