Wechseljahre am Arbeitsplatz: zwischen Tabu und strategischer Chance

BGM

In Deutschland sind 12 Millionen Frauen über 40 erwerbstätig, ihr Anteil am Arbeitsmarkt wächst stetig. Dennoch fehlen in vielen Unternehmen Maßnahmen, um die damit verbundenen Herausforderungen zu adressieren. Laut der Kununu-Umfrage meno@work sehen 63 Prozent der Arbeitgeber die Wechseljahre als private Angelegenheit, wodurch gezielte betriebliche Unterstützung oft ausbleibt.

Die Folgen sind gravierend: Jede zweite betroffene Frau gibt an, dass sich die Wechseljahre auf berufliche Entscheidungen ausgewirkt haben – sei es durch Reduzierung der Arbeitszeit, Jobwechsel oder den Verzicht auf Führungspositionen. Die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) schätzt in Berechnungen für die Studie Menosupport Ergebnisüberblick zur deutschlandweiten Onlinebefragung zum Thema Wechseljahre am Arbeitsplatz die Kosten durch unerkannt beeinträchtigte oder ausfallende Arbeitnehmerinnen in den Wechseljahren auf 9,4 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland.

Die stille Herausforderung

Die Wechseljahre beginnen früher als oft angenommen. Während viele sie erst mit dem endgültigen Ausbleiben der Periode verbinden, setzt die hormonelle Umstellung ab 40 schleichend ein und kann über ein Jahrzehnt andauern. Das mit 95 Prozent dominierende und oft missverstandene Symptom ist die anhaltende Erschöpfung, die in den 40ern am deutlichsten spürbar wird. Viele Frauen fühlen sich dauerhaft müde, weniger belastbar und klagen über „Brainfog“ – Konzentrationsprobleme aufgrund hormoneller Schwankungen.

Diese Beschwerden werden häufig nicht mit den beginnenden Wechseljahren in Verbindung gebracht – weder von den Betroffenen selbst noch von ihrem Umfeld. Stattdessen schreiben Frauen ihre Erschöpfung Stress oder familiären Verpflichtungen zu. Dies führt dazu, dass viele keine gezielte Unterstützung suchen – weder medizinisch noch beruflich.

Am Arbeitsplatz zeigt sich dies in zunehmenden Fehlzeiten – jede dritte Frau musste sich laut HWR-MenoSupport-Studie schon einmal krankschreiben lassen –, reduzierter Belastbarkeit und häufig der Entscheidung, beruflich kürzerzutreten. Viele Frauen verzichten bewusst auf Karrierechancen, lehnen Beförderungen ab oder meiden Führungspositionen – nicht aus mangelndem Ehrgeiz, sondern aus Sorge, den zusätzlichen Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Es ist ein stilles Leiden: 67 Prozent der betroffenen Frauen verbergen ihre Symptome, um nicht als weniger leistungsfähig zu gelten. Da Wechseljahre in Unternehmen kaum thematisiert werden, fehlen gezielte HR-Konzepte zur Unterstützung.

Phasen der Wechseljahre

  • Prämenopause (ab circa 30 Jahre): Die Phase vor spürbaren hormonellen Veränderungen. Der Zyklus ist noch regelmäßig, jedoch die Qualität der Eisprünge und Fertilität nimmt ab und die Häufigkeit anovulatorischer Zyklen unbemerkt zu.
  • Perimenopause (ab circa 40 Jahre): Die Übergangszeit vor der letzten Regelblutung wird häufig als belastendste Phase beschreiben. Hormonelle Schwankungen sind stark ausgeprägt und führen vor allem zu psychischen Symptomen wie körperlicher und geistiger Erschöpfung, Schlafstörungen, Reizbarkeit und depressiven Verstimmungen. Eine gezielte Aufklärung über Ursachen und Lösungsoptionen hilft in dieser Phase den Frauen, selbstwirksam und effektiv ihre Symptome in den Griff zu bekommen.
  • Postmenopause (ab circa 50 Jahre): Die Phase nach der Menopause, definiert als letzte Regelblutung, in weibliche Sexualhormone versiegen. Der Östrogenmangel führt zu den typischen Hitzewallungen, die bei ca. einem Drittel der Frauen als außerordentlich belastend empfunden werden und die Arbeitsfähigkeit stark beeinträchtigen. Im späteren Verlauf nehmen östrogenmangelbedingte Erkrankungen wie urogenitale Beschwerden (zunehmende Harnwegsinfekte), Herz-Kreislauferkrankungen (deutlich steigender Blutdruck nach den Wechseljahren), Stoffwechsel- und Autoimmunerkrankungen (u.a. Diabetes, Schilddrüsenunterfunktion, Osteoporose) deutlich zu. Mit gesundheitlicher Aufklärung und zielgerichteter Vorsorge sind diese Gesundheitsrisiken gut einzuhegen.

