Interne Kommunikation: Es fehlt der gemeinsame Kaffee

Personalmanagement

Frau Dr. Retzbach, zahlreiche Unternehmen in ganz Deutschland kämpfen gerade um ihre wirtschaftliche Existenz, viele Beschäftigte fürchten um ihren Arbeitsplatz. Als wäre dem nicht genug, sorgen sich Mitarbeiter:innen um ihre Gesundheit und die ihrer Familien. Welche Rolle muss die interne Kommunikation jetzt einnehmen?
Aus meiner Sicht gleich mehrere: Zum einen sehe ich die Abteilung für interne Kommunikation als Informationszentrale. Sie muss für die Belegschaft die aktuellen Regelungen im Unternehmen aufbereiten und über Neuerungen informieren. Viele Entscheider:innen sind zu zögerlich, weil sie sich erst dann an die Mitarbeiter:innen wenden wollen, wenn es eine endgültige Lösung gibt. Die gibt es in diesen Zeiten aber nicht. Es geht deshalb darum, nachvollziehbar zu erklären, wie und weshalb sich Regeln ändern. Und transparent zuzugeben: Bestimmte Dinge können wir gerade nicht absehen, aber wir sind uns dessen bewusst und arbeiten daran, eine Lösung zu finden.

Zum anderen ist gerade jetzt wichtig, dass sich interne Kommunikationsabteilungen auf ihre Schnittstellenfunktion in beide Richtungen besinnen: Es geht eben nicht nur darum, Informationen an die Mitarbeiter:innen weiterzugeben, sondern auch darum, deren Ängste und Sorgen in der Krise aufzugreifen. Was gilt, wenn die Schulen plötzlich schließen? Woran fehlt es im Homeoffice? Was passiert, wenn jemand erkrankt? Das sind Fragen, die drängen und die die interne Kommunikation aktiv ansprechen muss.

+++Schon in „normalen“ Zeiten ist nicht garantiert, dass eine Botschaft so verstanden wird, wie es der Sender erhofft. Eine Ausnahmesituation wie die Corona-Krise steigert das Potenzial für Missverständnisse noch weiter. Bei der Tagung Interne Kommunikation am 5. und 6. November erklärt Dr. Andrea Retzbach den Nutzen der Psychologie für die interne Kommunikation – digital und in Berlin.+++

Könnte man mit zu vielen Informationen auch Ängste schüren?
Zu viele Informationen können durchaus stressen. Vor allem, weil es aufwendig ist, relevante von persönlich irrelevanten Mitteilungen zu unterscheiden. Aber bei Themen, die die Mitarbeiter:innen ohnehin schon beschäftigen, kann man aus meiner Sicht Menschen Ängste nur schwer einreden. Sie sind in der Regel da, oder eben nicht. Viele Führungskräfte denken zwar: Wenn wir gewisse Dinge nicht ansprechen, gibt es sie auch nicht. Aber das ist ein Trugschluss, der Flurfunk ist meistens sowieso schneller.

In der Anfangszeit der Krise herrschte in der internen Kommunikation vielfach Verunsicherung. Kehrt jetzt langsam Routine ein?
Ja, das kann man tatsächlich beobachten. Mittlerweile sehe ich in Bezug auf die Kommunikation Parallelen zu Change-Prozessen: Auch da ist es wichtig, transparent zu sein, die Mitarbeiter mitzunehmen und einzubinden.

Viele Menschen arbeiten im Homeoffice. Was ist aus psychologischer Sicht bei der Kommunikation über digitale Kanäle problematisch?
Die digitale Kommunikation an sich ist eigentlich gar nicht das Problem, gerade dann, wenn man etwa mit Videokonferenzen arbeitet. Es gibt nur wenige Nachteile, wenn man sich anschaut, wie gut man verstanden wird oder wie Arbeitsprozesse ablaufen. Allerdings ist es natürlich eine Typfrage, manche Menschen kommen damit einfach schlechter zurecht. Zum Beispiel weil sie sich vom Umgang mit den technischen Hilfsmitteln überfordert fühlen oder weil sie viel Energie aus dem persönlichen Kontakt mit Kolleg:innen ziehen. Andere, zum Beispiel sehr introvertierte Menschen, genießen jetzt unter Umständen die Möglichkeit, im Homeoffice mehr in Ruhe arbeiten zu können.

Was ganz klar fehlt, ist die informelle Kommunikation: Der Kaffee, den man zwischendurch trinkt, das Schwätzchen auf dem Flur, die Mittagspause, die man gemeinsam verbringt. Insbesondere für Mitarbeiter:innen, die noch nicht lange im Unternehmen sind, ist das problematisch. Sie lernen ihre Kolleginnen und Kollegen nicht kennen und sie können keine Netzwerke bilden. Die braucht man aber, um zu wissen, wen man bei welchen Problemen anspricht. Aber auch bei den Mitarbeiter:innen, die schon länger im Unternehmen sind, kann das Gefühl der Verbundenheit leiden. Denn das kommt eben vor allem über den persönlichen Kontakt und darüber, sich über das konkrete Meeting-Thema hinaus zu unterhalten.

Lässt sich das ersetzen?
Das ist schwierig. Aber es wird in der Regel auch nicht versucht. Man könnte zum Beispiel eine gemeinsame virtuelle Mittagspause einführen, in der man sich über private Dinge unterhält. Oder aktiv Gesprächszeiten ohne konkreten Arbeitsbezug einräumen. Ich höre allerdings vermehrt von Klient:innen, dass die Zeit für solche Gespräche fehlt. Auch deshalb, weil sie sich generell zu wenig Puffer und Pausenzeiten einräumen: Alle Unterhaltungen müssen jetzt geplant werden und es gibt keine Wege zwischen den Meeting-Räumen, in denen man auch einmal durchschnaufen könnte. Gerade Führungskräfte öffnen für ihre Mitarbeiter ihre Kalender, damit diese dort jederzeit Gesprächszeit buchen können. Es gibt so kaum mehr Zeit, Dinge langfristig zu planen, Projekte strategisch voranzubringen und an die Zukunft zu denken. Man hastet nur noch von Termin zu Termin. Das kann die Gefahr für einen Burn-out erhöhen.

