Die Metall- und Elektroindustrie ist mit rund 3,9 Millionen Beschäftigten einer der größten Industriezweige in Deutschland. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen leiden viele Betriebe der unter geringer Auslastung. Zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zur Fachkräftesicherung haben die IG Metall Baden-Württemberg und der Arbeitgeberverband Südwestmetall einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen. Dieser ermöglicht es den Betrieben, anstelle von Kurzarbeit oder Entlassungen Beschäftigte vorübergehend an andere Betriebe der gleichen Branche zu überlassen. Damit soll die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Branche gefördert werden. Gesetzliche Grundlage dieses am 1. März 2025 in Kraft getretenen Tarifvertrages ist Paragraf 1 Absatz 3 Nummer 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Danach gilt das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht für die Überlassung von Arbeitnehmern zwischen
- Arbeitgebern desselben Wirtschaftszweiges
- zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen,
- wenn ein für Entleiher und Verleiher geltender Tarifvertrag dies vorsieht.
Hieran knüpft der neue Tarifvertrag zum regionalen Personaleinsatz an, der Kurzarbeit oder Entlassungen in Unternehmen mit Kapazitätsüberhängen vermeiden möchte. Hierzu regelt er zwei Varianten:
- Überlassung zum Kapazitätsausgleich: Hier werden Beschäftigte an andere Unternehmen überlassen, um dazu beizutragen, eine durch Kapazitätsüberhänge bedingte kollektive Absenkung der Arbeitszeit zu vermeiden oder jedenfalls zu vermindern.
- Überlassung zur Erprobung: Diese Variante bezweckt die Erprobung einer Beschäftigungsperspektive in einem anderen Unternehmen, um letztlich von einem laufenden in ein neues Arbeitsverhältnis zu wechseln und so Entlassungen zu vermeiden. Hierzu setzt der Tarifvertrag eine – freiwillige – Betriebsvereinbarung (Paragraf 88 Betriebsverfassungsgesetz) voraus, die insbesondere die maximal mögliche Dauer einer solchen Erprobungsüberlassung (6 Monate) sowie ein vorzeitiges Rückkehrrecht des zur Erprobung überlassenen Mitarbeitenden regelt. Weitergehend empfiehlt der Tarifvertrag, in einer solchen Betriebsvereinbarung die Anrechenbarkeit von Betriebszugehörigkeiten beim Entleiher zu vereinbaren, ebenso Abfindungsregelungen und Rückkehrrechte während der Wartezeit gemäß Paragraf 1 Kündigungsschutzgesetz für den Fall einer erfolgten Übernahme im abgebenden Betrieb zu prüfen.
Wo und für wen gilt dieser Tarifvertrag?
Räumlich gilt er im Tarifgebiet Baden-Württemberg, betrieblich für Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, die diesem Tarifvertrag beigetreten sind (vgl. dazu unten: Wie funktioniert die Überlassung). Mitglieder von Südwestmetall können diesem Tarifvertrag durch gemeinsame Erklärung der Betriebsparteien – also auch des jeweiligen Betriebsrates – gegenüber den Tarifvertragsparteien beitreten. Arbeitgeber, die nicht Mitglied bei Südwestmetall sind, können gemeinsam mit ihrem Betriebsrat bei den Tarifvertragsparteien die Aufnahme in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages beantragen; es hängt dann von der Genehmigung der Tarifvertragsparteien ab, ob die Aufnahme erfolgt.
Unternehmen können ihren Beitritt durch einseitige Erklärung mit Monatsfrist zum Monatsende wieder rückgängig machen. Beantragt ein Betriebsrat den Austritt eines Unternehmens, soll zunächst ein gemeinsames Gespräch zwischen den Tarifvertrags- und den Betriebsparteien eine Einigung herbeiführen. Bleibt dies erfolglos, entscheidet eine tarifliche Schlichtungsstelle analog dem Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung verbindlich über das Austrittsgesuch.
Wie funktioniert die Überlassung?
Verleihen und Entleihen auf Basis dieses Tarifvertrages setzt einen Beitritt zu ihm voraus. Die Überlassung selbst ist allseits freiwillig, setzt also ein Einvernehmen zwischen dem Mitarbeitenden, seinem Arbeitgeber und dem Entleiher voraus. Es ist abzustimmen, ob es sich um eine Überlassung zum Kapazitätsausgleich oder eine Überlassung zur Erprobung handelt. Die (üblichen) Beteiligungsrechte der beteiligten Betriebsräte berührt der Tarifvertrag nicht. Insbesondere wird also die Zustimmung nach Paragraf 99 BetrVG sowohl unter dem Blickpunkt der Versetzung als auch der Einstellung erforderlich sein.
Auf Überlassungen nach diesem neuen Tarifvertrag findet der Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit vom 11. November 2021 keine Anwendung.
Vergütung des Zeitarbeitspersonals
Abweichend von den Vergütungsregeln des ERA-TV (Paragraf 9, Paragraf 14 ff, Anlage 2, Paragraf 2) verpflichtet der neue Tarifvertrag dazu, die festen und leistungsabhängigen variablen Bestandteile des Monatsentgelts weiter zu zahlen, und zwar unabhängig von der Einstufung der übertragenen Arbeitsaufgabe und einem etwa dort erzielten Leistungsergebnis im Entleihbetrieb. Hinzu treten die nach näherer Maßgabe die zeitabhängigen variablen Bestandteile des Monatsentgelts im Durchschnitt der letzten abgerechneten drei Monate vor Überlassung. Die Betriebsparteien des Verleihbetriebs sollen Regelungen zum Ersatz von zusätzlichen Fahrkosten oder sonstigen Mehraufwendungen vereinbaren, die während der Überlassung entstehen.
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Geltungsdauer
Der Tarifvertrag gilt unbefristet und ist mit 3-Monats-Frist zum Monatsende kündbar. Er wirkt nicht, beziehungsweise im Einzelfall nur solange nach, wie auf seiner Basis Arbeitnehmerüberlassungen vereinbart worden sind, bis diese enden.
Praxishinweis
Es handelt sich um einen interessanten Ansatz, Beschäftigungsmöglichkeiten zu erhalten, das Budget der Agentur für Arbeit zu schonen und flexible Mitarbeit zu fördern. Abzuwarten bleibt, ob die Betriebsparteien und vor allen Dingen auch die Belegschaften die darin liegenden Chancen ergreifen.