Cawa Younosi, Personalleiter bei SAP, spricht über Remote Work, psychische Gesundheit während des Corona-Lockdowns und seine „Pandemic Taskforce“.
SAP ist bekannt für seine zahlreichen Mitarbeiterprogramme zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Flexible Arbeitszeiten, Mobile Office, Führung in Teilzeit – all das war schon vor der Corona-Pandemie gang und gäbe. War Ihr Unternehmen dadurch besser für die Krise gerüstet?
Ja, wir meinen schon. Das sehen wir tatsächlich auch im Austausch mit anderen Unternehmen. Hier zahlt sich die fortgeschrittene Digitalisierung in Kombination mit unserer Strategie besonders aus: „Die Menschen stehen im Mittelpunkt von allem, was wir tun.“
+++Beim digitalen Personalmanagementkongress 2020 am 14. und 15. September moderiert Cawa Younosi ein Personal Lab zum Thema „Diversity Hacks & Inclusion Nudges – 10 Praxistipps, die Sie morgen in Ihre Personalarbeit einbauen können“.Hier geht’s zur Website des PMK2020+++
Eins ist aber dabei ja auch klar, wir haben einen Vorteil durch die Branche, in der wir arbeiten, wenn es um Digitalisierung geht. Die Expertise und die Bereitschaft bei uns innovative Konzepte frühzeitig umzusetzen, war und ist hoch. Trotzdem geht es auch bei uns nicht ohne echtes Vertrauen, ohne Gespräche mit Führungsebenen, Kolleg:innen oder den Sozialpartnern und manchmal eben auch echter Überzeugungsarbeit und Verhandlung. Das hat sich ausgezahlt, als plötzlich alle von einem Tag auf den anderem im Shutdown saßen. Wir hatten dadurch den Blick und den Horizont frei, fast vom ersten Tag an, tief in die konkreten Bedürfniswelten der Einzelnen reinzuschauen, denn „von zu Hause in die Tasten hauen“ war bei uns schon für zwei bis drei Tage Remote Work pro Woche im Durchschnitt normal
Durch diese Vorarbeit und das sichere Fundament, dass „das wenigstens läuft“, konnten wir also all unsere Energie bei Eintritt der Krise vollkommen in die physische und psychische Gesundheit unserer Mitarbeiter:innen stecken und hatten die Ruhe, genau hinzuschauen und zuzuhören. Selten war das so wichtig – und auch so schwierig, auf Distanz. Wir wollten den Kontakt nicht verlieren, das „Touch and Feel“ beibehalten und haben sehr sorgfältig und transparent kommuniziert, Feedback sehr engmaschig eingeholt und verteilt. Lösungen für individuelle Belastungen wie die Vereinbarkeit von Home Schooling und Homeoffice finden zum Beispiel geht nur, wenn man eine kritische Masse befragt und diese der Personalabteilung auch ohne Angst die Schmerzpunkte anvertraut. Auch für Alleinlebende musste etwas her – der Arbeitsplatz vor Ort ist ein sozialer, menschlicher Ort, der erstmal wegfällt, das kann einsam machen und das macht auch krank. Daher haben wir nicht nur durch eine Kooperation mit der Corona School e.V. den Bedarf an qualifizierter und individueller Lernunterstützung decken können, sondern durch viele gemeinsame, virtuelle Feierabendveranstaltungen und virtuellen „Never Lunch Alone“ Maßnahmen gegen eine drohende Überbelastung und Vereinsamung umsetzen können. Zudem war sofort klar: Gehaltseinbußen gibt es nicht, wenn Mitarbeiter:innen durch die Kinderbetreuung weniger oder gar nicht arbeiten können. Damit haben wir Solidarität und Sicherheit geschaffen, die sich in Loyalität ausgezahlt hat.
Konntet Sie aus diesen Maßnahmen konkrete Auswirkungen auf das Engagement und die psychische Gesundheit der Mitarbeiter:innen ableiten?
Definitiv. Das zeigen neben den zahlreichen persönlichen Nachrichten an uns auch die Zahlen. Unser Employee Engagement Index ist im Vergleich zum Vorjahr trotz der Krise deutlich gestiegen, obwohl wir wissen, dass das Stresslevel höher ist. Und die darin enthaltene Loyalität spiegelt sich auch in den 96 Prozent der Stimmen wider, die sagten, dass sie SAP als „großartigen“ Arbeitgeber weiterempfehlen würden.
Zusätzlich zu den bestehenden Mitarbeiterbefragungen haben wir aber im Allgemeinen das Zuhören seit Beginn der Krise gezielt mit sogenannten „Pulse-Checks“ verstärkt. Wir wussten also sehr früh, dass das Thema Work-Life-Balance nicht einfach nur ein medialer, sondern ein tatsächlicher Stressfaktor im Homeoffice ist. Deswegen haben wir auf beiden Seiten angesetzt: Im Management und bei den Mitarbeiter:nnen. Wir haben sie geschult und zum Beispiel den Arbeitspsychologen Bertolt Meyer virtuell eingeladen, der zu notwendiger Selfcare in Zeiten von Corona sprach, Forschung teilte, diskutierte und Fragen beantwortete. 1.300 Mitarbeiter:innen und über 500 Führungskräften in Deutschland haben das live angesehen, danach noch viele die entsprechenden Aufzeichnungen.
Unser seit 2018 bestehendes Achtsamkeits-Programm „SAP for You“ erlebt erneut einen Run, obwohl wir schon ca. 10.000 Teilnehmer:innen im letzten Jahr hatten. Zahlen und Daten: 6.600 Teilnahmen an verschiedenen Bausteinen der Achtsamkeitspraktiken im ersten Halbjahr 2020 – das hilft und hat nichts mit Klangschalenromantik zu tun.
Kununu hat speziell in der Corona-Zeit eine Sonderbefragung zur Leistung des Arbeitgebers in der Krise abgehalten, wo wir mit 4,7 von 5 Sternen und einer 100 Prozent Weiterempfehlungsrate bewertet wurden. Auf Glassdoor haben wir jüngst unseren eigenen Highscore von 4,8 von 5 Sternen in Deutschland erreicht. Wir freuen uns enorm darüber, den Wert unserer Arbeit in all diesen Zahlen und dem Feedback so konkret sehen zu können, da schlägt ja das Herz der Personalabteilung höher.
Was ist die größte Herausforderung in den kommenden sechs Monaten?
Die Herausforderung bleibt weiterhin die Sicherheit unserer Mitarbeitenden zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass Kreativität und Motivation sowie die mentale Gesundheit unserer Mitarbeiter:innen auf lange Frist nicht unter diesem „Covid-Marathon“ leiden. Vieles wird „anders bleiben“ und es sind auch wertvolle Erkenntnisse dazugekommen.
Wir sind mit der gesamten Pandemic Taskforce kontinuierlich dabei, verschiedene Szenarien zu evaluieren und vorzubereiten, um bei raschen Veränderungen individuell und bestmöglich handeln zu können. Wir haben in Echtzeit und unter Druck gesehen, was funktioniert und unseren Mitarbeiter:innen hilft – und was nicht. Unser Blick ist schärfer, wir sind schneller geworden und dabei gelassener. Das gilt es zu halten und auf lange Sicht immer wieder mit neuen Ideen auszubauen. Die Zutaten dafür sind frei verfügbar: Empathie und Solidarität. Das schafft man nur gemeinsam.
Cawa Younosi ist Personalleiter Deutschland bei SAP.