Das Corporate Center von Bertelsmann bietet vielversprechenden Talenten ein neues Kompetenzentwicklungsprogramm. Es setzt vor allem auf eine besondere Lernarchitektur.
Prüfer mögen weder Risiken noch Überraschungen, und Jens Grünenberger bildet da keine Ausnahme. Er arbeitet in der internen Revision des Bertelsmann Corporate Center, der Zentrale des internationalen Medienkonzerns in Deutschland. Wie man mit Überraschungen umgehen kann, auch wenn man sie nicht mag, hat Grünenberger im Development Circle gelernt, einem Entwicklungsprogramm für Talente im Corporate Center. Letztes Jahr ist es in die erste Runde gegangen. „Im Rahmen des Circles haben wir unter anderem an einem Improvisationstheater-Kurs teilgenommen. Seither weiß ich: Man kann sogar Improvisation trainieren“, erzählt Grünenberger.
Grünenberger gehört zu den ersten, die das neue Entwicklungsprogramm im Bertelsmann Corporate Center durchlaufen haben. Das Angebot richtet sich ausdrücklich nicht nur an zukünftige Führungskräfte, sondern auch an Mitarbeiter mit Potenzial für eine Expertenrolle, sagt Personalreferentin und Projektbetreuerin Juliane Lemke: „Wir wollen damit persönliche Kompetenzen von High Potentials fördern.“ Damit meint sie nicht nur Talente, die Führungsaufgaben übernehmen wollen. Sondern eben auch Fachleute, die das Zeug dazu haben, sich im Unternehmen als Experte für ein bestimmtes Thema zu positionieren. „Horizontale Entwicklung“ nennt die Personalexpertin diesen Ansatz.
Im Development Circle absolvieren zwölf High Potentials aus unterschiedlichen Fachbereichen des Corporate Center ein Jahr lang neben der Arbeit ein Entwicklungsprogramm mit intensiven Feedback-Gesprächen, Lernmodulen, Workshops und einer Lernreise. Abgerundet wird das Ganze durch ein Projekt, das die Teilnehmer während des Jahres gemeinsam bearbeiten.
Der große Unterschied zu anderen Entwicklungsprogrammen: Im Development Circle entwickeln die Teilnehmer ihre persönlichen Kompetenzen nicht nur in den Lernmodulen, sondern vor allem während der Arbeit am gemeinsamen Projekt: Kreativität und Innovationsfähigkeit, Wirkung und Auftreten, Kommunikationsfähigkeit und Empathie sollen sie gemeinsam trainieren. Spezielle Fachkenntnisse vermittelt das Programm bewusst nicht: „Wer seine Excel-Kenntnisse verbessern will, sollte besser ein Excel-Seminar machen“, sagt Dominique Schaefer, Senior Consultant bei der Saaman AG – von dort kommt das Grundschema des Programms. Schaefer begleitet gemeinsam mit einer Kollegin den Development Circle bei Bertelsmann. „Wir wollen mehrere Ziele miteinander vereinen: Die individuellen Kompetenzen der Mitarbeiter fördern, sie gleichzeitig an das Unternehmen binden und neue Ideen für die gesamte Organisation erarbeiten lassen“, erklärt Schaefer.
Intensive Kommunikation
Auf diese Art will Bertelsmann Schlüsselqualifikationen seiner Mitarbeiter fördern. Den Kompetenzkatalog hat die Personalabteilung des Corporate Center gemeinsam mit den Beratern von der Saaman AG festgelegt. „Wir haben uns an den Kompetenzen orientiert, die die Basis für unsere HR-Instrumente, zum Beispiel Mitarbeitergespräche, bilden – aber natürlich auch daran, was der Development Circle überhaupt leisten kann“, sagt Personalmanagerin Lemke.
Kompetenzentwicklung ist für die Personalabteilung des Bertelsmann Corporate Center nichts Neues. Ein entsprechendes Programm gab es schon vor dem Development Circle. Doch auch Entwicklungsprogramme müssen sich weiterentwickeln – da waren sich Teilnehmer, Führungskräfte und Personalmanager einig.
Juliane Lemke und ihre Kollegen stellten deshalb fest: Hier ist jetzt die Personalabteilung gefragt. Anfang 2014 überprüften sie das alte Programm gründlich. Sie sprachen mit Führungskräften, ehemaligen Teilnehmern und Mitarbeitern, die von einem neuen Programm profitieren könnten. Und sie fragten sich: Wie soll Personalentwicklung im Bertelsmann Corporate Center künftig aussehen?
Ein wichtiges Ergebnis: Das alte High-Potential-Programm war weder den Teilnehmern noch den Führungskräften tief genug in die gesamte Personalentwicklung eingebettet. „Den Leuten war einfach nicht klar: Was passiert nach den Seminaren?“, erzählt Lemke. Um das zu ändern, sprechen sowohl Mitarbeiter als auch Vorgesetzte im neuen Programm viel intensiver miteinander – vor allem vor und nach der eigentlichen Lernphase.
Der Development Circle besteht hauptsächlich aus drei Abschnitten: Einem Vorprozess, in dem zwei Diagnostiker der Saaman AG sowie im späteren Verlauf auch Teilnehmer und Vorgesetzter zunächst herausfinden, wie stark die relevanten Kompetenzen bei dem Teilnehmer schon ausgeprägt sind. Darauf folgt der eigentliche Lernprozess mit den Präsenzmodulen, der Lernreise und der Projektarbeit – inklusive einer Präsentation der Ergebnisse vor der Geschäftsleitung. Der Development Circle endet mit einem Feedback-Gespräch, in dem Berater, Vorgesetzte und Teilnehmer gemeinsam besprechen, ob der Mitarbeiter sein Lernziel erreicht hat. „Die Vorgesetzten sollen aber nicht nur im Vor- und im Abschlussprozess Feedback geben, sondern über das ganze Jahr hinweg den Mitarbeiter beobachten und am Ball bleiben“, betont Personalmanagerin Lemke.
