Volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig: Wir leben in einer VUCA-Welt. Und diese dreht sich immer schneller und unberechenbarer. Geopolitische Krisen, neue Technologien und ein Jobmarkt, bei dem sich nicht mehr die Menschen bei den Unternehmen bewerben, sondern die Unternehmen bei den Menschen: Das ist die Realität, in der wir die besten Talente und Lösungen finden müssen, um uns auch in Zukunft am Markt zu behaupten. Diese Lösungen liegen nicht auf der Straße. In einer Gemengelage zwischen Performance-Anspruch und Wohlfühlatmosphäre schwelen stets die Fragen: Haben wir keine Lust mehr zu arbeiten? Was spornt uns heute überhaupt noch zu Höchstleistungen an? Und kann es gelingen, den Bedürfnissen der Arbeitnehmenden gerecht zu werden und zugleich eine nachhaltige Leistungskultur zu etablieren?
Der Wert der Freizeit steigt
Führen meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Recruiting Center ein Einstellungsgespräch, so müssen sie sich heute ganz neuen Fragen stellen. Was ist der Purpose des Unternehmens? Kann ich mobil arbeiten? Wann ist das Unternehmen net zero? Und das alles, bevor sich überhaupt die leiseste Chance ergibt, eine Frage zum Lebenslauf zu stellen. Es ist nicht nur die Generation Z, die diese Themen offen anspricht. Generationenübergreifend ist spürbar: Freizeit hat einen anderen Stellenwert bekommen. Und der Wunsch nach Teilzeit wächst. Die HDI Berufe-Studie hat ergeben, dass mehr als die Hälfte aller Vollzeitbeschäftigten ihre Arbeitszeit gern reduzieren möchte oder sogar muss – für Kinderbetreuung, Ehrenamt, Hobbys, die Pflege von Angehörigen. Familienfreundlichkeit ist mehr denn je gefragt, in Form von zeitlicher Flexibilität, aber auch neuen Arbeitsmodellen wie geteilter Führung. Gleiches gilt für Benefits wie flexibles und mobiles Arbeiten und Weiterbildungsmöglichkeiten. Auch psychosoziale Themen sind keine reine „Privatsache“ mehr. Angebote zur Unterstützung in Krisenfällen oder bei der Kinderbetreuung werden dankbar angenommen, wie die Erfahrungen der HDI Group zeigen.
Entscheidungen treffen, wo das Wissen ist
Sind es diese Goodies, die Menschen zu Höchstleistungen antreiben? Oder steckt etwas „Größeres“ dahinter? Arbeitspsychologen haben herausgefunden: Lust auf Leistung haben Menschen dann, wenn ihre Arbeit sie zufrieden macht, wenn sie Sinnhaftigkeit und Selbstwirksamkeit verspüren. Menschen möchten keine Befehle befolgen – insbesondere, wenn sie selbst eigentlich eine viel coolere Lösung kennen. Genau diese Lösungen sind es, die wir brauchen. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass einzelne Personen in den Vorstandsetagen schon die richtigen Entscheidungen zur rechten Zeit treffen werden. So sind wir weder schnell noch gut genug für die Anforderungen von Gegenwart und Zukunft. Stattdessen müssen die Entscheidungen dort getroffen werden, wo das Wissen ist: in den Teams. Hierfür braucht es nichts Geringeres als eine kulturelle Transformation.
Unternehmenskultur setzt den Rahmen
Sie erfordert, dass wir unterschiedliche Perspektiven einbringen und uns komplexen Herausforderungen iterativ und adaptiv annähern – zum Beispiel, indem wir Dinge ausprobieren. Und wenn sich herausstellt, dass eine Idee doch nicht so gut ist, wie wir anfangs dachten, müssen wir in der Lage sein, schnell zu reagieren oder zu stoppen. Fehler zu machen und darüber zu reden, ist dabei Daily Business. Damit wir auf diesem Wege Bestleistungen erzielen, braucht es Schnelligkeit, Flexibilität, Selbstorganisation und Ownership. Unsere Unternehmenskultur setzt den Rahmen dafür, dass diese Eigenschaften wachsen können. Sie sagt aus, wie wir miteinander umgehen, arbeiten und welche Werte wir teilen. Bei der HDI Group lauten diese Werte Transparenz, Engagement und Kollaboration – basierend auf gegenseitigem Vertrauen. Transparenz bedeutet, dass wir ein Arbeitsumfeld gestalten, das unsere Strategie, unsere Entscheidungen und Ergebnisse erklärt, und zwar auch dann, wenn nicht alle Wahrheiten bequem sind. Dass wir auf Schwarmintelligenz setzen, ist dazu kein Widerspruch, sondern lässt uns am Ende die besseren Entscheidungen treffen. All dies dient am Ende natürlich einem wirtschaftlichen Zweck. Daher wollen und brauchen wir Mitarbeitende, die sich herausragend engagieren. Um zu erfahren, wo wir in dieser Hinsicht stehen, haben wir eine Engagement-Umfrage unter unseren weltweit 28.000 Kolleginnen und Kollegen durchgeführt. Das Ergebnis nutzen wir zur Weiterentwicklung unserer Kultur, unserer Führung und unseres Arbeitsumfelds.