Besonders kritisch ist der Verlust erfahrener Fachkräfte. Frauen befinden sich in dieser Lebensphase oft auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, leiten Teams oder tragen Schlüsselverantwortung. Doch wenn Beschwerden auftreten, entscheiden sich viele, Führungsaufgaben abzugeben – und statistisch verlässt jede zehnte Frau den Arbeitsmarkt vollständig aufgrund ihrer Wechseljahresbeschwerden.


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Für Arbeitgeber bedeutet dies steigende Kosten durch Fluktuation und Einarbeitung neuer Kräfte sowie den Verlust wertvollen Erfahrungswissens. HR-Abteilungen müssen erkennen, dass Wechseljahresbeschwerden keine private Angelegenheit sind, sondern Produktivität, Personalbindung und Unternehmenserfolg direkt beeinflussen. Einige große Unternehmen haben das bereits erkannt – zum Beispiel das Telekommunikationsunternehmen Vodafone, das eine globale Menopause Policy eingeführt hat. Diese umfasst flexible Arbeitszeiten, Schulungen für Führungskräfte und Zugang zu medizinischer Beratung. Auch SAP hat das Thema Wechseljahre in seine Gesundheitsprogramme integriert und setzt auf interne Sensibilisierung, gezielte Informationsangebote sowie Unterstützung durch medizinische Fachkräfte.

Potenzial erhalten statt verlieren

Im Durchschnitt sind 28 Prozent der Belegschaft weiblich und über 40. Viele dieser Frauen überdenken jetzt ihre Karriere, bewerten Prioritäten neu und sind bereit für den nächsten Schritt. Sie haben auf ihre Position hingearbeitet, übernehmen Verantwortung – und stellen eine entscheidende Ressource für Unternehmen dar.

Hier liegt eine strategische Chance: Wechseljahre sollten als Teil einer vorausschauenden HR-Strategie verstanden werden. Frauen in der Lebensmitte sind ambitioniert und wollen gestalten – und brauchen Rahmenbedingungen, die sie in ihren besonderen Bedürfnissen unterstützen.

Drei zentrale Bereiche sind in der Verantwortung:

  • Personalentwicklung: Wechseljahre als Teil einer lebensphasenorientierten Personalarbeit integrieren, um ältere Fach- und Führungskräfte langfristig zu halten.
  • Diversity, Equity & Inclusion (DEI): Wechseljahre als Chancengleichheitsthema verankern und Hürden für ambitionierte Frauen abbauen.
  • Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM): Angebote schaffen, die auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Altersgruppe zugeschnitten sind.

Die Kosten, dieses Humankapital zu verlieren, sind ungleich höher als die Investition in bessere Rahmenbedingungen. Wer flexible Strukturen schafft, Frauen gezielt fördert und Wechseljahre als Teil der Personalstrategie begreift, stärkt nicht nur die Arbeitgebermarke, sondern sichert Know-how, Führungskompetenz und Vielfalt.

Handlungsoptionen für Unternehmen

Unternehmen können Wechseljahre gezielt in ihre HR-Strategie integrieren, indem sie Sensibilisierung, Aufklärung und Gesundheitsprävention in den Fokus rücken. Ein ganzheitlicher Ansatz, der Unternehmenskultur und konkrete Maßnahmen verbindet, ist entscheidend:

  1. Sensibilisierung der Führungskräfte und Förderung einer offenen Unternehmenskultur
    Ein offener Umgang mit dem Thema beginnt mit Aufklärung und Sensibilisierung der Führungskräfte, denn Frauen wollen sich nicht ständig für ihre Beschwerden erklären müssen. 76 Prozent der Frauen wünschen sich informierte Vorgesetzte – doch nur vier Prozent erleben das in ihrem Arbeitsumfeld. Auch Kolleginnen und Kollegen sollten sensibilisiert werden, um Verständnis zu schaffen und eine unterstützende Arbeitskultur zu fördern. Situationen wie plötzliche Hitzewallungen in einem Meeting sind belastend, lassen sich aber entschärfen, wenn das Team informiert ist. Ein normalisierter Umgang mit den Wechseljahren verhindert, dass sich betroffene Frauen zurückziehen oder beruflich kürzertreten.
  2. Gezielte Wissensvermittlung durch Vorträge und Aufklärung
    Frauen benötigen fundierte Informationen, um Symptome richtig einzuordnen und präventiv zu handeln. Vorträge und Workshops – etwa im Rahmen von Gesundheitstagen – sind effektive Möglichkeiten, um medizinisches Wissen zu vermitteln und Unsicherheiten abzubauen. Themen wie „Was sind die Phasen der Wechseljahre und worauf sollte ich achten?“helfen Frauen, sich auf körperliche Veränderungen vorzubereiten und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Auch die Frage „Welche Vor- und Nachteile hat eine Hormontherapie, und welche alternativen Therapieansätze sind hilfreich?“ ist für viele von Interesse, da sie Orientierung für individuelle Gesundheitsentscheidungen bietet. Die Signalwirkung ist entscheidend: Wenn Arbeitgeber das Thema offen ansprechen, fühlen sich Frauen gesehen und ermutigt, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
  3. Gesundheitsprävention in der Lebensmitte gezielt fördern
    Die Wechseljahre sind eine Phase, in der viele Frauen besonders empfänglich für präventive Gesundheitsangebote sind, da sie die Auswirkungen hormoneller Veränderungen auf ihr Wohlbefinden und ihre Leistungsfähigkeit spüren. Unternehmen können dies gezielt fördern – etwa durch Menopausen-Sprechstunden und Gesundheitschecks, die helfen, die gesundheitlichen Risiken des Hormonabfalls frühzeitig zu erkennen und effektiv vorzubeugen.
    Im betrieblichen Gesundheitsmanagement lassen sich Kurse zu Schlaf, Stressmanagement, Krafttraining für die Knochengesundheit oder Hormonyoga auf die spezifischen Bedürfnisse zuschneiden und praxisnahe Unterstützung bieten.

Vorreiter Großbritannien

  • 25 Prozent der britischen Unternehmen haben laut einer Umfrage von YouGov bereits eine Menopause Policy eingeführt, die konkrete Unterstützungsmaßnahmen für betroffene Mitarbeiterinnen umfasst.
  • 400 Unternehmen – darunter große Namen wie HSBC, Unilever und Tesco – haben den „Menopause Workplace Pledge“ unterzeichnet, eine Selbstverpflichtung zur Förderung einer wechseljahrefreundlichen Arbeitskultur
  • Menopause Champions sind in britischen Unternehmen mittlerweile gängige Praxis. Diese speziell geschulten Ansprechpartner:innen stehen als Vertrauenspersonen bereit, um Frauen in den Wechseljahren zu beraten und das Bewusstsein im Unternehmen zu stärken.

Wechseljahre als strategische HR-Aufgabe

Wechseljahre sind kein Randthema mehr – sie betreffen Millionen berufstätiger Frauen und haben direkte Auswirkungen auf Produktivität, Fachkräftebindung und Unternehmenskultur. HR-Verantwortliche stehen vor einem Paradigmenwechsel: Weg vom Schweigen, hin zu einer strategischen, unterstützenden Personalpolitik.

Die politische Bedeutung wächst: Im Bundestag wurde 2024 erstmals über eine nationale Menopause-Strategie debattiert, um gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen der Wechseljahre stärker ins Bewusstsein zu rücken.  Der sinkende Frauenanteil im Parlament könnte jedoch jetzt dazu führen, dass frauenpolitische Themen an Sichtbarkeit verlieren.

Arbeitgeber sind daher mehr denn je gefordert, diese Lücke zu schließen und Frauen in der Lebensmitte gezielt in ihrer Karriere zu unterstützen. Eine vorausschauende HR-Strategie, die Wechseljahre aktiv einbindet, trägt dazu bei, die leaky pipeline zu stoppen und den vorzeitigen Ausstieg qualifizierter Frauen aus dem Arbeitsmarkt zu verhindern – ein Win-Win für beide Seiten.

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Benita Yon

Benita Yon ist Corporate Health Consultant und Referentin für Wechseljahre und Healthy Longevity. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Unternehmensberatung und in leitenden Positionen im Konzernumfeld. Die zertifizierte Wechseljahreberaterin berät Organisationen dabei, Wechseljahre als strategisches Thema zu erkennen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die Fachkräfte langfristig binden und Leistungspotenziale erhalten.

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