EU-Richtlinie soll Gender-Pay-Gap schließen

Analyse

Im Juni 2023 ist die EU-Entgelttransparenzrichtlinie in Kraft getreten. Seitdem sind die EU-Mitgliedstaaten gefordert, die Richtlinie bis zum 6. Juli 2026 in nationales Recht zu überführen. In Deutschland liegt die Verantwortung für die Umsetzung beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Das Ziel des BMFSFJ ist es, die vorgegebene Richtlinie eins zu eins umzusetzen.

Das betont Thomas Fischer, der zuständige Referatsleiter im BMFSFJ, in seinen Vorträgen immer wieder. Dadurch müssen Organisationen nicht auf das Gesetz warten, sondern können auf Basis der bestehenden Richtlinie mit der Umsetzung der Anforderungen beginnen.

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit

Die EU-Richtlinie verfolgt ein klares Ziel: gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit. Dieses Ziel ist nicht neu, sondern findet sich bereits in den sogenannten Römischen Verträgen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von 1957, Artikel 119: „Jeder Mitgliedstaat wird (…) den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und in der Folge beibehalten.“

Doch die meisten EU-Länder weichen von dieser Zielsetzung immer noch stark ab – der Gender-Pay-Gap ist zu hoch. Bezogen auf Deutschland haben wir seit vier Jahren einen unveränderten, unbereinigten Gender-Pay-Gap von 18 Prozent. Damit liegt Deutschland auf demselben Niveau wie Österreich. Der EU-Durchschnitt lag 2021 bei 12,7 Prozent. Um das Ziel, gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, zu forcieren, beschloss die EU im vergangenen Jahr die Entgelttransparenzrichtlinie.

Um das Ziel zu erreichen, setzt die EU auf vier zentrale Elemente:

  1. Vorgabe klarer Entgeltstrukturen: Unternehmen müssen objektive und geschlechtsneutrale Kriterien für die Vergütung festlegen und diese Mitarbeitenden und Bewerbenden gegenüber transparent machen.
  2. Umfassende Transparenzpflicht: Informationen wie Einstiegsgehälter und Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen sollen Unternehmen klar kommunizieren. Aber auch Durchschnittseinkommen und Gender-Pay-Gaps innerhalb vergleichbarer Tätigkeitsgruppen müssen offengelegt werden.
  3. Berichtspflicht für Unternehmen: Größere Unternehmen (ab 100 Mitarbeitenden) sind verpflichtet, regelmäßig Berichte zur geschlechtsspezifischen Lohnstruktur zu erstellen und zu veröffentlichen. Diese Berichte sollen Unterschiede in der Vergütung sichtbar machen. Gleichzeitig wird es dadurch möglich, gezielte Maßnahmen gegen ungerechtfertigte Lohnunterschiede zu ergreifen.
  4. Verpflichtende Maßnahmen und Sanktionen: Können Unternehmen vorhandene Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen nicht anhand von objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien erklären, ist eine gemeinsame Lohnbewertung mit der Arbeitnehmendenvertretung verpflichtend. Ansonsten drohen Sanktionen wie Bußgelder oder der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Eine entsprechende Bußgeldstelle wird im Bundesfamilienministerium eingerichtet. Darüber hinaus haben Mitarbeitende die Möglichkeit, Schadensersatzklage einzureichen. Die Beweislast für eine faire Vergütung wird dabei aufseiten der Unternehmen liegen.
Quelle New Pay Collective

 

 

Berichtspflicht schon für das Geschäftsjahr 2026

Um herauszufinden, wie gut Organisationen auf die Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie vorbereitet sind, führte das New Pay Collective eine Befragung unter HR Verantwortlichen und Geschäftsführungen durch. Das Ergebnis offenbart nicht nur große Informationslücken, sondern vor allem strategischen Handlungsbedarf zur Umsetzung der Vorgaben. Die Studie zeigt, dass viele Unternehmen noch nicht ausreichend auf die Anforderungen der EU-Richtlinie vorbereitet sind. Nur knapp 30 Prozent der Befragten gaben an, sich „sehr gut“ oder „gut“ informiert zu fühlen. Dabei greift die anstehende Berichtspflicht über das Entgeltgefälle bereits für das Geschäftsjahr 2026.

Es bleibt also wenig Zeit, um notwendige Anpassungen vorzunehmen. Auf die anschließende Frage „Wie gut, denkst du, ist deine Organisation auf die Anforderungen der Entgelttransparenzrichtlinie der EU vorbereitet?“ gaben nur 20 Prozent der Befragten an, dass ihr Unternehmen „gut“ oder „sehr gut“ vorbereitet ist.