Im Vorprozess geht es vor allem um Selbst- und Fremdeinschätzung der Teilnehmer: Was können die Teilnehmer bereits, an welchen Kompetenzen sollten sie noch arbeiten? In zwei Gesprächen, eines mit den Beratern der Saaman AG, eines mit dem Vorgesetzten, legen sie ein Kompetenzprofil an und halten Lernziele fest, bevor der eigentliche Lernprozess beginnt. Diese Gespräche beeinflussen natürlich auch die Module des Programms selbst, sagt Berater Schaefer: „Wenn wir sehen, dass mehrere Teilnehmer das gleiche Lernziel haben, dann richten wir selbstverständlich die Trainings danach aus.“ Deshalb wird im Idealfall kein Development Circle aussehen wie der andere.
Die Lernphase besteht aus Präsenzveranstaltungen, in denen Trainer zum Beispiel die Wirkung und das Auftreten der Teilnehmer analysieren und ihnen Tricks und Kniffe der Kommunikation beibringen. Dabei helfen Rollenspiele, Simulationen, Diskussionen in der Gruppe und hin und wieder auch eine Videokamera und ein Mitglied der Geschäftsleitung als Feedback-Geber. Einzel-Coachings sind ebenfalls möglich.
Danach geht es an die Projektarbeit: Jeder Jahrgang bekommt eine neue Aufgabe. Der Development Circle 2015 hat sich um die Innovationsfähigkeit bei Bertelsmann gekümmert. Welche Prozesse und Strukturen unterstützen gemeinsames Arbeiten an Innovationen, welche bremsen sie? Und welche Neuerungen könnte man einführen? „Die Idee dazu hatte ein Kollege, der sich intern mit Innovationsstrategien beschäftigt“, erzählt Juliane Lemke. Dieser Experte stand den Teilnehmern während des Projektes als inhaltlicher Begleiter zur Seite.
Zur Inspiration schickte das Corporate Center seine High Potentials auf eine dreitägige Lernreise nach Berlin. Dort trafen die Teilnehmer Zukunftsforscher, nahmen an einem Improvisationstheater-Workshop teil und besuchten Startups. Alles um herauszufinden: Wie geht Kreativität? Wie beginnt man etwas völlig Neues, von dem noch niemand so recht weiß, was daraus werden kann? Wie geht man mit unvorhergesehenen Situationen um?
Teilnehmer Jens Grünenberger aus der internen Revision war vor allem von seinen Gesprächspartnern bei den Berliner Startups beeindruckt. Er selbst sei grundsätzlich eher risikoavers, erzählt er, wäge Für und Wider sorgsam ab, rechne immer erst einmal alles durch – wie ein typischer Prüfer eben. Umso bereichernder sei es für ihn gewesen, mit dem CEO eines Startups zu sprechen: „Er hat sich ganz am Anfang für die Rechnerei überhaupt nicht interessiert. Wie hoch das Risiko war, war ihm egal – er hat seine Idee einfach umgesetzt und war erfolgreich.“ Das hat dem Prüfer imponiert: „Manchmal hindert zu viel Analyse vielleicht auch am Weiterkommen.“
Ein Konzeptpapier – und sogar eine App
Mit solchen neuen Erkenntnissen gerüstet, ging es für Grünenberger und seine Kollegen daran, das Corporate Center auf seine Innovationsfähigkeit hin abzuklopfen. Unterstützen die Kommunikationsprozesse den Austausch neuer Ideen? Gibt es überhaupt genügend Anreize für einzelne Mitarbeiter, kreativ zu werden und innovative Ideen zu entwickeln? Mit solchen Fragen beschäftigte sich die Gruppe. Was Grünenberger daran besonders spannend fand: „Wir kamen alle aus unterschiedlichen Fachbereichen. Aber wir wurden während der Projektphase immer mehr zu einem Team – jeder konnte etwas beitragen.“
Am Ende des Prozesses stand nicht nur ein Konzeptpapier mit Handlungsvorschlägen, sondern sogar die Demoversion einer App, mit der sich Innovatoren im Unternehmen vernetzen und gegenseitig unterstützen sollen. Eine Überraschung auch für die Projektbetreuerin in der Personalabteilung: „Dass ein so konkretes Produkt daraus hervorgeht, hätten wir nicht erwartet“, sagt Lemke. Das greifbare Ergebnis habe für sehr viel Aufmerksamkeit bei der Geschäftsleitung gesorgt.
Ein High-Potential-Programm wie der Development Circle funktioniert allerdings nur mit viel Arbeitseinsatz der Personalabteilung und der Vorgesetzten. Obwohl der Aufwand für Konzeption und Begleitung des Programms hoch war, zieht Personalreferentin Lemke ein positives Fazit: „Unser Kontakt zu den Mitarbeitern ist enger geworden. Wir haben einen viel besseren Eindruck davon, was unsere Talente benötigen und wie wir sie in ihrer Entwicklung auch nach dem Programm unterstützen können.“ Hinzu kommt, dass auch die Führungskräfte die Arbeit der Personalmanager wertschätzen. „Keine schlechte Ausgangsposition für weitere Personal-Projekte“, findet Lemke.