Auch wenn noch viel zu selten über Klassismus gesprochen wird, prägt er unsere Arbeitswelt immens. Barrieren sind oft unsichtbar, mitunter nehmen nicht einmal die Betroffenen sie bewusst wahr. Trotzdem entscheidet Klassismus maßgeblich darüber, wer in unserer Arbeitswelt bevorteilt oder benachteiligt wird. Aber wie genau sieht Klassismus, also die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, im beruflichen Umfeld aus?
Klassismus begegnet einem in der Arbeitswelt zum Beispiel in Form unbezahlter Praktika. Vor allem Personen ohne finanzielle Unterstützung der Eltern oder durch andere Zuschüsse können sie sich nicht leisten. Wer hier nicht mitziehen kann, dem entgehen Berufserfahrungen und vor allem wichtige Kontakte für das berufliche Netzwerk. Aber auch bei Entwicklungsgesprächen und Gehaltsverhandlungen schneiden von Klassismus betroffene Personen in der Regel schlechter ab: Ihnen fehlen wichtige Vergleichs- und Erfahrungswerte, die in diesen Situationen helfen würden. Oft scheitert es aber bereits aufgrund von Bewerbungsverfahren und fehlenden Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten Positionen am Einstellungsprozess. Erstakademiker, also Menschen, die als erstes in ihrer Familie ein Studium beginnen, können auf kein elterliches Netzwerk zurückgreifen und von der sozialen Stellung ihrer Eltern profitieren – anders als beispielsweise Kinder aus Akademikerfamilien. Den Aufsteigerinnen fehlt aufgrund dessen das „Insiderwissen“ über inoffizielle Codes, Gepflogenheiten und Abläufe. Es entsteht ein Ungleichgewicht, das nur schwer wieder in Waage gebracht werden kann.
Klassismus benennen
Um diese Barrieren nachhaltig und systematisch abzubauen, gibt es jedoch konkrete Möglichkeiten, die Unternehmen umsetzen können. Zu Beginn ist es dabei wichtig, Klassismus auf die Agenda zu bringen. Unternehmen brauchen offene Gespräche über Klassismus, um daraus lernen und reflektieren zu können. Denn das größte Hindernis ist nach wie vor das fehlende Problembewusstsein in vielen Unternehmen. Doch erst wenn wir den exkludierenden Status Quo verstehen und annehmen, können wir ihn im nächsten Schritt verändern. Darum ist es unerlässlich, immer wieder über das Thema der sozialen Herkunft zu sprechen.
Ein privilegiensensibles Recruiting
Ebenso unabdingbar ist ein kritisches Hinterfragen von Einstellungsverfahren, denn sehr häufig sind die Einstellungsprozesse in Unternehmen voreingenommen. Sie basieren auf Zuschreibungen und Vorurteilen, weil wir Menschen längst nicht so objektiv sind, wie wir zu behaupten mögen oder von uns selbst denken. Diese Biases benachteiligen Aufsteigerinnen und Arbeiterkinder ausdrücklich, denn ein akademischer Habitus wirkt auf uns besonders kompetent. Eine äußerst eloquente Ausdrucksweise mit Fremdwörtern, ein Studium an einer prestigeträchtigen Privatuniversität, viele Auslandssemester und wertvolle Praktika – all diese Dinge hängen eng mit der sozialen Schicht und den finanziellen Mitteln des unterstützenden Umfeldes zusammen. Den Personen, deren Familien nicht über die entsprechenden Mittel verfügen, werden diese Dinge nicht in die Wiege gelegt. Es ist daher essenziell, dass wir in Einstellungsverfahren privilegiensensibel agieren. Denn im Recruiting können diese vermeintlich feinen Unterschiede unsere Einschätzung über die Eignung von Bewerbern und Kandidatinnen verzerren.
Die Macht der Vorbilder und Mentorinnen
Nicht zu unterschätzen ist die Wirkmacht von Vorbildern. Viele Aufsteiger finden sich immer wieder in neuen Räumen und Kontexten wieder, in denen sie die Ersten sind. Das prädestiniert sie dafür, Scham zu empfinden, vielleicht sogar ein Impostor-Syndrom zu entwickeln.
Impostor-Syndrom
Betroffene des Impostor-Syndroms, auch Hochstapler-Syndrom genannt, fühlen starke Selbstzweifel bezüglich der eigenen Karriere. Häufig denken sie, ihr Erfolg sei nur auf glückliche Zufälle zurückzuführen. Aufgrund dessen empfinden sie Angst, von anderen Personen als Hochstapler oder Betrügerin enttarnt zu werden.
Es hilft auf mehreren Ebenen, wenn Unternehmen bewusst Vorbilder zeigen, die einen ähnlichen Weg gegangen sind und anschlussfähig für die Lebensrealität von Aufsteigerinnen sind. Es kann Angst oder Unsicherheit nehmen, Mut machen und zeigen: Es ist möglich. Dabei spielt auch ein stärkendes Unterstützungsnetzwerk eine wichtige Rolle. Mentorinnen können absolute Gamechanger sein. Da Aufsteiger ihre Karrierefragen in der Regel nicht mit ihrem familiären Umfeld besprechen können, sind sie auf sich allein gestellt. Systematisches Mentoring kann hier Abhilfe schaffen und Barrieren abbauen, indem informelles Wissen und tatkräftige Unterstützung für alle zugänglich gemacht werden.
Zusatztalente schätzen
Nicht zuletzt ist es wichtig, dass sich Unternehmen klar positionieren. Soziale Aufsteiger bringen zahlreiche Zusatztalente mit, die unsere Gesellschaft und Arbeitswelt viel mehr schätzen dürften. Dazu gehören das Navigieren zwischen mehreren Welten, sehr viel Resilienz und eine Extraportion Mut! Unternehmen dürfen und sollten Aufsteigerinnen daher als die Heldinnen sehen, die sie sind, und sich proaktiv um sie bemühen. Um diverse Talente für sich zu gewinnen, könnten soziale Aufsteigerinnen im Employer Branding und Recruiting gezielt adressiert werden. Hier sind Kooperationen mit entsprechenden Personen, Initiativen und Organisationen in Kombination mit einer expliziten Ansprache der beste Weg.
An dieser Stelle ein Plädoyer für mehr Transparenz beim Thema Geld, denn ohne geht es nicht: Jede Gehaltsrange in der Ausschreibung und jedes vergütete Praktikum, ist ein Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit.
Den Klassismus in unserer Gesellschaft und Arbeitswelt zu überwinden, ist ein beschwerlicher Weg. Aber er ist alternativlos, wenn wir faire Chancen für alle wollen. In viel zu vielen Fällen entscheiden der familiäre Hintergrund und die soziale Stellung der Eltern über unseren beruflichen Erfolg, sodass die vermeintlich feinen Unterschiede in der Realität riesig sind. Die gute Nachricht ist: So wie es ist, muss es nicht bleiben! Wir alle haben die Möglichkeit und die Verantwortung, uns gegen Klassismus stark zu machen. Dazu brauchen wir ein konstruktives Umdenken in Unternehmen und ein klares Bekenntnis dazu, dass unsere Vielfalt unsere Superkraft ist. Unsere Unternehmenskulturen müssen sich verändern und inklusiver für alle sozialen Hintergründe werden.