Noch immer grün hinter den Ohren

Nachhaltigkeit

Vor ein paar Jahren noch waren es nur wenige Start-ups, die ökologisches Handeln und Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell in den Blick genommen haben. Inzwischen ist das Thema zunehmend in den Unternehmen präsent. Denn nicht nur Umweltaktivisten und Nichtregierungsorganisationen, auch vermehrt Konsumenten und Kundinnen fordern ökologisch nachhaltige Produkte und Leistungen. Das Handlungsprinzip der Nachhaltigkeit wird zudem immer mehr gesetzlich vorgegeben. Stichwort Environmental Social Governance, kurz ESG. Erst kürzlich hat die Evaluierung der umweltgerechten sozialverträglichen Unternehmensführung enormen Auftrieb erfahren: Seit Januar fordert die Gesetzgebung, dass Unternehmen den Anteil ihres Umsatzes, der als nachhaltig klassifiziert wird, berichten müssen. Einen branchenspezifischen Rahmen zur Bestimmung nachhaltiger „grüner“ Umsätze liefert dabei das Europäische Parlament mit der Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852. Sinn und Zweck der Verordnung ist unter anderem, die notwendige Transparenz hinsichtlich ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten zu bieten und sogenanntes Greenwashing zu verhindern.

Vom Menschen entkoppelt

Kurzum: Unternehmen sind gezwungen, in Zukunft ökologisch verantwortlicher und nachhaltiger zu agieren. Die Frage, welche Rolle HR dabei spielen kann, ist zumindest in der Wissenschaft nicht neu. Green Human Resources Management, die Potenziale einer grünen und HR-basierten Transformation auf dem Weg zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit, wird schon seit fast 20 Jahren erforscht. Und in der Praxis? Dort herrscht noch weitgehend Leere, was HR-Aktivitäten betrifft, die das Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit verfolgen. Das liegt daran, dass ökologische Nachhaltigkeitsbestrebungen in den meisten Unternehmen im strategischen Management verortet und selten an den Personalbereich angebunden sind. So lautet zumindest eines der Hauptforschungsergebnisse des Teams um Professor Michael Müller-Camen von der Wirtschaftsuniversität Wien, er ist führend im Forschungsbereich Green HRM. Müller-Camen zufolge werden ökologische Aspekte in Bezug auf das Personalmanagement in den rund 250 von ihm analysierten Nachhaltigkeitsberichten nicht abgebildet: „Das Nachhaltigkeitsthema ist quasi vom Menschen entkoppelt: Die Unternehmen beschreiben in ihren Nachhaltigkeitsberichten, was sie tun, um die CO2-Emission zu senken. Es kommt aber nicht zum Ausdruck, dass hinter diesen Aktivitäten Menschen stehen.“

Die HR-Beraterin Alexandra Hiekel bestätigt die wissenschaftlichen Beobachtungen für die Praxis: „Die Nachhaltigkeitsbemühungen der Unternehmen bleiben auf der organisatorischen und technischen Ebene stecken.“ Sie hat im November vergangenen Jahres das auf Green HRM spezialisierte Beratungsunternehmen HR4Green mitgegründet. Eben genau mit dem Ziel, das Thema in den Blickwinkel der HR-Abteilungen zu rücken. Fernab des Personalmanagements sind die Betriebe laut Hiekel bislang in erster Linie damit beschäftigt, auf Nachhaltigkeitsvorgaben und -regularien zu reagieren. Eine Kulturentwicklung hingegen finde nicht statt.

HR ist kein Treiber

Eine Studie von HR4Green in Kooperation mit Meta Five und der Alanus Hochschule Alfter untermauert Hiekels Beobachtung: Den 74 befragten HR-Professionals aus kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Konzernen ist zwar zum Großteil bewusst, dass der Natur- und Klimaschutz zu den wichtigsten Herausforderungen ihres Unternehmens gehört. Dementsprechend halten sie es für erstrebenswert, eine grüne Unternehmenskultur im Betrieb zu fördern sowie klare Prinzipien und Leitlinien für grüne Entscheidungen und grünes Verhalten einzuführen. Verwirklicht haben sie davon allerdings noch wenig.

HR ist sich seiner Verantwortung und den Chancen, die das Thema ökologische Nachhaltigkeit in sich trägt, noch nicht richtig bewusst, sagt Alexandra Hiekel. Eine bekannte Situation scheint sich auch beim Thema Green HRM zu wiederholen: Das Personalmanagement erweist sich zu wenig als Treiber eines Zukunftsthemas und tut sich entsprechend schwer damit, sich in eine Rolle hin zum Business Partner zu entwickeln. Dabei wäre diese Rolle mehr als naheliegend. Schließlich geht es, wie Alexandra Hiekel betont, bei Green HRM grundsätzlich darum, einen Transformationsprozess durch Organisations- und Personalentwicklung zu unterstützen.

Knackpunkt: Bewusstsein schaffen

Wie bei jeder Transformation müssen auch bei einer grünen Ausrichtung des Unternehmens die Beschäftigten ins Boot geholt werden. So haben sich auch Wissenschaftler Müller-Camen und sein Team bei ihrer wissenschaftlichen Forschung insbesondere darauf konzentriert, die für ein grünes HRM nötigen psychologischen Komponenten herauszufiltern. „Was brauchen die Beschäftigten, um involviert zu sein? Was, um ihnen bewusst zu machen, dass Nachhaltigkeit und umweltverträgliches Handeln am Arbeitsplatz wichtig sind?“, nennt Müller-Camens wissenschaftlicher Mitarbeiter Raik Thiele die in diesem Zusammenhang wesentlichen Fragen. Die Antworten liefert er gleich mit: Von großer Bedeutung sind das Vorbildverhalten der Führungskräfte, die Kommunikation der Nachhaltigkeitsziele und eine Priorisierung des Umweltthemas. Letzteres korrespondiert gleichzeitig mit der Auflösung von Zielkonflikten. „Steht weiterhin ausschließlich eine Gewinnmaximierung des Unternehmens im Vordergrund, erschwert das den Mitarbeitenden, ein ökologisch ausgerichtetes Verhalten zu entwickeln“, sagt Thiele.

