Ob es atmende Kostenstrukturen, das Arbeiten in Netzwerken oder die nötige Offenheit der Mitarbeiter für Neues ist – die Flexibilisierung der Arbeitswelt stellt die Personalmanager in den Unternehmen vor große Herausforderungen.
Ein bisschen neidisch guckt Udo Fichtner auf Henkel. Der Konsumgüterkonzern setzt bei der Weiterentwicklung seiner Mitarbeiter, die übergreifende Managementaufgaben anvisieren, auf Job-Rotationen zwischen Henkel-Tochtergesellschaften in verschiedenen Ländern. Mindestens zwei Abteilungen, zwei Geschäftsbereiche und zwei Länder sollen die Männer und Frauen gesehen haben. „Triple Two“ heißt dieses Prinzip, das zum Know-how-Transfer innerhalb von Henkel beitragen soll.
„So etwas schwebt mir für uns auch vor“, sagt Udo Fichtner mit einem Lächeln, „Henkel ist da allerdings schon ein bisschen weiter als wir.“ Fichtner ist Konzern-Personalleiter der Hirschvogel Automotive Group, einem Familienunternehmen in Denklingen. Der Automobilzulieferer aus Oberbayern hat rund 4.000 Mitarbeiter und ist wahrlich ein guter Arbeitgeber. Wer bei Hirschvogel arbeitet, hat so was wie eine unausgesprochene Beschäftigungsgarantie. Es gibt Mitarbeiter, die haben schon ihr 50-jähriges Betriebsjubiläum bei Hirschvogel gefeiert. Die Geschäfte laufen auch ganz gut. Es kann also alles bleiben, wie es ist – so denken zumindest einige Beschäftigte der Firma. Udo Fichtner denkt das nicht. Er ist dabei – ganz langsam – einen Kulturwandel voranzubringen. Und dazu gehört zum Beispiel, Auslandsaufenthalte zu einem festen Bestandteil der Talententwicklung zu machen. „Schon bei der Rekrutierung schauen wir, ob er oder sie auch mal international eingesetzt werden kann“, sagt der Personalleiter. Das sei früher anders gewesen.
Das Auslandsgeschäft wird für die Hirschvogel Automotive Group immer wichtiger. Das Unternehmen wächst an allen Standorten, aber in Asien doch weit überproportional. Dort wird 2020 vielleicht schon ein Viertel des Gesamtumsatzes generiert. Klar, dass es da Leute braucht, die bereit sind, die Grenzen des oberbayerischen 2.500-Seelen Dorfes zu verlassen. „Ein Auslandsaufenthalt ist ein absolut wichtiger Karrierebaustein. Man kann in dem Geschäft nicht mitmischen, wenn man nicht weiß, wie in China die Uhren ticken“, ist sich Fichtner sicher.
Für Fichtner geht es allerdings um mehr als das Abhaken von Auslandsstationen. Das Zauberwort heißt: lebenslanges Lernen. Das ist es, was für ihn vor allem Flexibilität bedeutet. Die Mitarbeiter sollen vielfältige Erfahrungen machen und damit ihren Horizont und ihr Verständnis für das Business vergrößern. „Das Geschäft da draußen ist so kompliziert und komplex geworden, wir können da nur mithalten, wenn die Mitarbeiter gedanklich und auch praktisch dieser Komplexität gerecht werden“, sagt Fichtner, „das geht nur, indem sie immer wieder Neues dazulernen. Das macht sie flexibel einsetzbar und produktiver, weil sie die Gesamtzusammenhänge besser einschätzen können.“
So sehen das viele Personalchefs in deutschen Unternehmen. „Im Rahmen der heutigen Talent-Management-Systeme sind die Erfahrungsprofile der Mitarbeiter sehr wichtig geworden“, sagt Philipp Hölzle, Partner und Gründer der Beratung HRpepper, „bevor eine Position besetzt wird, guckt man genau, was der Kandidat vorher gemacht hat. War der vielleicht in drei, vier oder fünf verschiedenen Fachabteilungen vorher? Die klassische Kaminkarriere ist schon lange out.“
Der breite Erfahrungshorizont ist nicht nur etwas, das bei Akademikern gefragt ist. Bei Hirschvogel strebt man die sogenannte funktionale Flexibilität auf Basis einer breiten Qualifikation auch in der Produktion an. Es wird ein Gruppenarbeitskonzept angewendet, das es möglich macht, dass Mitarbeiter sich gegenseitig vertreten und von einer Maschine zur anderen wechseln können.
Die Beschäftigungsfähigkeit erhalten
Seiner sozialen Aufgabe werde das Unternehmen vor allem dann gerecht, wenn es hilft, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten und nicht allein dadurch, dass es Leute beschäftige, ist Udo Fichtner überzeugt. Das sieht aber nicht jeder so im Unternehmen. Der Personalchef hat noch viel Arbeit in Sachen Kulturwandel vor sich.