Hoher administrativer Aufwand befürchtet

Zwei Drittel der Befragten glauben, dass die EU-Entgelttransparenzrichtlinie zu mehr Lohngerechtigkeit beitragen wird (66 Prozent). Mehr als die Hälfte geht davon aus, dass sie zu einer stärkeren Transparenzkultur führt, und 43 Prozent erwarten, dass sie das Vertrauen der Mitarbeitenden stärken. Gleichzeitig sehen 51 Prozent den hohen administrativen Aufwand als Problem. Rund 50 Prozent befürchten, dass Mitarbeitende in Zukunft höhere Gehälter fordern werden, wenn die Gehaltsstrukturen transparenter sind. Zudem glauben 46 Prozent, dass es durch mehr Transparenz zu Spannungen innerhalb der Belegschaft kommen könnte.

Besonders Unternehmen, die stark auf individuelle Gehaltsverhandlungen setzen, betrachten die Richtlinie skeptisch. Viele Führungskräfte befürchten, dass sie den individuellen Verhandlungsspielraum einschränkt. Auf der anderen Seite sehen viele Organisationen die Chance, sich durch Transparenz als moderner und fairer Arbeitgeber zu positionieren. (siehe Abbildung)

Der Weg zu Gehaltstransparenz ist steinig, aber lohnt sich

Auf die Frage „Wo siehst du den größten Handlungsbedarf in der Organisation?“, bei der Doppelnennungen möglich waren, nannten 62 Prozent der Befragten „die Erstellung bzw. die Überarbeitung des Vergütungssystems und des Gradings“. Dicht gefolgt von „Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für Führungskräfte“ mit 58 Prozent. Auf Platz 3 liegen die beiden Aspekte „detaillierte Gehaltsanalysen“ sowie „Verbesserung der internen Kommunikation“ (jeweils 47 Prozent).

Ebenfalls wurde nach den Herausforderungen bei der Umsetzung der Richtlinie gefragt. Auch bei dieser Fragestellung waren mehrere Antworten zulässig. An der Spitze liegt mit 63 Prozent „der bürokratische Aufwand“, gefolgt von „(kultureller) Widerstand von Führungskräften oder Kolleg:innen“ (48 Prozent) und „mangelnde Informationen und Schulungen“ (44 Prozent). „Datenschutz und Vertraulichkeit“ (43 Prozent) und „rechtliche Unsicherheiten“ (37 Prozent) wurden ebenfalls als Herausforderung angeführt.

Zusammenfassend zeigt sich ein sehr großer Handlungsbedarf, der viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Somit ist jede Organisation aufgefordert, die Themen zeitnah anzugehen. Sonst geraten sie gegenüber ihren Wettbewerbern ins Hintertreffen. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Unternehmen die Notwendigkeit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie erkennen, aber noch beträchtliche Herausforderungen bewältigen müssen.

Technische, rechtliche und kulturelle Barrieren machen es schwer, die Anforderungen zu erfüllen. Doch langfristig bietet mehr Gehaltstransparenz die Möglichkeit, das Vertrauen der Mitarbeitenden zu stärken und die Lohngerechtigkeit zu verbessern.

Die Top 7 Handlungsbedarfe – Das sollten Sie angehen

Eine der großen Fragen in einem so umfassenden Thema ist: Was muss alles berücksichtigt werden? Als New Pay Collective sehen wir die folgenden Top 7 Handlungsbedarfe:

1. Was kommt auf uns zu?

Die neue rechtliche Rahmensetzung verstehen und die Handlungsbedarfe für die eigene Organisation identifizieren und ableiten.

2. Wo stehen wir? Was sind die größten Herausforderungen?

Erstanalyse des Gender-Pay-Gaps und Feststellung des aktuellen Transparenzgrads

3. Wie und was bedeutet Transparenz für unsere Organisation? Wohin wollen wir uns entwickeln? Wie wollen wir vergüten?

Überprüfung und gegebenenfalls Überarbeitung des Vergütungssystems oder Gradings zur Schaffung von Klarheit über gleiche und gleichwertige Arbeit.

4 Wie ist die genaue Situation? Und warum stehen wir da, wo wir stehen?

Eine detaillierte Gehalts- und Ursachenanalyse.

5. Was gilt es konkret zu tun und anzupacken? Welche Prioritäten sind zu setzen?

Ableitung von Anpassungsmaßnahmen, um Equal Pay sicherzustellen.

6. Was müssen Führungspersonen und Mitarbeitende wissen? Welche Kompetenzen gilt es aufzubauen?

Schulung und Sensibilisierungsmaßnahmen für Führungspersonen und Mitarbeitende.

