Digitalisieren, bevor es zu spät ist

Future of Work

Personaler tragen eine Verantwortung wie nie zuvor: Sie haben es in der Hand, ob Unternehmen neue digitale Geschäftsfelder erobern – oder der Konkurrenz aus dem Netz unterliegen.

Lassen Sie uns erst einmal nicht über HR sprechen, sondern über Autos: Wer vor fünf Jahren behauptet hätte, dass sich in naher Zukunft ein neuer Automobilhersteller auf dem weltweit stark umkämpften Markt für Luxusautos etablieren könnte und bessere Elektroautos baut als die bekannten Branchengrößen wie Mercedes, BMW und Audi, den hätten wir sehr wahrscheinlich für verrückt erklärt. Dann hörte man irgendwann zum ersten Mal den Namen Tesla, ein amerikanisches Unternehmen, das sich auf die Entwicklung von Elektroautos spezialisiert hat – gegründet vom Internetpionier und PayPal-Milliardär Elon Musk. Mitte 2012 brachte Tesla eine Limousine mit dem Namen Model S auf den Markt – und rollt seitdem den Markt für emissionsfreie Luxusautos auf.

Die Autobranche ist nur ein Beispiel dafür, wie Unternehmen, die aus der Hochburg der Computerchips, dem Silicon Valley, stammen, gut funktionierende Geschäftsfelder revolutionieren: Online-Händler Amazon zerstört den Buchmarkt, die Limousinen-Service-App Uber greift die Taxibranche an und der Schlafplatz-Suchdienst AirBnB nimmt Hoteliers aufs Korn, indem das Unternehmen eine Plattform bietet, auf der Privatleute ihre Wohnung als Mini-Hotel inserieren können. Das ist nicht unbedingt ein neues Phänomen. Newcomer erfinden ganze Geschäftsfelder neu und das mit erschreckender Leichtigkeit: Binnen weniger Jahre rütteln sie Dekaden alte Strukturen auf, transformieren langbewährte Geschäftsideen mittels neuer Technik, der Verknüpfung von industrieller Fertigung und Software sowie radikaler Wachstumsstrategien. Die ehemaligen Branchengrößen wissen meist gar nicht, was mit ihrem Geschäftsfeld passiert ist, bevor es bergab geht.

Genau deshalb müssen wir jetzt dringend über HR sprechen. Denn Personaler sitzen an der Schlüsselposition, um zu entscheiden, ob ihr Unternehmen den Wandel hin zu neuen digitalen Geschäftsmodellen besteht – oder nicht. „Personaler müssen zu Vordenkern werden und ihr Unternehmen für die digitale Transformation fit machen“, meint Willms Buhse, Trainer und Chef der Digital-Strategieberatung Doubleyuu. „Doch viele Personalabteilungen sind damit derzeit noch überfordert.“ Das ist schlecht. Denn sie sollten ihr Unternehmen eigentlich gegen die Netzrevolte stärken.

1. Die eigentliche Gefahr erkennen

Es klingt zynisch, wie Clayton Christensen, Professor für Business Administration an der renommierten Management-Akademie Harvard Business School, über die Zukunft seines eigenen Arbeitgebers spricht: „Seit circa 13 Jahren reden wir darüber, dass Management-Weiterbildungen eines Tages gegen Inhouse-Universitäten verlieren werden“, sagte Christensen Ende 2012 in einem Gespräch bei dem Harvard-Innovations-Thinktank Nieman Lab. „Nur konnte niemand sich je wirklich vorstellen, dass das eines Tages auch eintreten würde.“ Nicht einmal stark purzelnde Teilnehmerzahlen bei dem MBA-Programm der Business School um bis zu 22 Prozent in einem Jahr konnten laut Christensen Zweifel bei seinen Kollegen schüren. Christensen hingegen glaubt: Business Schools werden als nächstes von innovativen Unternehmen über die Klippe gestoßen.

Kaum jemand dürfte das besser wissen als Christensen. Seit mehr als 15 Jahren erforscht der Professor die alles ändernde, sogenannte „disruptive“ Energie neuer Player, die alte Geschäftsfelder transformieren. Laut Christensen müssen Manager stetig die Vorteile der möglichen Disruptoren analysieren: Der Durchbruch des Heim-PCs gelang, weil die Hersteller Komponenten standardisiert herstellen konnten – ein riesiger Kostenvorteil im Vergleich zu den zimmerfüllenden, handgebauten Rechenmaschinen der 60er und 70er Jahre. Elektro-Autopionier Tesla hingegen hatte den Vorteil, durch den Milliardär Musk erst einmal jahrelang nur in Entwicklung zu investieren, so konnte das Unternehmen von der grünen Wiese komplett neue Batterien und Antriebstechniken erfinden.