Ein neues Produkt, das vertrieben wird, eine neue Technologie, die eingeführt wird, ein neuer Markt, in den man eintritt – die Fähigkeit zu lernen, und das möglichst schnell, war nie so wichtig wie heute. Allerdings passt die unternehmerische Praxis in Sachen Lernen in vielen Fällen noch nicht zu der Art, die nötig wäre und wie die junge Generation lernt. Die schaut sich auf YouTube um, nutzt E-Learnings, vor allem schaut sie selbstständig nach dem Wissen, das gebraucht wird – schnell und unmittelbar. „Da haben viele Unternehmen Nachholbedarf“, sagt Philipp Hölzle, „das klassische Klassenzimmer-Training ist abgemeldet.“
Es passt auch nicht zu der Form, wie wir zukünftig arbeiten. Und die wird flexibler werden. Treiber sind die Dynamik der globalisierten Märkte und Technologien wie Social Media, Cloud Services und mobile Endgeräte. Video-Konferenzen zum Beispiel gibt es mittlerweile in jedem größeren internationalen Unternehmen.
Und Tablets und Smartphones machen uns nicht nur unabhängig vom Arbeitsort, sie machen die eigene Arbeit effizienter. So sind bei dem dezentral organisierten Handelskonzern Metro viele HR Business Partner mit Tablets ausgestattet. Auf Mitarbeiterdaten und wichtige Kennzahlen des jeweiligen Marktes kann der Business Partner über sein mobiles Gerät zugreifen.
Entscheidender jedoch ist, dass sich Teams zukünftig immer wieder neu zusammensetzen. „Wir werden bei der Projektarbeit einen signifikanten Zuwachs erleben. Sie wird bis 2025 um etwa 30 Prozent ansteigen“, sagt Michael Geke, Partner und Head of People and Change bei KPMG. Und in diesen Projektteams wird es immer häufiger Menschen geben, die nicht beim Unternehmen angestellt sind. Für HR könnte sich da ein großes Betätigungsfeld auftun. Denn schließlich geht es hier um die Frage, woher Innovationen in Zukunft kommen – nämlich immer häufiger im Zusammenspiel von Menschen aus verschiedenen Bereichen. Firmen arbeiten mit den Kunden, mit Partnerunternehmen, mit Zulieferern und Forschungseinrichtungen zusammen. Für eine solche Zusammenarbeit muss es bei den Beschäftigten aber eine Offenheit geben. „Die Kulturarbeit muss durch HR passieren“, sagt Philipp Hölzle. Wie schafft man es, vertrauensvoll mit Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten? Wie holt man die Kundenstimme in den Entwicklungsprozess? „Das ist mehr als Instrumente und Prozesse zu malen. Das sind komplett neue Arbeitsformen. Das sehe ich als ein Riesenfeld, das durch HR gestaltet werden kann“, so Hölzle.
Agile Organisationen werden notwendig
Stephan Grabmeier, Gründer der Beratung Innovation Evangelists, hat eine ähnliche Einstellung. „Innovationen entstehen immer weniger aus der Mitte des Unternehmens, sondern an der Peripherie. Strukturen und der Mindset zur Öffnung des Unternehmens in Richtung neuer Ausgründungen, Partnering, Incubation oder Intrapreneurship für neue Ideen sind zukünftige Kernaufgaben in HR“, schrieb er einmal in einem Beitrag für den Human Resources Manager.
Aber es muss nicht gleich um Innovationen gehen. Generell ist festzustellen, dass die Berührungsängste bei Unternehmen, Kompetenzen einzukaufen, immer kleiner werden. Das denkt auch Michael Geke. „Nicht jede Kompetenz muss im Unternehmen vorgehalten werden“, sagt er, „auch Kompetenzen, um Entwicklungen voranzubringen, können eingekauft werden.“ Nur bei Schlüsselkompetenzen sei es etwas anderes.
Die Idee einer Belegschaft, die sich in Stamm- und Randbelegschaft teilt, ist schon ziemlich alt. Auf Leiharbeit oder Werkverträge setzen zahlreiche Unternehmen. Das dynamische Umfeld verlangt zunehmend adaptive und agile Organisationen. Und HR versucht seinen Beitrag mit einer Flexibilisierung der Belegschaft zu leisten. „Die Sorge, nicht ausreichend auf Konjunkturveränderungen reagieren zu können, treibt diese Bemühungen voran“, sagt Michael Geke, „das ist Teil eines marktphasenorientierten HR Managements, das Unternehmen anstreben.“
Die Sorge kann man derzeit unter anderem bei den Autoherstellern und den Zulieferern beobachten. Die Unternehmen wollen in Zusammenarbeit mit Betriebsräten und Gewerkschaften mehr Handlungsspielraum unter anderem beim Einsatz der Produktionsarbeiter erlangen. Beispiel BMW: Dort gibt es einen Stufenplan, der vorsieht, bei einem Absatzrückgang von zehn Prozent Schichten absagen zu können. Dafür werden Stunden auf den Arbeitszeitkonten genutzt. Auch bei Bosch können bei Umsatzrückgängen von bis zu 20 Prozent an den jeweiligen Standorten die Arbeitszeiten abgesenkt werden.
