KI und Karriere: Jobeinstieg neu denken

Analyse

Unternehmen suchen dringend qualifizierte Talente – und gleichzeitig fällt es jungen Menschen schwer, beruflich Fuß zu fassen. Der Grund ist kein Mangel an Potenzial, sondern eine strukturelle Veränderung: Die ersten Sprossen auf der Karriereleiter verschwinden. Was früher klassische Einstiegsfunktionen waren – die ersten Reports schreiben, Daten analysieren, Materialien vorbereiten –, wird heute von KI erledigt.

Was bleibt, sind höhere Anforderungen, weniger Anleitung und eine Lücke an praktischer Erfahrung, die in Bewerbungsgesprächen ebenso sichtbar wird wie im späteren Arbeitsalltag. Diese Erfahrungslücke ist nicht länger ein individuelles Problem, sondern ein systemisches. Denn wer nicht üben darf, kann nichts lernen – und wer nichts lernt, ist für anspruchsvollere Aufgaben weniger geeignet.

KI verändert den ersten Job – grundlegend

66 Prozent der von uns befragten Führungskräfte geben an, dass Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger unzureichend auf ihre Rollen vorbereitet sind. Entscheidender Treiber dieser Entwicklung: KI verändert die Arbeit in der Wissensökonomie an der Basis. Routinen, die bislang für junge Menschen während ihres Berufseinstiegs reserviert waren, werden automatisiert. Die klassischen Lernfelder – von der ersten Wettbewerbsanalyse bis zur Aufbereitung von Meeting-Material – entfallen.

Dieser Wandel betrifft nicht nur das Was, sondern auch das Wie des Arbeitens. KI liefert Informationen schneller, strukturierter und mitunter präziser. Aber sie nimmt auch jenen Teil des Jobs weg, durch den junge Mitarbeitende bislang Handwerk und Kontext gelernt haben. Es geht nicht nur um verlorene Aufgaben, sondern um verlorene Lernräume.

Die Folge: ein Praxis- und Erfahrungssprung, der nicht mehr auf natürlichem Weg geschlossen werden kann. Unternehmen stehen damit vor der Aufgabe, neue Zugänge zu schaffen – und Karrierewege so zu gestalten, dass junge Talente dennoch kritisch denken, bewerten und entscheiden lernen.

Praxisbeispiel 1:
In einem Medienunternehmen wurde das Verfassen erster Artikel durch KI-generierte Entwürfe ersetzt. Junior-Redakteurinnen und -Redakteure analysieren nun fremderstellte Inhalte – obwohl sie selbst kaum Gelegenheit hatten, eigene Texte zu schreiben. Die Qualität der Bewertung leidet.

Arbeit neu gedacht: Drei Leitfragen für den Wandel

Dabei ist klar: Wir stehen nicht am Rande einer kleinen Prozessoptimierung, sondern mitten in einem strukturellen Wandel der Arbeitserbringung. Unsere Studie zeigt: Die Frage ist nicht, wie groß die Veränderung durch KI ist, sondern wie wir mit ihr umgehen.

Genau deshalb haben wir diesen Wandel entlang dreier Leitfragen strukturiert:

  • Wie stellen wir sicher, dass Menschen künftig die richtigen Teile der Arbeit übernehmen – und was überlassen wir der Automatisierung?

  • Wie verändert sich die Belegschaft – und welche Formen von Arbeitsbeiträgen brauchen wir, um alle mitzunehmen?

  • Wie müssen Organisationen sich kulturell und strukturell neu aufstellen, um in einem KI-geprägten Umfeld handlungsfähig zu bleiben?

Diese Fragen sind nicht abstrakt. Sie betreffen das tägliche People Management – von Recruiting bis Retention, von Performance Management bis Führungskultur.

Praxisbeispiel 2:
Ein Beratungsunternehmen hat ein internes KI-Lab geschaffen, in dem junge Mitarbeitende bewusst an Szenarien arbeiten, die klassische Automatisierungsergebnisse bewerten. So entsteht ein neuer Raum für Lernen durch Reflexion.