Doch wie können Manager die Disruptoren ihrer Branche ausfindig machen? Das Problem der Alteingesessenen bei der Suche: Sie verstehen nicht, wie schnell es plötzlich bergab gehen kann, meint Chris-
tensen: „Selbst wenn die Disruption langsam beginnt, Fahrt aufzunehmen, ist das Kerngeschäft der Alteingesessenen noch recht lange profitabel.“ Und: „Erst wenn das Produkt der Neulinge so gut wird, sodass es die Wünsche der Kunden besser erfüllt, stürzen die Konkurrenten plötzlich die Klippe hinab.“ Manager müssen also nicht nur direkte Konkurrenten im Blick haben, sondern auch auf Startups in Wachstumsmärkten schauen, die eine innovative Geschäftsidee haben. Denn dort lauert die eigentliche Gefahr.

Wenn man einmal potenziell disruptive Startups identifiziert hat, kann man sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Auf den ersten Blick fällt diese Aufgabe nicht den Personalmanagern in Unternehmen zu, mögen traditionell denkende HR-Manager jetzt sagen. Aber sie tut es eben doch. Neuerdings zumindest. Sabine Josch, Personaldirektorin bei Otto, beschreibt das so: „HR-Fachleute sind heute mehr als die klassischen Personaler, wie es sie in den letzten Jahren noch gab“, sagt sie. „Sie sind zu Trendscouts und Beratern für die Fachbereiche geworden.“ Der Personalbereich nehme dabei eine aktive Rolle in der Unternehmensentwicklung ein.

2. Personaler an die Macht

Bei Otto funktionierte der Wandel hin zu digitalen Geschäftsmodellen so: Seit Jahren steht der Hamburger Versandhandel unter Dauerbeschuss durch die international agierenden Internetgiganten Amazon und Zalando. Als Gegenmaßnahme gründete das Traditionsunternehmen jüngst neue Webshops mit Namen wie About You oder Edited, die auf moderne Technik und Datenanalyseverfahren zurückgreifen können, sich also bei Mitteln der Startup-Welt bedienen. Doch nicht nur bei den Webshops geht Otto neue Wege, die digitale Transformation des Unternehmens hat auch weitreichende Folgen für die Personalabteilung. „Unsere Arbeit ist mehr denn je in die Zukunft gerichtet“, sagt Sabine Josch.

Früher arbeitete die Otto-Personalabteilung eher situationsbezogen, fand also Lösungen, wenn es Probleme gab. Heute sind die Personaler Ansprechpartner für mehrere Fachabteilungen im Sinne der digitalen Umrüstung, nicht mehr nur Experte bei rein personellen Fragen: Um neue digitale Geschäftsfelder aufbauen zu helfen, müsse die Personalabteilung mit den Fachabteilungen „innovative und flexible Organisationsstrukturen schaffen“, sagt Personaldirektorin Josch. Der Wandel hin zu digitalen Geschäftsfeldern ist also auch ein kultureller. Eine klassische HR-Aufgabe, neu definiert.

3. Von Schnellbooten und Leuchttürmen

Doch wie leiten Personalabteilungen den kulturellen Wandel in ihrem Unternehmen hin zu einer digitalen Zukunft ein? „Nichts verändert eine Unternehmenskultur besser als schnelle Erfolge“, sagt Willms Buhse. Der Transformations-Experte rät Personalern, die Abteilungen im Unternehmen ausfindig zu machen, in denen es bereits digitales Verständnis gibt, die aber nicht für die Strategie im Unternehmen zuständig sind. „Das können Online-Marketing, IT-Abteilung oder die Geschäftseinheiten sein, die bereits mit digitalen Services experimentieren“, sagt Buhse. Personaler müssen verstehen, wie diese digitalen Vorreiter in ihrem Unternehmen arbeiten.

Der nächste Schritt besteht laut Buhse darin, kleine Experten-Teams im Unternehmen zu gründen, die sich ganz den digitalen Trendthemen wie Big-Data-Analyse und E-Commerce widmen. „Personaler suchen dafür handverlesene Mitarbeiter aus“, sagt Buhse. „Und schulen sie für ihre neue Aufgabe.“ Schließlich beschäftigen sich HRler klassischerweise ohnehin schon mit Weiterbildungsmaßnahmen und Schulungen.