„Der Flexibilitätsbedarf hat in der Autoindustrie stark zugenommen“, sagt Jörg Krings, Partner der Strategieberatung Booz & Company. Ein Grund hierfür sei neben der Volatilität der Märkte auch die zunehmende Anzahl an globalen Standorten, an denen jeweils mehr Modelle als früher produziert würden. Eine konstante Auslastung ist quasi unmöglich. „Es gibt immer entweder Kapazitätsspitzen oder Rückgänge.“ Ein weiterer Grund in Bezug auf die Zulieferer ist ein stärker ausgeprägtes Customizing, also der zunehmende Wunsch der Kunden zum Beispiel nach Sonderausstattungen, die man im Vorfeld häufig schlecht planen könne, sagt Krings. Die Flexibilität auf dem Kundenmarkt treibt die Flexibilität in der Belegschaft. Und trotzdem wollen die Hersteller weiter den Absatz steigern – ohne dass die Personalkosten proportional mitwachsen. Jörg Krings nennt das „Wachsen ohne zu wachsen.“
Manche sind auf externes Wissen angewiesen
Externe Beschäftigte spielen aber nicht nur in der Produktion eine Rolle. IBM hat im vergangenen Jahr Aufsehen mit seinen Plänen hinsichtlich einer Liquid Workforce erregt. Und Linde baut weltweit große Industrieanlagen mit ein paar Dutzend eigenen Ingenieuren vor Ort, die mehrere externe Ingenieure steuern. Auch an Standorten der großen Autohersteller sind Mitarbeiter von Ingenieursdienstleistern eine feste Größe. Und es geht meistens nicht nur um Kosten und flexiblen Einsatz. Mehr und mehr sind Unternehmen darauf angewiesen, auf Wissen zuzugreifen, dass im eigenen Unternehmen nicht vorhanden ist. Die Grenzen zwischen Flexibilität und Abhängigkeit sind in solchen Fällen fließend.
Was man jedoch in jedem Fall beobachten kann, ist eine Verschiebung und zunehmende Durchlässigkeit der Organisationsgrenzen – „eine zentrale Charakteristik des derzeitigen Trends zu größerer Flexibilisierung der Beschäftigungsformen“, sagt Stephan Kaiser. Er ist Professor für Personalmanagement an der Universität der Bundeswehr in München und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. Er ist der Meinung, dass HR in flexiblen und offenen Unternehmen eine wichtige Rolle beim Management der gesamten humanbasierten Wertschöpfung einnehmen sollte. Eine Konzentration allein auf traditionelle Normalbeschäftigte sei dabei nicht mehr zeitgemäß. „Es braucht einen systematischen und professionellen Blick auf alle humanen Leistungspotenziale“, sagt Kaiser. Hierbei seien alle Instrumente und Funktionen des Personalmanagements betroffen.
Allen voran die Königsdisziplin: die strategische Personalplanung. Die, was die Bedarfsermittlung angeht, bei den meisten noch in den Kinderschuhen steckt, wie Philipp Hölzle von HRpepper anmerkt.
Und schon steht die nächste Herausforderung für HR vor der Tür: Nämlich bei der Entwicklung verschiedener Szenarien nicht nur die eigenen Angestellten im Blick zu haben, sondern eine wirkliche Kapazitäts- und Kompetenzplanung vorzunehmen. Wobei egal ist, wo die Kompetenzen vorhanden sind.
Bei alledem darf jedoch die Kernmannschaft nicht außer Acht gelassen werden. Denn so wie das Unternehmen auf Flexibilität angewiesen ist, sind es auch die Mitarbeiter. „Denen muss man mit vielfältigen Flexibilitätskonzepten entgegen kommen“, sagt Michael Geke von KPMG, „wir müssen in Korridoren denken, Leitplanken vorgeben, innerhalb dieser sich Mitarbeiter selbstständig organisieren. Damit reduzieren wir Komplexität.“
Der Fokus liegt auch auf Mitarbeiterbindung
Es ist charakteristisch für unsere Zeit, dass die Entwicklungen paradox erscheinen. Unternehmen brauchen Flexibilität in der Belegschaft und sind doch auf ihre Talente angewiesen, weshalb diese mehr und mehr die Bedingungen diktieren können. Hinzu kommt etwas anderes: „Die Leute gieren in der schnelllebigen Zeit nach Heimat“, sagt Philipp Hölzle. Und „je mehr wir Flexibilität betonen, desto wichtiger wird das Thema Bindungsmanagement.“ Irgendwie auch paradox.