Wieder gesund: So gelingt das BEM-Gespräch

Arbeitsrecht

Wer sechs Wochen innerhalb eines Jahres krank ist, hat einen Anspruch auf ein Gespräch im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). Die Krankschreibung kann sich über den gesamten Zeitraum erstrecken oder wiederholt stattgefunden haben. Dieser Anspruch ist in Paragraph 167 Absatz 2 im neunten Buch des Sozialgesetzbuches festgeschrieben. In der Praxis findet dieses Gespräch oft nicht statt, womöglich weil es als lästige Pflicht empfunden wird. Laut einer repräsentativen Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im Jahr 2018 hat nicht einmal jeder zweite Berechtigte (40 Prozent) ein BEM-Angebot erhalten. Damit geben Arbeitgeber die Chance aus der Hand, etwas zu verändern. Denn fast drei Viertel der Arbeitnehmer:innen (70 Prozent) haben das BEM-Angebot laut Umfrage angenommen.

BEM als Pflicht

Aus Sicht des Arbeitgebers ist das BEM-Gespräch womöglich eine lästige Formalie. Denn juristisch gesehen ist es die Voraussetzung, um zu einem späteren Zeitpunkt eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen. Ein BEM-Gespräch ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung, aber der Gesetzgeber zielt darauf ab, dass vor einer Kündigung mildere Alternativen geprüft werden. Dazu zählen eine stufenweise Wiedereingliederung oder auch eine Veränderung des Arbeitsplatzes. Es muss geprüft werden, ob zum Beispiel technische Hilfsmittel oder ein anderer Arbeitsablauf zur Arbeitsfähigkeit beitragen können. In einem möglichen Kündigungsschutzprozess führt ein fehlendes Gespräch oft dazu, dass die Kündigung scheitert. Der Arbeitgeber müsste beweisen, dass der Arbeitsplatz auch ohne BEM-Gespräch nicht hätte erhalten werden können.

So wird BEM zur Kür

Ein BEM-Gespräch kann auch eine Chance sein und unerwartete Einsichten liefern, wenn es sich nicht auf die Krankheit konzentriert, sondern auf die Frage, was zu dieser Krankheit geführt hat. Ergonomisch oder technisch schlechte Arbeitsbedingungen können chronische Schmerzen oder sogar Arbeitsunfälle verursachen. Eine Arbeitsüberlastung oder eine Unterforderung sind möglicherweise für psychosomatische Beschwerden oder eine Depression verantwortlich. Verdeckte Konflikte mit den Kolleg:innen oder der Führungskraft machen auch krank. In einer geschützten, vertrauensvollen Atmosphäre sind Mitarbeiter:innen eher bereit, die „wahren“ oder verborgenen Gründe ihrer Krankheit zu nennen. Mit diesen Informationen lassen sich die Ursachen oft schnell und kostengünstig aus der Welt schaffen. Die Fehlzeiten werden deutlich zurückgehen.

BEM sticht die Kündigung aus

Wenn Personaler den Aufwand eines gut geführten BEM-Gesprächs mit einer Kündigung, einem Prozess oder den Kosten einer Neubesetzung vergleichen, wird schnell klar, dass ein BEM-Gespräch die kostengünstige, effizientere Alternative ist. Es kann sinnvoll sein, diese Gespräche an externe Berater zu delegieren, wenn die Kapazitäten in der Personalabteilung knapp sind oder bewusst die Neutralität gewahrt werden soll. In jedem Fall leistet ein BEM-Gespräch auch einen Beitrag zur Unternehmenskultur.


Das BEM-Gespräch: Das will der Gesetzgeber

Tobias Pörsel, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Arbeitsrecht im Beraternetzwerk der stg – Die Mitarbeiterberater GmbH nennt die juristischen Vorgaben:

  1. Arbeitnehmer:innen haben einen Anspruch auf das Gespräch. Die Teilnahme ist freiwillig.
  2. Arbeitnehmer:innen können das Verfahren jederzeit beenden. Diagnosen müssen nicht offengelegt werden.
  3. Das Gespräch muss persönlich erfolgen. Zeug:innen sind nicht notwendig.
  4. Zu Gesprächsbeginn: Der:die Arbeitnehmer:in muss auf die Ziele des BEM hingewiesen werden. Diese sind:
    a) Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann.
    b) Klärung, wie eine erneute Arbeitsfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
  5. Arbeitnehmer:innen müssen darüber informiert werden, welche Daten für das Gespräch erhoben und verwendet wurden.

Das BEM-Gespräch: So läuft es menschlich gut!

Tobias Pörsel führt als Coach der stg – Die Mitarbeiterberater GmbH und Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Arbeitsrecht seit 12 Jahren Wiedereingliederungsgespräche. Seine Erfahrung ist:

  1. Klären Sie auf: Weisen Sie Mitarbeiter:innen auf die Freiwilligkeit und darauf hin, dass sie sich nicht äußern müssen.
  2. Konstruktiv sein: Wer durch eine Krankheit geschwächt ist, ist ängstlich. Machen Sie deutlich, dass es nicht um eine formale gesetzliche Vorgabe, sondern um die Arbeitsfähigkeit geht. Manchmal können verdeckte Konflikte mitursächlich sein. Daher kann es hilfreich sein, Erstgespräche ohne Führungskraft zu führen, um die Chance zu steigern, die tatsächlichen Ursachen herauszufinden.
  3. Seien Sie verschwiegen: Das BEM-Gespräch unterliegt der Vertraulichkeit.
  4. Seien Sie offen: Wer ein BEM-Gespräch führt, kennt zunächst nur die Perspektive des Arbeitgebers. Fragen Sie Ihre Arbeitnehmer:inne, was sie verändern möchten, um langfristig gesund zu sein.
  5. Seien Sie verbindlich: Klären Sie mit Ihrem Gegenüber zum Schluss die nächsten Schritte und vereinbaren Sie, welche Informationen an Dritte (Betriebsarzt, Personalverantwortliche, Führungskräfte, Kolleg:innen) von Ihnen und/oder der Person selbst weitergegeben werden können.

Quellen:

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Astrid Travi, Beraterin

Astrid Travi

Astrid Travi ist geschäftsführende Gesellschafterin der stg – Die Mitarbeiter Berater GmbH. Sie verfügt über fast 30 Jahre Beratungserfahrung – im Konzern und selbstständig – mit dem Schwerpunkt der Begleitung berufliche Veränderungsprozesse und Krisenberatung. Diese Themen hat sie auch in leitender Funktion für Siemens und andere Unternehmen verantwortet.

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