Sofa, Küchentisch oder Bett? Anzug oder Jogginghose? Nicht nur diese Fragen hat sich bereits in der ersten Welle eine Vielzahl von Berufstätigen täglich zu Hause gestellt. Feierten Unternehmen und Beschäftigte das Homeoffice zunächst, scheint es dauerhaft wohl doch keine so gute Idee zu sein – vermehrt kommen Zweifel an dieser Form des Arbeitens auf. Daher müssen wir uns jetzt in der dritten Welle fragen, wie und wo wir in Zukunft arbeiten werden. Dabei sollten Unternehmen keineswegs vier zentralen Annahmen über das New Normal Working auf den Leim gehen:
1. Irrtum: Menschen können überall arbeiten
Befänden wir uns im Gesellschaftsspiel Monopoly, hörten wir die Leute aus der Unternehmensleitung sagen: „Gehen Sie zur neuen Normalität nicht über Los! Gehen Sie direkt nach Hause und ziehen Sie kein Geld für einen adäquaten Arbeitsplatz ein!“ Alles deutet darauf hin, dass die Unternehmen ihre wertvollste Ressource auch künftig zum Arbeiten nach Hause schicken wollen. Doch nicht alle haben einen adäquaten heimischen Arbeitsplatz oder die Umgebung, sich ohne Unterbrechungen zu konzentrieren. Jahrelang haben Unternehmen die Heterogenität ihrer Belegschaft bewusst gefördert, jetzt dürfen sie diese nicht ignorieren, indem sie allen die gleichen Lösungen anbieten. Es ist ein Trugschluss, vom Arbeiten ohne Einschränkungen am Küchentisch oder auf dem Sofa auszugehen. Allerdings scheinen frühere Debatten über Arbeitszeit-, Arbeitsschutz- sowie Datensicherheits- und -schutzprobleme im Homeoffice kaum noch Relevanz zu haben und aus dem Blick der Unternehmen zu verschwinden.
2. Irrtum: Homeoffice macht glücklich
Menschen brauchen nicht nur den persönlichen Kontakt zueinander, es ist auch kaum zu erwarten, dass sie von zu Hause aus zu einem Team zusammenwachsen. Nicht alle wollen auf Dauer zu Hause arbeiten, wo sich Arbeit und Privatleben zwangsläufig vermischen. Vor allem bei neu Eingestellten, die das Unternehmen und das Kollegium noch gar nicht oder kaum kennengelernt haben, dürfen Verantwortliche sich nicht der trügerischen Hoffnung hingeben, dass sie das Onboarding ohne weiteres in den digitalen Raum verlegen können. Der Blick in die Forschung zeigt deutliche Unterschiede zwischen der formalen und der sozialen Dimension betrieblicher Sozialisation. Während sich die formalen Aspekte wie Informationen über die Historie des Unternehmens oder die Stellenaufgaben schriftlich oder digital kommunizieren lassen, ist das bereits bei dem informalen Teil der Aufgabenerfüllung kaum mehr möglich. Das gilt vor allem für Verhaltensnormen, Werte, Kultur, informelle Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen, die Teil der sozialen Dimension und virtuell nicht mehr zu erleben sind. Trotz aller Bemühungen kann durch digitales Onboarding nur eine eng begrenzte Sozialisation erreicht werden. Fehlende soziale Kontakte, erschwerte Kommunikation und das Gefühl, nicht angekommen zu sein, tragen dazu bei, dass bei weitem nicht alle im Homeoffice glücklich werden.
3. Irrtum: Führung bleibt Führung – auch im virtuellen Raum
Auch wenn es den Anschein hat, Unternehmen könnten das bisherige Führungsverhalten im virtuellen Raum aufrechterhalten, täuscht dieser Eindruck. Die digitale Führung birgt Probleme, da bereits die umfassende Kommunikation und der spontane Austausch aufgrund der Hemmschwelle, die ein Anruf für beide Seiten bedeutet, weitgehend ausbleiben. Hat jemand dann den ersten Schritt zum digitalen Austausch gemacht, fehlt dabei schnell die Körpersprache, die für eine erfolgreiche Interaktion – gerade in Konfliktsituationen – von großer Bedeutung ist. Trotzdem gilt es, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Teammitglieder im Blick zu behalten und Arbeitsergebnisse sicherzustellen, ohne sie mit digitalen Anwendungen zu überwachen. Hierfür bieten sich individuelle Feedbackgespräche an. Beschäftigte dürfen auch nicht das Gefühl haben, allein und auf sich gestellt zu sein. Um Vertrauen aufzubauen und den Zusammenhalt zu fördern, sind regelmäßige virtuelle Teamgespräche wichtig. Zudem müssen sich Führungskräfte fragen, wie sie ihre Teams motivieren, wenn sie diese nur noch in geplanten digitalen Meetings sehen und nicht spontan. Derzeit experimentieren Unternehmen mit Maßnahmen, die von virtuellen Kaffeerunden bis hin zu Videobotschaften des Managements reichen und im Einzelfall durchaus erfolgreich sein können. Aber selbst wenn man auch bei der virtuellen Führung nicht den einen besten Weg erwarten sollte, darf man doch gespannt auf die weiteren Erkenntnisse der Führungsforschung sein.
4. Irrtum: Flexibles Arbeiten verbessert jede Employer Brand
Da offensichtlich nicht alle auf das Homeoffice gewartet haben, können Unternehmen auch nicht automatisch davon ausgehen, dass sich die Arbeitgeberattraktivität sprunghaft erhöht. Firmen kommen nicht umhin, auch in Zukunft eine zielgruppengerechte Ansprache finden zu müssen, wenn viele von uns das dauerhafte Arbeiten zu Hause eher an Einsamkeit als kollegiales Miteinander erinnert. Um Bewerberinnen und Kandidaten nicht abzuschrecken, muss HR genau prüfen, was die eigene Arbeitgeberattraktivität und deren Kommunikation ausmacht, und gegebenenfalls ein Rebranding in Betracht ziehen. Für Unternehmen ist jetzt der Zeitpunkt, über das Arbeiten nach der Pandemie nachzudenken und individuell zugeschnittene Alternativen zu einem dauerhaften Homeoffice zu entwickeln. Unternehmen müssen aus der Krise mitnehmen, dass die Unterstützung bei mobiler Arbeit und die Arbeitsplatzsicherheit zukünftig die Arbeitgebermarke stärker bestimmen werden.
Nach der Pandemie wird das Arbeiten für die meisten von uns nicht mehr so sein wie vorher. Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass die großen Schritte der Digitalisierung und der Abschied von der Präsenzkultur schon die Zukunft der Arbeit sind. Wesentlich sachgerechter erscheint es, jetzt über hybride Lösungen nachzudenken, die nicht die Isolation aller im Homeoffice zur Folge haben– auch in Zukunft brauchen wir uns gegenseitig!
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