Gehaltsverhandlungen sind für Angestellte oft eine Tortur, für die Gegenseite aber genauso. Wie können Personaler und Vorgesetzte mit unterschiedlichen Verhandlungstypen umgehen und Forderungen entschärfen, ohne Mitarbeiter zu vergraulen? Wir haben das mal mit einem Experten durchgespielt.
Jürgen Hesse zeigt den ausgestreckten Mittelfinger – und lacht. Hesse ist Experte für Gehaltsverhandlungen, und er weiß sehr wohl, dass man diese Geste dabei niemals nutzen sollte. Aber zumindest innerlich, sagt er, zeigten ihn viele Personaler, würden sie von Mitarbeitern allzu direkt mit unerfüllbaren Forderungen konfrontiert. Seit fast 30 Jahren betreibt Jürgen Hesse zusammen mit Hans Christian Schrader eine Agentur für Bewerbungs- und Karriereberatung. Als Hesse/Schrader haben sie mehr als 200 Bücher zum Thema geschrieben, auch über Strategien bei Gehaltsverhandlungen. In diesen seien nicht nur Angestellte äußerst angespannt, sondern auch die Gegenseite, schließlich gehe es ums Tabuthema Geld.
Gerade deswegen sei es für Vorgesetzte wichtig, sich gut vorzubereiten: Sie haben nichts zu verschenken, wollen aber gleichzeitig nicht das Verhältnis zu den Mitarbeitern unnötig belasten. Um herauszufinden, wie man sich in verschiedenen Szenarien behauptet, habe ich mich mit Jürgen Hesse für ein Rollenspiel zusammengesetzt. Er spielt den Personaler, der möglichst elegant die Forderungen der Mitarbeiter nach unten verhandelt – ohne bei ihnen das Gefühl aufkommen zu lassen, über den Tisch gezogen zu werden.
Szenario 1: Mehr Geld, weil es an der Zeit ist
Mitarbeiter: Danke, dass Sie sich heute Zeit genommen haben. Ich möchte mit Ihnen über mein Gehalt sprechen.
Personaler: Okay, ich höre.
Ich bin jetzt seit sieben Jahren im Unternehmen, seitdem gab es keine Gehaltserhöhung. Allein die Inflation macht in dieser Zeit, zurückhaltend gerechnet, zehn Prozent mehr aus – und eigentlich wäre nach so langer Zeit sicher auch eine zusätzliche Erhöhung drin. Aber ich bin realistisch und wünsche mir nur zehn Prozent mehr, den Inflationsausgleich also.
Ich verstehe Sie. Zehn Prozent bekomme ich aber niemals durch bei den Finanzleuten, das tut mir leid. Unsere Firma hat auch anstrengende Jahre hinter sich, wir sind finanziell gerade nicht auf Rosen gebettet.
Das mag sein, aber das kann nicht heißen, dass ich effektiv immer weniger bekomme.
Ich weiß, ja. Ich kann Ihnen drei Prozent mehr anbieten, vielleicht auch 3,5. Aber das ist eigentlich schon über der Schmerzgrenze.
Hm, das ist nicht wirklich viel. Ich muss meine Miete zahlen, alles wird teurer. 3,5 Prozent bringen da kaum was. Ich fühle mich jetzt ein bisschen abgespeist, ehrlich gesagt.
Okay, ich sehe schon, ich muss da mal mit den Finanzleuten sprechen, am Ende entscheiden die ja alles. Lassen Sie uns nächsten Montag noch mal reden.
[Eine Woche später]
Haben Sie über Ihre Forderung nachgedacht?
Ja, habe ich. Ich denke, sechs Prozent mehr wären angemessen.
Okay, das ist immer noch viel zu viel. Ich habe ein Okay für 3,5 Prozent mehr. Wenn wir uns jetzt auf vier einigen, kriege ich das hin.
Na gut, dann vier Prozent. Hand drauf!
Fazit: Der Dialog beinhaltet vieles, was für alle Verhandlungen gilt. Dem Mitarbeiter wird signalisiert, dass seine Bedürfnisse ernst genommen werden, um die Spannung aus dem Gespräch zu nehmen. Gleichzeitig macht man deutlich, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen können – das Vorschieben einer höheren Instanz, in diesem Falle der „Finanzleute“, ist ein Vorgehen, das man nicht überstrapazieren sollte, das aber akzeptabel ist, wenn es wirklich Sparzwänge im Unternehmen gibt. Wenn die Positionen klar sind, bietet es sich an, zusätzliche Zeit rauszuholen: So wird vermieden, in einer Stresssituation ein finales Ergebnis zu erzwingen. Der Mitarbeiter könnte sonst Druck verspüren, alles auf eine Karte zu setzen. Mit etwas Ruhe wird er merken, dass mehr als vier Prozent wirklich nicht drin sind – und mit diesem Ergebnis dann hoffentlich zufrieden sein.