Führung unter Druck – mit zu wenig Raum für Entwicklung

Die Herausforderung liegt nicht nur bei den Talenten, sondern bei den Führungskräften. Nur sieben Prozent der Unternehmen berichten von echten Fortschritten bei der Neuausrichtung der Führungsrolle – obwohl 73 Prozent den Handlungsbedarf erkennen.

Fast 40 Prozent der Zeit verbringen Führungskräfte heute mit kurzfristiger Problemlösung und administrativen Aufgaben. Für Coaching und Entwicklung der Mitarbeitenden bleibt kaum Raum.

Noch beunruhigender: 36 Prozent der Führungskräfte fühlen sich ihrer Rolle nicht mehr gewachsen. 40 Prozent berichten von einer Verschlechterung ihrer mentalen Gesundheit seit der Übernahme ihrer Position.

Das zeigt: Die Verantwortung, junge Talente zu begleiten, trifft auf eine überforderte Führungsebene – ein weiterer Hebel, an dem Organisationen dringend ansetzen müssen.

Dabei verändert sich die Führungsrolle grundlegend: weg vom Expertenstatus, hin zur Rolle als Navigator zwischen KI-Potenzial und menschlicher Leistung. Führungskräfte müssen Aufgaben definieren, präzise briefen und automatisierte Ergebnisse beurteilen – Fähigkeiten, die in klassischen Führungskarrieren bislang kaum eine Rolle spielten.

Genau hier setzt ein neues Konzept an: Zero Based Work.
Was muss wirklich von Menschen getan werden? Was kann die Maschine übernehmen?

Praxisbeispiel 3:
In einem Finanzdienstleister strukturieren Führungskräfte ihre Teams anhand von Aufgaben statt nach Funktionen – und entscheiden gemeinsam mit Mitarbeitenden, was automatisiert und was persönlich betreut wird.

Diagramm mit Umfrageergebnissen zur Wichtigkeit menschlicher Fähigkeiten und Spannungsfeldern im Wandel von Organisationen.

Brücke zwischen Maschine und Mensch fehlt

Über die Hälfte der Unternehmen bewerten die Zusammenarbeit von Mensch und KI als entscheidend für ihren zukünftigen Erfolg. Doch genau hier liegt das Problem beim Berufseinstieg: Die Fähigkeit, KI-Ergebnisse einzuordnen, basiert auf Erfahrungswissen – also genau dem, was heute nicht mehr selbstverständlich erworben wird.

Wie kann eine Junior-Kollegin im Marketing beurteilen, ob die automatisch generierte Marktanalyse strategisch sinnvoll ist, wenn sie selbst nie gelernt hat, solche Analysen manuell zu erstellen? Wie soll ein junger Ingenieur entscheiden, ob eine von der KI vorgeschlagene Konstruktionsänderung sinnvoll ist?

Kreativität entsteht nicht durch Automatisierung. Doch das will gelernt sein. Die Voraussetzung: Raum zum Ausprobieren, Üben, Reflektieren.

Neue Karrierewege: Skill-basiert statt stellenbasiert

Der klassische Job mit fester Stellenbeschreibung verliert an Bedeutung. Stattdessen entstehen dynamische Rollen – zusammengesetzt aus Fähigkeiten, nicht aus Titeln. Skill-basierte Organisationen fördern die Durchlässigkeit zwischen Aufgaben, schaffen flexiblere Entwicklungspfade und sind 63 Prozent erfolgreicher als klassisch organisierte Unternehmen. Gleichzeitig verändert generative KI das, was Arbeit konkret bedeutet. Sie unterstützt bei der Erstellung von Texten, Codes, Videos, Strategien oder Trainingsmodulen. Sie analysiert, kombiniert, simuliert – ersetzt jedoch keine Persönlichkeit. Organisationen müssen daher nicht nur technische, sondern vor allem kulturelle Voraussetzungen schaffen – für eine Arbeitswelt, in der beide Seiten zur Entfaltung kommen.

