Sprache als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements

Mental Break(down)

Im Jahr 2021 begleitete meine Firma eine Organisation bei einem umfassenden Change-Prozess. Als ich mich neulich mit der Kundin austauschte, sagte sie zu mir: „Dieser sprachliche Change-Prozess mit euch hat uns echt über die Pandemie-Krise gerettet.“ Ich war verblüfft: In der Regel stoßen Change-Prozesse intern auf Ablehnung und haben kein positives Image bei den Mitarbeitenden. Was war hier anders gelaufen? Wie hat der Prozess dazu geführt, dass die Involvierten sich psychisch besser fühlten und sogar als Team enger zusammenwuchsen? War Sprache für sie eine Art des Teambuildings oder gar psychotherapeutische Intervention?

Menschen sind Gewohnheitstiere und verunsichert, wenn ihr Alltag nicht mehr abläuft wie sonst. Wenn wir ehrlich sind, kennen wir diese Situation alle seit gut 2 Jahren: das neue (alte) Homeoffice, die neue virtuelle Kollegin, die „neue Normalität“ durch Corona. Seit 24 Monaten sind wir in der „Pandemie-Krise“, welche laut der DPtV (Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung) eine um 40 Prozent erhöhte Nachfrage nach Psychotherapie verursacht hat. Krisen – egal ob individuell oder kollektiv – brauchen per se zwei Dinge, um als solche existent zu werden:

  • Im Denken: Die kognitive Anerkennung und Interpretation als solche;
  • Im Sprechen: Die sprachliche Benennung und damit Festsetzung als solche (negativ konnotiert: Krise; positiv abgemildert: Herausforderung, neutraler: Phase oder Episode)

Bei der Corona-Pandemie ist die Bezeichnung als Krise sicherlich in der Mehrheit der Gesellschaft unstrittig. Wer selbst psychologisch versiert ist oder wie ich viele Jahre Psychotherapie, Coaching und Analyse hinter sich hat, kennt die Krise vielleicht auch aus der psychologischen Fachsprache oder der eigenen ICD-10-Diagnose, zum Beispiel als depressive Krise oder Episode. Aus der individuellen Psychotherapie übertragen auf organisationale Kontexte lässt sich ähnliches beobachten: Sprache scheint auch in organisationalen Transformationsprozessen eine viel größere Rolle zu spielen als gemeinhin angenommen: Im Anerkennen von Realitäten und im Benennen von diesen – im positiven wie negativen Sinne. Damit kann sie uns ungemein entlasten, indem sie Wahrnehmungen Form gibt und sie sagbar werden lässt.

Sprachlos in der Krise?

Schon zu Beginn der Corona-Pandemie war klar: Sprache und Kommunikation haben einen sehr hohen Stellenwert, denn das schlimmste, was in diesen Zeiten passieren kann, ist, dass Menschen nicht (mehr) miteinander sprechen. Sprachlosigkeit. Im Corona-Handbuch Krisenkommunikation habe ich das gemeinsam mit Noah Fleischer ausführlich beschrieben. Mit sprachlichem Austausch unter den Mitarbeitenden, sei es in der Krise oder über die Krise ist eine ungewisse Situation definitiv besser zu bewältigen. Dies schafft eine soziale Bindung unter allen „Betroffenen“, die weit wertvoller ist als reine „Arbeitsaufrechterhaltungspolitik“. Sie erinnert uns, über nationale Grenzen und Hierarchien hinweg, dass wir alle menschliche, verwundbare Wesen sind, die Stabilität, Sicherheit und eine gewisse Vorhersehbarkeit in ihrem (Arbeits-)Leben schätzen.

Hier kommt meine Kundin wieder ins Spiel. Zufällig entdeckte sie, dass die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Grundannahmen bis hin zur Identität den Zusammenhalt im Team während dieser Zeit stärkte. Es wurde ein Kanal geschaffen, in welchem Mitarbeitende Verlässlichkeit erfuhren, ähnlich eines Kontrapunkts in der Musik, einer Note, die über das gesamte Stück hin bestehen bleibt. Wer sind wir? Wofür stehen wir? Was sehen wir als selbstverständlich an? Was nicht? Sie fand verschiedene Wortarten mit unterschiedlichen Aspekten der Identität: Substantive (Verantwortung) zeigten an, welche Werte die Organisation sich zuschreibt; mit Verben wurden Handlungen festgesetzt (fördern, helfen, heilen); Adjektive definierten die Art und Weise, in der die Organisation sich und ihre Handlungen verstand (sicher, nahbar).

Denn was passiert mit Menschen in einer Krise? Sie fühlen sich isoliert, allein gelassen, haben Zukunftsängste. Mitgefühl, ein sprachliches-Sicherheit-Geben und gegenseitiges Zuhören – all das wird ermöglicht mittels Sprache. Sprache ist also einerseits ein Medium, um Inhalte überhaupt erst zu transportieren eine individuelle oder organisationale Haltung auszudrücken. Andererseits wird sie fest in der Organisation verankert und formt dadurch die Organisation mit. Wer es also schafft, Mitarbeitende mit der eigenen Sprache durch eine Krise zu begleiten, wird es anschließend gedankt bekommen: durch höhere Motivation, besseren Zusammenhalt und wahres Team-Commitment. Davon kann auch das betriebliche Gesundheitsmanagement noch einiges lernen.

Sprache als Faktor für BGM?