Szenario 2: Die Kollegin verdient mehr
Wir müssen uns über mein Gehalt unterhalten. Ich habe aus zuverlässiger Quelle erfahren, nicht von ihr selbst wohlgemerkt, dass Frau Brüning wesentlich mehr verdient als ich. Und zwar an die 1.000 Euro.
Wow, okay, das wäre natürlich wirklich eine große Differenz. Ich weiß jetzt aber nicht auf Anhieb, was Frau Brüning und was Sie bekommen. Da müsste ich mich genau erkundigen. Können wir uns nächste Woche noch mal sprechen?
Können wir gerne machen, aber ich kann Ihnen garantieren, dass die Information so stimmt. Mir wäre wichtig, dass Sie sich dafür einsetzen, dass es eine gleiche Entlohnung gibt.
Ich verstehe Ihr Anliegen, aber bitte verstehen Sie auch mich. Ich kann nicht ohne tiefere Kenntnis des Sachverhalts irgendwas versprechen. Wir reden nächste Woche darüber.
[Eine Woche später]
Okay, ich habe mir das mal zeigen lassen. Es sind nicht ganz 1.000 Euro, aber 824 Euro sind natürlich trotzdem eine ganz schöne Stange Geld. Man muss berücksichtigen, dass Frau Brüning schon länger dabei ist und auch drei Kinder zu versorgen hat. Sie ist ja alleinerziehend, wie Sie wissen.
Ich gönne Frau Brüning natürlich ihr Gehalt. Ich will bloß nicht so viel weniger bekommen.
Ja, natürlich, das ist verständlich. Wir haben demnächst das Jahresgespräch, und Sie beenden ja auch bald dieses große Projekt, an dem Sie sitzen. Was halten Sie davon, wenn wir dann konkret über mehr Geld verhandeln? Ich hätte dann wesentlich bessere Argumente gegenüber dem Vorstand, kann aber nicht versprechen, dass es 800 Euro mehr werden. Das muss ich leider jetzt schon sagen.
Na ja, vielleicht finden wir andere Wege. Ich überlege schon lange, ob man nicht über einen Tag Homeoffice die Woche reden könnte? Ich habe zwar nicht drei Kinder, aber auch eine kleine Familie. Die wird es danken. Was meinen Sie?
Darüber werde ich nachdenken, und dann reden wir. Wir finden sicher eine Lösung, in vier Wochen ist schon das Jahresgespräch.
Fazit: Die Vorgesetzte war zu Beginn des Gesprächs erst einmal in der Defensive, denn das Argument der Gehaltslücke ist ein gewichtiges. Sie hat aber nicht den Fehler gemacht, blinde Zugeständnisse zu machen. Nach einer Woche kehrt sie mit einer deutlich stärkeren Verhandlungsposition zurück: Es sind nicht 1.000 Euro, sondern „nur“ 824 Euro Unterschied. „Das ist eigentlich unerheblich, aber in dieser Situation gewinnt man mit so etwas Land“, sagt Jürgen Hesse. Am Ende ist klar, dass die Erhöhung moderat ausfallen wird, mit dem Angebot eines Homeoffice-Tags ist einiges gewonnen. „Profis haben richtige Listen darüber, welche nichtmonetären Leistungen sie in Gehaltsverhandlungen einbringen können, um finanzielle Forderungen abzu-
federn“, sagt Hesse. Die Zahl der Kinder als Gehaltsargument anzuführen, hält er für zulässig. Schließlich gebe es zum Beispiel auch bei betriebsbedingten Kündigungen eine Sozialauswahl, „warum also auch nicht bei Gesprächen über das Gehalt?“
Szenario 3: Mehr Geld – oder ich gehe
Ich mache es kurz, wir haben ja beide gut zu tun. Ich will sieben Prozent mehr Gehalt, sonst bin ich raus. Ingenieure werden gerade gesucht.
Oh, das finde ich jetzt aber bedauerlich, dass Sie gleich mit Kündigung drohen. Wir können doch über alles reden, ich dachte, das wissen Sie.
Ja, weiß ich, deshalb frage ich ja nach mehr Geld.
Sie sind gerade im Stress, merke ich. Also noch mal von vorne, bevor wir das andere besprechen: Gefällt es Ihnen bei uns nicht mehr?
Doch, auf jeden Fall. Aber ich habe das Gefühl, dass ich im Vergleich zu Kollegen anderer Firmen gehaltsmäßig immer mehr ins Hintertreffen gerate.