Sehen Sie es auch als Aufgabe der internen Kommunikation, darauf hinzuweisen?
Ja, sie kann Tipps zur psychischen Gesundheit aufbereiten, Fallstricke aufzeigen und auch prüfen, welche Unternehmenskultur hier aktuell gelebt wird. Wenn bereits gute Ideen zum Umgang mit Belastungen während der Corona-Zeit im Unternehmen umgesetzt werden, kann man das ebenfalls an alle kommunizieren.

Viele Führungskräfte fragen sich gerade, wie sie erkennen können, ob es einem Mitarbeiter schlecht geht…
Das ist in der Tat schwierig, wenn alle im Homeoffice arbeiten. Viele Führungskräfte glauben, sie müssten diagnostizieren können, wenn Mitarbeiter:innen gerade in einen Burn-out rutschen oder eine Angststörung entwickeln. Das müssen sie nicht, dafür gibt es Profis. Aber um Indikatoren zu nennen: Wenn Mitarbeiter:innen, die sonst sehr zuverlässig sind, plötzlich Fehler machen und Termine nicht mehr einhalten, sich emotional sehr verändern und zum Beispiel vermehrt weinen oder gereizt reagieren oder sich sozial stark zurückziehen, dann sollte man sie auf jeden Fall ansprechen – auch virtuell. In vielen Unternehmen gibt es als Unterstützung für Führungskräfte und Mitarbeiter:innen auch entsprechende Hotlines oder das Angebot, den Psychosozialen Dienst hinzuzuziehen.

Sie sind unter anderem als Coach und Therapeutin tätig: Mit welchen Sorgen kommen Menschen in diesen Zeiten zu Ihnen? Hat sich seit der Pandemie etwas verändert?
Interessanterweise hat die Corona-Krise bei vielen dazu geführt, dass sie sich mehr Gedanken über die großen Fragen im Leben machen: Was sind denn eigentlich meine Lebensziele, was will ich? Wofür stehe ich? Das kann man übrigens auch auf Organisationsebene weiterdenken, auf der man sich genau diese Fragen nun teilweise auch häufiger stellt als noch vor der Krise. Das ist durchaus eine Chance.

Ansonsten wirkt die aktuelle Situation wie ein Brennglas, das bereits bestehende Herausforderungen weiter verstärkt. Menschen, die alleine leben, leiden zum Teil stärker als sonst unter Einsamkeit. Wer schon vorher Schwierigkeiten hatte, sich von der Arbeit abzugrenzen und auch mal abzuschalten, kommt jetzt im permanenten Homeoffice abends häufig kaum zur Ruhe. Es kann auf jeden Fall hilfreich sein, sich mit den Kolleg:innen über solche Herausforderungen während der Corona-Zeit auszutauschen.

In Krisenzeiten sind Mitarbeiter:innen besonders hellhörig, wenn es um die Unternehmenskommunikation geht: Jedes gesprochene Wort kann eines zu viel sein, jedes Schweigen bietet Raum für Gerüchte. Auch interne Kommunikator:innen selbst stehen jetzt unter einem immensen Druck – was raten Sie jenen, die diesem Druck ausgesetzt sind?
Im Grunde rate ich ihnen das, was ich allen rate, die so einen Druck verspüren: Arbeiten Sie daran, eine gesunde Haltung zur Arbeit zur entwickeln, die da lautet „Ich mache meinen Job so gut ich kann – nicht mehr und nicht weniger“. Das mag banal klingen, aber in der Regel haben Menschen, die diesen Druck verspüren, eine andere Haltung. Sie meinen, nie Fehler machen zu dürfen und das Leistungsniveau immer gleich hoch halten zu müssen. Das ist aber nicht möglich. Sein Bestes zu geben, ist wichtig. Aber es ist keine feste Größe: An den Tagen, an denen ich weniger erfolgreich war oder weniger geschafft habe, habe ich wahrscheinlich trotzdem mein Bestes gegeben. Abgesehen von der eigenen Leistung spielen außerdem ja meistens auch viele andere Faktoren mit herein, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Viele Menschen fühlen sich für Dinge verantwortlich, die sie gar nicht alleine beeinflussen können.

Man muss sich auch klar machen: Kommunikation ist wichtig, aber sie hat auch Grenzen. Man kann als interner Kommunikator noch so gut kommunizieren, man wird es nicht schaffen, alle Mitarbeiter:innen da abzuholen, wo sie gerade stehen und man wird es auch nicht schaffen, alle Ängste oder Sorgen zu nehmen. Selbstfürsorge ist deshalb gerade sehr wichtig. Zu schauen, wie es einem geht. Und wenn alles nur noch schlecht scheint: Hilfe suchen beim Hausarzt oder Psychologen – dafür sind wir da.

Zur Person:

Dr. Andrea Retzbach hat interne Kommunikation zunächst als Personalentwicklerin selbst gestaltet und später an der Universität Koblenz-Landau dazu geforscht und publiziert. Heute ist sie systemische Beraterin in Wiesbaden und arbeitet mit Einzelpersonen und Organisationen an Fragestellungen rund um Kommunikation und Entwicklung.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren

Weitere Artikel