Zusammenarbeit nicht dem Zufall überlassen
Fördere ich als Arbeitgeber Talente und gebe den Menschen Freiräume, sich selbstorganisiert und mit ihrer ganzen Persönlichkeit einzubringen, ist echtes Engagement spürbar. Ein Baustein dafür sind Entwicklungs- und Mentoring-Programme wie unser Female Empowerment Programme oder das konzernübergreifende Traineeprogramm TalanXPlore. Ein ungeheurer Gewinn für Verbundenheit, Engagement und Innovation im Unternehmen sind die HDI-Mitarbeitenden-Communitys. Diese „Graswurzelbewegungen“ mit einer riesigen Themenbandbreite von neuen Technologien bis hin zur Pride-Community teilen ihr Wissen über E-Tutorials, Teams-Kanäle, Podcasts und Events.
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Die Verbundenheit zu den Menschen, die mit uns arbeiten, ist ein großer Motivator und ermöglicht die Kollaboration, die wir uns wünschen. Das „together“ ist deshalb ein wichtiger Teil unseres Purpose „Together we take care of unexpected and foster entrepreneurship“. Es entsteht, wenn wir gemeinsam an Erfolgen arbeiten und dabei nicht Teile unserer Persönlichkeit an der Eingangstür abgeben müssen. Wie wir zusammenarbeiten, darf nicht dem Zufall überlassen werden. Mit einem einfachen Instrument wie einer Team-Charta können Teams verbindliche Regeln für eine gelungene Zusammenarbeit individuell festlegen: Wie gewährleisten wir den besten Service? Wann treffen wir uns in Präsenz im Büro? Was ist unser Beitrag zur Strategie? Eine solche Team-Charta lebt und sollte – wie alles, was wir tun – in regelmäßigen Abständen gechallenged werden.
Ehrliches Feedback – aber wie?
Die wichtigste Basis für Transparenz, Engagement und Kollaboration ist Vertrauen. Aufzustehen und zu sagen: „Das bringt uns so nicht weiter“, fällt nicht immer leicht. Nur in einem psychologisch sicheren Umfeld, in dem wir keine Angst haben müssen, für Kritik oder einen offengelegten Fehler „abgestraft“ zu werden, zeigen wir uns offen und verletzlich. Dies ist unabdingbar für ehrliches Feedback und gemeinsames Lernen. Ein spannendes Instrument dafür ist die Feedback-Arena: ein geschützter Raum, in dem der Feedbackempfänger die Feedbackgebenden zunächst nicht sieht, sondern nur hört. Er oder sie bleibt stumm, bis der Sichtschutz für das offene Gespräch – begleitet durch eine Mediation – entfernt wird. Das führt oft zu überraschend ehrlichen Rückmeldungen.
Damit umzugehen, erfordert Selbstreflexion und den Willen zur stetigen persönlichen Weiterentwicklung. Es ist an den Führungskräften, hier als Beispiel voranzugehen. Sie müssen sich verletzlich zeigen und Nichtwissen zugeben können, aushalten, dass es keine einfachen Lösungen gibt, und Fehlentscheidungen transparent machen. Das bedeutet einen großen Schritt heraus aus der eigenen Komfortzone. Doch es lohnt sich, denn es gibt dem Team eine große Sicherheit.
Kultur ist Strategie
Mit dem Satz „Culture eats strategy for breakfast“ unterstrich der Management-Vordenker Peter Drucker einst die Bedeutung von Kultur im Vergleich zur Strategie. Frei übersetzt: Die Strategie kann auf dem Papier noch so gut sein – wenn die Kultur nicht stimmt, stellt sich trotzdem kein Erfolg ein. Ich bin mir sicher: Kultur ist Strategie. Denn sie ist entscheidend für die Bindung an den Arbeitgeber, sie trägt Performance und Innovationskraft. Deshalb müssen wir die richtige Kultur fördern: Indem wir Talente einstellen und halten, die unsere Werte leben, die Menschen ermutigen, sich ganzheitlich einzubringen, ihnen Freiräume für Unternehmertum geben und uns bei alldem immer wieder challengen. Befehlen können wir Leistung nicht. Niemand von uns steht morgens auf, krempelt sich die Ärmel hoch und sagt: „Heute werde ich den Return on Equity meines Arbeitgebers um zwei Prozentpunkte erhöhen.“ So funktionieren wir Menschen nicht. Aber wir können die Menschen fragen, was sie dazu motiviert, jeden Tag mit Freude und Engagement zur Arbeit zu gehen, und können ein Umfeld schaffen, das Performance fördert.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Performance. Das Heft können Sie hier bestellen.