Lassen Sie mich ganz offen sprechen: Wir sind nur ein kleiner Mittelständler, wir können nicht so viel bieten wie andere. Dafür gibt es hier ein Grundvertrauen, ich kenne alle Mitarbeiter persönlich. Aber ich kann jetzt nicht auf einen Schlag 500 Euro mehr locker machen, das ist auch eine Gerechtigkeitsfrage gegenüber Ihren Kollegen. Was halten Sie davon, wenn ich beim Finanzchef mal mit 150 Euro ins Rennen gehe und wir nächste Woche erneut sprechen?
150 Euro, da bleiben mir am Ende 80 Euro mehr, das ist nicht viel. Aber lassen Sie uns nächste Woche reden.
Fazit: Der Mitarbeiter geht sehr aufgeregt ins Gespräch und wirkt dadurch geradezu aggressiv. Da der Chef gleich zu Beginn Ruhe ins Gespräch bringt, bekommt er die Kontrolle über die Verhandlung. Am Ende ist der Kollege froh, dass die Sache verschoben ist, er fühlt sich nicht wohl in seiner Rolle. Eine Woche später wird er einer Erhöhung von 260 Euro zustimmen. „Wenn die Aufregung weg ist, wird man sich irgendwo in dieser Region einigen“, sagt Jürgen Hesse. Die Erpressungsstrategie hält er für sehr ungeschickt, denn mit ihr riskiert jeder Arbeitnehmer den Vertrauensbruch. „Gut möglich, dass man am Ende nicht über mehr Geld, sondern über die Abfindung diskutiert.“
Szenario 4: Die emotionale Ansprache
Es tut mir leid, dass ich Sie überfalle, Frau Schmidt, aber ich bin finanziell in einer akuten Notlage. Meine Tochter hat demnächst ihre Klassenfahrt, und ich kann im Moment nichts abknapsen, um das zu bezahlen. Seit der Trennung von meiner Frau habe ich keinerlei Spielräume mehr. Ich brauche mehr Gehalt.
Tut mir leid, das zu hören. Wie viel kostet denn die Klassenfahrt?
200 Euro.
Okay, das kriegen wir hin. Sie bekommen diesen Monat eine Sonderzahlung als Prämie, bitte reden Sie nicht mit Ihren Kollegen darüber. Eine Gehaltserhöhung ist zwar gerade nicht drin, aber wir können beim Jahresgespräch darüber reden.
Gut, vielen Dank, das hilft mir erst mal weiter. Aber es wäre wirklich gut, wenn wir später noch mal über mehr Gehalt sprechen können.
Ich schaue, was ich machen kann.
Fazit: „Vorgesetzte sollten in so einer Situation schnell zu einer Lösung kommen und nicht kleinlich sein“, empfiehlt Jürgen Hesse. Als einmalige Zahlung fielen die 200 Euro kaum ins Gewicht, und man erspare sich erst einmal eine Gehaltsverhandlung. Für Arbeitnehmer ist eine auf Emotionen setzende Strategie daher kaum anzuraten: Denn der Gegenseite wird damit ermöglicht, sich mit vermeintlich generösen Gesten – zum Beispiel einer einmaligen Prämie – „freizukaufen“. Sie vermeiden es damit, über langfristige Gehaltserhöhungen zu sprechen. Für Arbeitgeber wiede-
vrum besteht die Gefahr, dass andere Mitarbeiter, kriegen sie Wind davon, ebenfalls auf die einmalige Leistung bestehen. Allerdings sei mit etwas Glück davon auszugehen, dass der begünstigte Mitarbeiter es für sich behält, um sich nicht vor Kollegen rechtfertigen zu müssen.
Wie auf dem Pferdemarkt
So kompakt wie in den Rollenspielen werden sich Gehaltsverhandlungen in aller Regel nicht gestalten. „Am Ende läuft es meist darauf hinaus, sich in der Mitte zu treffen, das ist dann oft wie auf dem Pferdemarkt“, meint Jürgen Hesse. Um nicht zu oft über Gehalt verhandeln zu müssen, empfiehlt Hesse Arbeitgebern, selbst spätestens alle zwei Jahre eine Anpassung vorzunehmen. „Das hat den Charme, dass man erst mal selbst über die Höhe entscheidet“, sagt er. Fordert ein Mitarbeiter mehr, sei dieser in der schwierigeren Position, dies zu begründen.
Jürgen Hesse ist Psychologe und Karrierecoach. Seit 1992 leitet er das Beratungsunternehmen Hesse/Schrader, das über acht Standorte in Deutschland verfügt. Gemeinsam mit Co-Autor Hans Christian Schrader schrieb er zahlreiche Bestseller zu den Themen Gehalt, Bewerbung und Karriere.