Buhse nennt solche Teams „Schnellboote“, sie sollen erste Erfolge einfahren und die Vorteile der neuen digitalen Geschäftsmodelle präsentieren. So läuft es auch bei Otto: „Wir gründen agile, schlagfertige Teams, in denen Hierarchien und Strukturen zunächst eine untergeordnete Rolle spielen“, sagt Personalchefin Josch. Dazu gehören sicherlich auch die neuen Webshop-Teams. Es heißt aus dem Unternehmen, sie hätten weitgehend freie Hand in der Gestaltung der neuen Einkaufsmöglichkeiten im Internet. Es geht darum, mit gutem Beispiel voranzugehen. Sabine Josch spricht von „Leuchttürmen, die eine Sogwirkung erzeugen und Mut und Lust für Veränderung schaffen.“ Die Personalabteilung sitzt dabei in der Schaltzentrale, auch bei Otto. „Bei einem stetigen Wandel müssen wir die Bedarfe in den unterschiedlichen Geschäftsfeldern bestimmen und in einem engen Austausch mit den Fachbereichen bleiben.“

Die neue digitale Herausforderung wird schwierig, keine Frage. Wenn HR sich nicht weiter einschaltet, sieht es auch im Rest des Unternehmens für den digitalen Kulturwandel oft düster aus. Berater Buhse kennt das. Er hält Vorträge und Workshops bei Unternehmen wie Lufthansa, Bosch, Daimler, Metro, Deutsche Bank. Spricht er über die Notwendigkeit, digital umzudenken und gesamte Geschäftsfelder umzukrempeln, schaut er oft in verdutzte Gesichter. „Einer hat’s verstanden, drei lehnen es massiv ab und dazwischen sitzen noch ein paar Unentschiedene.“ Buhses Fazit: „Wir brauchen ein neues Managementverständnis in deutschen Unternehmen.“

4. Neue Führung, neue Denke, neue Mitarbeiter

Die größte Herausforderung für Manager, ein gestandenes Unternehmen so aufzustellen wie peppige Startups, liegt darin, unter unsicheren Bedingungen zu managen. Startups kennen das nicht anders:

Sie leben in ständiger Unsicherheit, weil sie alles selbst aufbauen müssen – und häufig noch beweisen müssen, dass sich die Investments von Risikokapitalgebern lohnen. Das sorgt für eine ganz andere Risikokultur. Deutsche Manager hingegen erwarten ein skalierbares Geschäft mit kalkulierbarem Risiko. Aber das gibt es in der Digital-Wirtschaft nicht mehr.

Buhse trainiert deshalb mit Managern, einen mentalen Schalter zu entwickeln, den sie zwischen klassisch skalierbarem Geschäft und digitaler Unsicherheit umlegen können. Wie nötig solch ein Schalter in der klassischen Managementwelt gebraucht wird, demonstrierte in diesem Jahr auch der Elektro-Autobauer Tesla, als die Kalifornier ihre Patente freigaben – versehen mit dem freundlichen Hinweis an die Konkurrenz, sie möge sich doch bitte reichlich bedienen. Das Argument dahinter, wie Tesla-Chef Elon Musk verriet: Teslas Geschäft wäre nicht von den anderen Elektrofahrzeug-Fabrikanten bedroht, sondern von der schier endlosen Anzahl an Benzinern, die immer noch weltweit von den Fließbändern laufen. Klingt schlüssig, aber nichts könnte mehr gegen die deutsche Denke verstoßen, als das Heiligste – den patentierten Wettbewerbsvorteil –
zu veröffentlichen.

Welcher Manager aus einem traditionellen Großunternehmen kommt schon mit solch einer Denkweise klar? Um den digitalen Wandel zu schaffen, brauchen Unternehmen deshalb dringend so etwas wie einen Chief Digital Officer, einen hochkarätigen Manager, der auf oberster Ebene angesiedelt ist und Entscheidungen treffen kann, meint Claudia Crummenerl, Beraterin für Organisationsentwicklung bei Capgemini Consulting: „Wichtig ist, dass er den Job wirklich schon einmal gemacht hat.“ Genauso jüngst beim Autobauer BMW geschehen. Als neuen Senior Vice President der Abteilung für Digital Business Models holte BMW den Technik-Experten Dieter May ins Haus, der zuvor jahrelang das Innovations-Geschäft des finnischen Telekommunikationskonzerns Nokia geleitet hatte. Beraterin Crummenerl ist sich sicher: Mit so einer Führungsfigur an der Spitze können Unternehmen auch den Rest der Mannschaft vom digitalen Wandel überzeugen.

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Marvin Milatz

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