Praxisbeispiel 4:
Ein Technologieunternehmen ermöglicht jungen Entwicklern und Entwicklerinnen gezielte Übungsprojekte, in denen KI-gestützte Codevorschläge manuell angepasst werden – als Brücke zwischen Automatisierung und Verständnis.

Menschenzentrierte Führung: Drei neue Anforderungen

Im Zentrum dieser Transformation steht die Rolle der Führungskraft. Sie muss neu gedacht werden – nicht als Anweiser, sondern als Gestalter, Coach und Wegbereiter.

Wir haben drei Schlüsselaspekte moderner Führung in der KI-Welt identifiziert:

  1. Forschermentalität: Führungskräfte müssen nicht alles wissen – aber offen für Experimente mit KI sein.

  2. Co-Kreation: Rollen und Aufgaben entstehen im Zusammenspiel von Mensch und Technologie – Führung begleitet diesen Wandel.

  3. Priorisierung menschlicher Stärken: Emotionale Intelligenz, Kreativität, kritisches Denken – das bleibt unersetzbar und wird zum Differenzierungsmerkmal (siehe Abbildung 1).

Diese neue Führung muss nicht entscheiden zwischen Standardisierung und Personalisierung, zwischen Agilität und Stabilität oder zwischen Output und Outcome (siehe Abbildung 2).

Was Unternehmen jetzt tun können

Ein zukunftsfähiger Jobeinstieg in einer von KI geprägten Welt erfordert gezielte Strategien – keine nostalgische Rückkehr zu alten Strukturen.

Unternehmen, die es ernst meinen, müssen:

  • Einstiegsrollen neu definieren und bewusst Erfahrungsräume schaffen

  • Führung entlasten, damit sie sich auf Entwicklung statt nur auf Management konzentrieren kann

  • Skill-basierte Entwicklungsmodelle etablieren, in denen sich Talente flexibel entfalten können

  • Mitarbeitende an den KI-Erfolgen beteiligen, z. B. durch Bonusmodelle oder neue Karrierewege

  • Menschenzentrierte Leitbilder in der Unternehmenskultur verankern

Klar ist: KI verändert die Arbeit – aber ob sie diese besser macht, hängt allein davon ab, wie wir sie gestalten.

Ohne Erfahrungsräume keine Zukunft

Der Jobeinstieg muss neu erfunden werden – nicht aus Nostalgie, sondern aus Notwendigkeit. Wer heute lernt, wie man mit KI arbeitet, muss auch lernen, wie man sie hinterfragt. Und das gelingt nur, wenn Menschen verstehen, was gute Arbeit ausmacht – durch eigene Erfahrung. Wir werden eine neue Kombination finden müssen – zwischen dem, was der Mensch macht, und dem, was der Automat übernimmt. Doch diese Kombination funktioniert nur, wenn Organisationen bereit sind, Lernräume zu schaffen, Führung neu zu denken und kulturelle Leitplanken für eine menschenzentrierte, KI-gestützte Arbeitswelt zu setzen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Erfolg. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Porträt eines Mannes mit Brille, schwarzem Anzug und weißem Hemd, lächelnd vor unscharfem Hintergrund.

Sebastian Pfeifle

Sebastian Pfeifle ist Partner und Human Capital Lead im Consulting bei Deloitte Deutschland. Er berät Organisationen dabei, ihre Strukturen und ihre Belegschaft zukunftsfähig aufzustellen – insbesondere im Kontext von Transformation, Re- und Upskilling sowie dem Einsatz generativer KI. Auf globaler Ebene leitet er zudem den Geschäftsbereich für automobile Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen. Mit langjähriger Erfahrung in Restrukturierungen und strategischer Neuausrichtung begleitet er Führungsteams auf Augenhöhe. Sein Ziel: HR als zentralen Hebel für Innovationsfähigkeit, kulturellen Wandel und nachhaltige Unternehmensentwicklung zu stärken.

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