In den späten 2010ern war das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) davon geprägt, die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Mitarbeitenden zu verringern. Die Angebote waren vor allem auf Rückengesundheit fokussiert, während der Erhalt der psychischen Gesundheit höchstens in akuten Fällen berücksichtigt wurde. Der Beginn der Corona-Pandemie sorgte wie in vielen Lebensbereichen auch im BGM für einen Shutdown: Kaum ein Angebot war mit dem Homeoffice vereinbar. Nur allmählich verbreiteten sich gesundheitsfördernde Angebote durch verschiedene Gesundheits- oder Stressvermeidungs-Apps. Ab 2021 begann das BGM wieder ganzheitlich an Bedeutung zu gewinnen. Es wurde die Notwendigkeit erkannt, gesundheitsfördernde Maßnahmen dezentral zu denken und einen Fokus auf psychische Gesundheit zu legen. Nach einigen Lockdowns war klar, dass soziale Interaktionen und Hilfen digital für Körper und Seele angeboten werden müssen.

Und hier kommt die Sprache wieder ins Spiel: Wird die Unternehmenskultur (virtuell) geöffnet, Angebote mit den Mitarbeitenden gemeinsam geplant und in den Alltag integriert, erreichen die Angebote des BGM eine breitere Basis. Insbesondere ein unternehmensweiter Austausch zwischen Abteilungen – beispielsweise während eines Change-Prozesses, an dem alle beteiligt sind – kann hier ein Gefühl des Zusammenhalts und der Gemeinschaft bieten.

Auch die sprachliche Teilhabe an Genesungen oder positiven Entwicklungen ist eine Möglichkeit, stabilisierenden Kontakt zu geben: Beispielsweise können sich Führungskräfte regelmäßig nach dem Befinden in ihrem Team erkundigen, zu Menschen im Homeoffice, in Quarantäne oder im Ausland Kontakt halten. Personalverantwortliche überlegen inzwischen sogar, einen (Online-)Ersthilfekurs für psychische Gesundheit in ihr BGM zu integrieren, bei dem Sprache auch eine wichtige Rolle spielt.

Der MHFA Ersthilfekurs für psychische Gesundheit, angeboten unter anderem am Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, räumt auf mit vielen sprachlichen Vorurteilen:

  • Ist Suizid anzusprechen wirklich gefährlich? Nein: Die Frage nach Suizidgedanken bringt eine Person nicht erst auf die Idee, wenn sie nicht schon selbst solche Gedanken hatte.
  • Sollten wir beiläufige Bemerkungen und Scherze von Menschen über Suizid ernst nehmen? Ja! Denn oft drücken sich Gefährdete über Ironie in ihrem Umfeld aus und versuchen, aus ihrer Not zu kommunizieren. Ähnliches gilt mit scheinbaren Witzen über Essen, Gewicht, Drogen oder Angstzustände.
  • Können Gespräche auch virtuell stattfinden, in denen sensible Themen behandelt werden? Ja, viele Therapieangebote sind inzwischen auch online nutzbar oder als solche konzipiert, zum Beispiel auffindbar bei Therapie.de. „Small Chats for big feeling“ bietet auch der Woebot, den ich für einige Wochen selbst getestet habe. Ob Conversational Bots mit AI wie der Woebot ihr Versprechen „The best listener in the business“ tatsächlich einlösen können, wird sich allerdings erst noch zeigen.

Sprachliche Identifizierungsprozesse helfen also über Krisenzeiten – egal in welchem Ausmaß und in welchem Bereich. Wichtig ist nur, dass Sprachaustausch stattfindet und nicht Sprachlosigkeit. Personaler:innen und HRM-Manager:innen sollten daher unbedingt prüfen, was sie in ihre Organisationen übernehmen können!

Quellen zum Weiterlesen:

Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung: Umfrage zu Patientenanfragen seit Corona

Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit am ZI in Mannheim

Artikel von Perspective Daily mit Hintergrundinformationen zum Erste-Hilfe-Kurs;im Kurs werden die Teilnehmenden aufgeklärt und können Symptome zum Beispiel Wesensänderungen frühzeitig erkennen, die Personen darauf ansprechen und damit Prävention leisten. Denn wenn Betroffene frühzeitig Hilfe bekommen, kann zum Beispiel eine depressive Episode behandelt werden, bevor sie sich zu einer chronischen Depression entwickelt. Depression, Suizidalität, Angststörung, Psychose und Substanzabhängigkeit sind die wesentlichen Punkte, die behandelt werden.

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Simone Burel, Geschäftsführerin der LUB GmbH - Linguistische Unternehmensberatung

Simone Burel

Dr. Simone Burel ist Geschäftsführerin der LUB – Linguistische Unternehmensberatung, promovierte Sprachwissenschaftlerin und (Fachbuch-)Autorin. Ihre Arbeiten zu Sprache, Gender Diversity & Unternehmenskommunikation wurden bereits mehrfach ausgezeichnet. Mit der neuen Marke Diversity Company spezialisieren Burel und ihr Team sich auf einen neuen Schwerpunkt: Diversität in all ihren Dimensionen – neben den sechs klassischen Diversity-Dimensionen beschäftigen sie sich mit den unsichtbaren Faktoren soziale Herkunft und mentale Diversität. Das Thema Mental Health beschäftigt sie intern als Führungskräfte wie auch extern bei Kundinnen und Kunden

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