Stabile Verhaltensmerkmale

Personalmanagement

Sich unter Stress zu verändern, ist ziemlich schwer, sagt der Psychologe Peter Pächnatz. Eine Replik auf den kürzlich erschienenen Gastbeitrag „26 gute Gründe, lieber zu arbeiten“.

Das Thema Stress im Beruf und Privatleben ist seit dem letzten Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in aller Munde. Die Ergebnisse und die krankheitsbedingten Folgen des dauerhaften Stresses sind beunruhigend. Die Zahl der stressbedingten psychischen Erkrankungen und Fehltage steigt kontinuierlich an. Die gesellschaftlichen Kosten des Dauerstresses in der Arbeit sind noch nicht abzusehen.

Es gibt nach neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen keine einfachen Rezepte, mit Stress umzugehen, wie das zum Beispiel kürzlich Ilona Bürgel mit ihrem Beitrag über die 26 Gründe, lieber zu arbeiten, nahe gelegt hat. Ganze Generationen an Pädagogen und Psychologen haben sich die Zähne daran ausgebissen, Menschen zu ändern.

Dass dies nicht so einfach geht, zeigen zum Beispiel die beiden Bücher des Neurowissenschaftlers Gerhard Roth und weitere Befunde der Neurowissenschaft. Sie legen ausführlich dar, dass drei Viertel unserer Persönlichkeit im unbewussten limbischen Systems (Gefühlssystem) verankert sind. Uns also nicht ohne weiteres willentlich zur Verfügung stehen.

Dazu gehört insbesondere die Stressempfindlichkeit und unser Selbstberuhigungssystem. Beide Persönlichkeitsmerkmale werden in der Schwangerschaft und in den ersten beiden Jahren nach der Geburt durch die Neuroplastizität unseres Gehirns konfiguriert, also vor jeder bewussten Erfahrung. Wir Menschen sind also im Umgang mit Stress sehr unterschiedlich, aber genau in diesem Unterschied stark festgelegt.

Die von Ilona Bürgel sicherlich gut gemeinten Tipps gehen also an der Lernbiologie vieler Menschen vorbei, weil persönliche Konfigurationen im Gehirn durch die von ihr genannten Einstellungsänderungen oder Verhaltensmaßnahmen nicht änderbar sind. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass kein Mensch lebenspraktisch in der Lage ist, alle 26 Tipps konsequent umzusetzen.

Umgang mit Stress verändert sich nicht

Dass Menschen im Umgang mit Stress sehr stabile Verhaltensmerkmale aufweisen, wird vom sozio-ökonomischen Panel bestätigt, der alle vier Jahre 20.000 Deutsche unter anderem nach dem sogenannten Big Five Modell, einem Modell der Persönlichkeitspsychologie, befragt. Ein Merkmal ist dabei der Neurozitismus, also unser Umgang mit Stress. Diese Panel zeigt, dass der Umgang mit Stress ein Merkmal ist, dass bis ins hohe Alter stabil bleibt neben der Extraversion, also dem Merkmal der Offenheit und Geselligkeit.

Dann kommt noch ein Befund der Neurowissenschaft hinzu, der eine einfachen Persönlichkeitsänderung immer wieder einen Strich durch einfache Verhaltensrezepturen macht: Unser Gehirn reagiert auf sozialen Stress mit den gleichen Mechanismen wie in realen Gefahrensituationen, in denen wir uns beispielsweise durch einen Einbrecher oder ähnliches bedroht fühlen. Innerhalb von Millisekunden, jenseits des Bewusstseins, setzt das Gehirn einen bio-chemischen Prozess des Stressverhaltens in Gang.

Eine Führungskraft, ein Lehrer oder Kollegen, die uns häufiger persönlich kritisieren oder angreifen, unter Druck und Stress setzen, lösen automatisch alte Stressmechanismen in Gehirn aus. Das Besondere beim sozialen Stress ist, dass ich nicht weiß, wann er aufhört.

Neurowissenschaftler gehen mittlerweile der These nach, dass dauerhafter sozialer Stress neben genetischen Dispositionen zur Demenz führen kann, also Stress unser Gehirn „zersetzt“. Folgen von dauerhaften Stress sind ein hoher Pegel an Cortisol im Kopf und dass der Hippocampus, also der Teil der neue Gehirnzellen entstehen lässt, seine Arbeit einstellt. Dauerhafter Stress verändert also unser Gehirn.

Im Übrigen ist damit die These vom Dis-Stress und Eu-Stress auch erledigt. Unser Gehirn kennt Stress oder Lernen durch Explorationsverhalten. Letzteres setzt Sicherheit und Wertschätzung voraus. Wir sind also glücklich, wenn wir lernen können in einem wertschätzenden Umfeld.

Nicht nur die Arbeit stresst

Und letztlich zeigt der aktuelle Stressreport vom Bundesamt für Arbeitssicherheit auch, dass die Stressbelastung in der Arbeit nicht aufhört, sondern nach der Arbeit weitergeht. 80 Prozent der Eltern von Kindern an den Gymnasien fühlen sich zum Beispiel durch das Turbo-Abi gestresst.

Aus meiner Sicht lassen sich die Tipps von Ilona Bürgel unter zwei für unser Gehirn wirksame Verhaltensweisen zusammenfassen, die auch die Voraussetzung sind, die eigene Persönlichkeit zu verstehen und damit Verhaltensweisen zu entwickeln, die unter anderem den Umgang mit Stress entgegenwirken können und die eigene Persönlichkeitsentwicklung positiv fördern: Achtsamkeit und gegenseitige Wertschätzung.

Beide Tugenden tun uns sehr gut, sind aber extreme Mangelware in unseren Familien, Schulen und den Unternehmen. Beide Tugenden müssen gegebenenfalls mühsam wieder erworben werden, das heißt unser Gehirn braucht Zeit, um die dafür notwendigen neuronalen Netze wieder aufzubauen oder zu reaktivieren. Das macht unser Gehirn aber nur in stressfreien Zonen.

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Peter Pächnatz

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