Bleibt die Frage, wie diesen Aspekten in der Praxis Ausdruck verliehen werden kann. Beeline, ein internationaler Hersteller von Modeschmuck und Accessoires, hat sich diesbezüglich im vergangenen Jahr auf den Weg gemacht und Nachhaltigkeit als Guiding Principle für die tägliche Arbeit aller Angestellten erhoben – und so das Thema im Unternehmensleitbild verankert. „In diesem Zusammenhang haben wir auch auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Denk- und Verhaltensweisen in unserem Kompetenzmodell aufgenommen“, berichtet Julia Kohorst, HR Specialist Talent and Development bei Beeline. Damit meint sie beispielsweise das Streben nach umweltfreundlichen Lösungen oder den umsichtigen und kosteneffizienten Umgang mit Ressourcen. In der Praxis bleiben solche Richtlinien oftmals abstrakt und werfen Fragen auf. Daher sollen die Kompetenzen laut Kohorst fortan im Jahresdialog mit den Führungskräften besprochen werden. Die Beschäftigten können Unsicherheiten thematisieren und Fragen stellen, was die Umsetzung der Nachhaltigkeitskriterien betrifft – etwa die Berücksichtigung CO2-neutraler Alternativen. „In den Gesprächen geht es weniger um eine Bewertung, sondern es stehen Möglichkeiten, Erfolge und der Verbesserungsbedarf für das ökologisch ausgerichtete Verhalten der einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Fokus“, sagt Kohorst.

Gestalten und gestalten lassen

„Wird Nachhaltigkeit mit dem Unternehmensleitbild verbunden, hat das Human Resources Management automatisch mehr Möglichkeiten, eine grüne Kultur zu schaffen – angefangen von der Entwicklung des Kompetenzmodells über die sich daran orientierende Personalauswahl, Personal- sowie Führungskräfteentwicklung bis hin zur Vergütung“, sagt Alexandra Hiekel. Letzteres bedeutet, dass die Leistungsbeurteilung mit Kriterien für umweltgerechtes Handeln verknüpft wird. Davon sind die meisten Unternehmen allerdings noch weit entfernt. Viele fangen mit kleinen Dingen an, etwa indem sie Firmenfahrräder anschaffen, Geschäftsreisen durch Videocalls ersetzen oder mehr Biokost in der Kantine anbieten. „Das ist zumindest ein Anfang: Die Leute beginnen, über Nachhaltigkeit zu sprechen; so können neue Ideen entstehen“, meint Hiekel.

„HR sollte ökologische Nachhaltigkeit im Unternehmen nicht nur gestalten, sondern vor allem auch gestalten lassen“, sagt Rasmus Oertel, HR Director bei Schneider Electric in Zürich. Der Elektrotechnik-Konzern ist in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit vergleichsweise weit – vorrangig, weil sein Management die Umweltleistung als geschäftskritisch betrachtet und so kontinuierlich nach deren Verbesserung strebt. HR hat dabei die Mittlerrolle zwischen den Managementzielen und den Beschäftigten – und nimmt damit eine wichtige Aufgabe bei der Umsetzung der Bestrebungen wahr, wie Oertel berichtet. „Wir klären unsere Mitarbeitenden nicht nur über unsere Ziele auf und vermitteln Kompetenzen für nachhaltiges Denken und Handeln in Trainings. Wir geben den Menschen auch den nötigen Spielraum sowie Impulse, um selbst aktiv zu werden“, sagt er. Wer zum Beispiel am Biodiversitätsprogramm teilnehmen oder sich in einer Naturschutzorganisation engagieren wolle, werde dafür freigestellt. Mittels solcher Möglichkeiten wachse Motivation gleichermaßen wie das Selbstverständnis für Nachhaltigkeit. Auch bei Beeline ist Eigeninitiative ein wichtiges Prinzip. So engagieren sich die Angestellten freiwillig in den sogenannten We-Care-Gruppen, in denen sie vom Nachhaltigkeitsmanager begleitet werden, der wiederum im engen Austausch mit HR steht.

„Partizipation zu ermöglichen, ist wichtig, wenn man nachhaltiges Verhalten im Unternehmen stärken will“, fasst Raik Thiele zusammen. Gerade für Unternehmen, die mit dem Thema noch ganz am Anfang stünden, sei daher naheliegend, in einem ersten Schritt Interessierte für ein Brainstorming zusammenzubringen. So könne man sich gleichzeitig einen Überblick verschaffen, was innerhalb der Organisation an grünem Engagement möglich wäre. HR-Beraterin Alexandra Hiekel empfiehlt als Einstieg eine Befragung der Beschäftigten, um zu erfassen, wie es um die grüne Kultur im Unternehmen bestellt ist. Für sie besteht ein weiterer entscheidender Vorteil dieser Vorgehensweise darin, dass HR die Interessen und Wünsche der Mitarbeitenden erfährt und diese ins Management tragen kann.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Selbstverständnis. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Petra Walther ist freie Journalistin in Bonn.

Petra Walther

Petra Walther ist freie Journalistin in Bonn.

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