Inklusion wird meist nur im schulischen Kontext diskutiert. Doch gerade im Berufsleben finden Behinderte oft keinen Platz, auch weil viele Unternehmen lieber Strafe zahlen als einzustellen. Warum das so ist, erläutert Christina Marx von der Aktion Mensch im Interview.
Die Debatte um das Thema Inklusion wird längst öffentlich und durchaus auch sehr emotional geführt, zum Teil auch deshalb, weil es oft um die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in das Schulsystem und damit um Kinder geht. Barrieren gibt es aber nicht nur dort, sondern vielfach auch im späteren Berufsleben.
Oft liegt das daran, dass hier vor allem bei kleineren Unternehmen viel Unsicherheit und auch Unkenntnis über die Unterstützungsmöglichkeiten herrscht, ist Christina Marx, die bei der Aktion Mensch den Bereich Aufklärung leitet, überzeugt. Um das zu ändern und den Blick auf die Chancen und Risiken zu richten, die die großen Trends der nächsten Jahre für die Inklusion mit sich bringen, veranstaltet der Verein am 2. und 3. Dezember den Kongress Inklusion 2025 in Berlin.
Frau Marx, wie weit sind Deutschlands Unternehmen beim Thema Inklusion?
Bei den Konzernen und den öffentlichen Arbeitgebern sind wir da schon recht weit. Großunternehmen haben in den Personalabteilungen vielfach Spezialisten für Diversity, sie kennen sich zum Beispiel schon gut beim Thema barrierefreier Arbeitsplatz oder dem betrieblichen Eingliederungsmanagement aus. Und der öffentliche Dienst muss Menschen mit Behinderung einstellen. Hier ist die Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung schon an der Tagesordnung.
Das trifft allerdings noch nicht auf den Mittelstand und kleine Unternehmen zu. Ab einer Größe von 20 Mitarbeitern sind Unternehmen verpflichtet, fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit einer Schwerbehinderung zu vergeben. Die Mehrheit dieser Unternehmen, insgesamt etwa 60 Prozent, bezahlt jedoch lieber eine Ausgleichsabgabe, als die vorgegebene Anzahl an Pflichtarbeitsplätzen mit Menschen mit Schwerbehinderung zu besetzen.
Warum, denken Sie, zahlen viele Unternehmen eher die Strafen als Menschen mit Behinderungen einzustellen?
Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen wissen einfach zu wenig über mögliche Unterstützungsangebote durch Fachdienste oder Integrationsämter. Oder sie schätzen den technischen und finanziellen Aufwand für die behindertengerechte Umgestaltung von Arbeitsplätzen falsch ein. Häufig ist da auch eine Haltung, die man in etwa so zusammenfassen könnte: Ich habe schon genug Probleme, da binde ich mir nicht noch neue ans Bein.
Herrschen da vielleicht auch immer noch Unsicherheit und Berührungsängste vor?
Wir wissen aus Umfragen, dass nahezu 90 Prozent der Deutschen Inklusion als eine lohnenswerte gesellschaftliche Aufgabe ansehen. Nur: Nicht mal jeder sechste Deutsche hat regelmäßigen Kontakt zu Menschen mit einer Behinderung – also im Freundeskreis, der Familie oder eben bei der Arbeit. Und das führt zu Unsicherheiten und Barrieren im Kopf. Wie gebe ich jemandem, der contergangeschädigt ist, die Hand? Soll ich ihm in bestimmten Situationen Hilfe anbieten oder sagt er schon, wenn er Hilfe braucht? Es bestehen außerdem jede Menge Vorurteile und falsche Vorstellungen mit Blick auf die Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Produktivität von Menschen mit Behinderung. Dabei sind die allermeisten Unternehmer äußerst zufrieden mit ihren schwerbehinderten Mitarbeitern.
Was müsste denn passieren, damit wir einen höheren Inklusionsgrad erreichen?
Vor allem müssen wir den am vermeintlichen Defizit orientierten Blick auf Menschen mit Behinderung durch etwas Positives ersetzen. Unternehmer sollten sehr genau hinschauen, mit welchen Stärken und welcher Loyalität ein behinderter Mitarbeiter einen Arbeitsplatz sucht. Am Ende geht es doch um die Frage, ob der Kandidat einen wertvollen Beitrag zur Wertschöpfung im Unternehmen leisten kann. Und da haben Menschen mit Behinderung genauso viel anzubieten wie jene ohne eine sichtbare Behinderung. Insbesondere mit Blick auf den Fachkräftemangel im Mittelstand sollten Unternehmer sich hier stärker öffnen.
Was will die Aktion Mensch mit der Inklusion 2025 konkret erreichen?
Die Inklusions-Debatte in unserem Land ist sehr auf das Thema Schule zugespitzt. Dabei fallen andere Handlungsfelder wie Arbeit und Technologie oder auch die größere Perspektive einer Gesellschaft, in der möglichst viele selbstbestimmt leben können, hinten runter. Wir wollen uns mit diesem Zukunftskongress von den Tagesdebatten lösen und den Blick nach vorne öffnen. Welche Chancen und Risiken bergen die großen Zukunftstrends wie demografischer Wandel, Digitalisierung und damit einhergehend ein Wandel der Arbeitswelt für die Inklusion? Wir haben zahlreiche Vordenker aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft eingeladen und freuen uns auf sehr spannende zwei Tage.