7. Was gilt es langfristig zu verankern? An was müssen wir uns erinnern?

Maßnahmen zur langfristigen Erhaltung bzw. Erreichung von Entgelttransparenz und Equal Pay.

Faire Vergütungssysteme

Das Ziel einer jeden Organisation sollte ein Vergütungssystem sein, das den Mitarbeitenden das Verstehen ermöglicht, anhand welcher Kriterien und in welcher Weise sich ihr Gehalt bestimmt und entwickeln kann. Mit anderen Worten: Das Ziel ist ein faires und nachvollziehbares Gehaltssystem. Um das zu erreichen, müssen sowohl objektive und geschlechtsneutrale Kriterien als auch konsistente und verlässige Prozesse für die Gehaltsbestimmung und -entwicklung bestehen bzw. entwickelt werden.

Maßgeblich für die Festlegung des Entgelts sind Kriterien auf drei Ebenen:

  1. Vergütungskriterien für die Funktion/Stelle/Rolle
    Bei der Entwicklung der Kriterien für die Funktion oder Rolle haben Organisationen Gestaltungsfreiheit, soweit die Kriterien weder im unmittelbaren noch im mittelbaren Zusammenhang mit dem Geschlecht des Arbeitnehmenden stehen. Hier ist es jeweils sinnvoll, Kriterien zu entwickeln, die auf die Zukunftsfähigkeit der Organisation einzahlen. Bezogen auf die Richtlinie können das beispielsweise Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung oder Arbeitsbedingungen sein. Durch die Anwendung der Kriterien auf Funktionsebene wird ebenfalls festgelegt, was die Organisation unter gleicher und gleichwertiger Arbeit versteht.
  2. Vergütungskriterien auf Personenebene
    Ausdrücklich wird in der EU-Richtlinie auch erwähnt, dass die relevanten sozialen Kompetenzen nicht unterbewertet werden dürfen. Und damit sind wir schon bei den Vergütungskriterien für die Person. Besonders bei der Anwendung von Gehaltsbändern wird es notwendig sein, genderneutrale Kriterien für die Einstufung innerhalb der Bänder zu definieren. Neben den sozialen Kriterien können die Exzellenz und die Leistung der Mitarbeitenden berücksichtigt und bewertet werden.
  3. Kriterien für Zulagen und weitere Entgeltbausteine
    Des Weiteren sollten Organisationen die Kriterien für Zulagen und weitere Entgeltbausteine überprüfen bzw. vereinheitlichen, da alle unmittelbaren oder mittelbaren (ergänzenden oder variablen) Bestandteile, die als Geld- oder Sachleistung gezahlt werden, bei der Gender-Pay-Gap-Berechnung berücksichtigt werden müssen.

Klarheit auf der Prozessebene

Die zweite große Säule für ein faires und nachvollziehbares Vergütungssystem ist die Prozessebene. Gut definierte und einheitlich gelebte Prozesse stärken das Vertrauen ins System und somit auch das Fairnesserleben. Dabei sollten Sie folgende Prozesse besonders in den Blick nehmen:

  • Prozess der Funktionsbewertung
  • Prozess der Gehaltsbestimmung bei der Einstellung
  • Prozesse für die kollektive sowie individuelle Gehaltserhöhung

Wenn Sie in diesen Punkten gut aufgestellt sind, haben Sie nicht nur ein faires und nachvollziehbares Gehaltssystem, sondern sind auch für die Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie gut gerüstet. Machen Sie sich auf den Weg! Und nutzen Sie die Gelegenheit, jetzt Vorreiter zu werden.

Über die Studie
Zwischen Mitte Juni bis Ende August 2024 nahmen 404 Personen an der Befragung teil, darunter 262 aus Deutschland, die entweder im HR-Bereich arbeiteten oder Teil der Geschäftsführung waren. Die Studie wurde online durchgeführt. Für den Artikel wurden die 262 Datensätze der Teilnehmer aus Deutschland herangezogen.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Exzellenz. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sven Franke

Sven Franke ist Experte für innovative Vergütungssysteme und Mitbegründer des New Pay Collective. Er setzt sich für mehr Transparenz und Fairness in der Arbeitswelt ein und begleitet Organisationen bei der Gestaltung partizipativer Vergütungsmodelle. Als Co-Autor der Bücher New Pay (Haufe, 2019) und New Pay Journey (Haufe, 2023) bringt er praxisnahe Impulse für die Transformation von Vergütungssystemen in Unternehmen ein. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem New Work Award. Das New Pay Collective ist ein Netzwerk von Menschen, das sich auf die Entwicklung innovativer Vergütungssysteme spezialisiert hat und Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Gehaltstransparenz unterstützt.

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