HR als Zukunftsmotor im Unternehmen

Impuls

Zukunft ist die Imagination zukünftiger Gegenwarten. Das bedeutet: Die eine Zukunft gibt es nicht. Und schon gar nicht ist sie determiniert. Keinesfalls ist sie die lineare Fortsetzung der Vergangenheit, sondern eine Antizipation kommender Möglichkeiten. Mit Übung, Intuition und profundem Wissen können wir manches erahnen, nach leisen Signalen suchen und Trends deuten lernen. Denn wer die Zukunft gestalten will, muss zunächst ein Zukunftsverständnis entwickeln. Hierzu werden Szenarien erstellt und mit ihrer Hilfe erkundet, wie die Welt in fünf oder zehn Jahren aussehen könnte. Nicht irgendwann, sondern jetzt müssen wir mit den notwendigen Schritten dazu beginnen. Das kraftvolle Bild einer brillanten Zukunft stärkt die Arbeitgebermarke und zieht die besten Talente wie magisch an.

Zukunftsfitness erfordert zwei Schritte:

  1. Zukunft verstehen: Dafür brauchen wir Wissen, Erfahrung und Imagination.
  2. Zukunft gestalten: Dafür brauchen wir kreatives Können und innovatives Dürfen.

Mit dem Voranschreiten des Fortschritts und dem Aufstieg junger, forscher, agiler Unternehmen entstehen gänzlich neue Geschäftsmodelle, neue Organisationsdesigns, neue Formen der Arbeit, ein neues Führungsverständnis – und völlig neue Berufe. 85 Prozent der Berufsbilder, die 2030 den Arbeitsmarkt bestimmen werden, gab es bis vor kurzem noch gar nicht. Das ergab eine Studie des Instituts for the Future in Zusammenarbeit mit dem Technologieunternehmen Dell. Fortan werden wir Mitarbeitende brauchen, die multiperspektivisch denken und handeln, permanenten Veränderungswillen entwickeln und, aufbauend auf einer KI-unterstützten eigeninitiativen Lernbereitschaft, crossfunktionale Zusammenhänge verstehen. Insbesondere müssen, um maßgebliche Innovationen voranzutreiben, die notwendigen Expertisen frühzeitig zur Verfügung stehen. Und dafür brauchen wir zweierlei: Zukunftskompetenz und Zukunftsbilder.

Zukunftskompetenz im HR wird dringend ­gebraucht

Um zukunftsfähig zu werden, muss sich das Selbstverständnis des traditionellen Personalwesens grundlegend wandeln: weg von einer reaktiven Verwaltung hin zur proaktiven Gestaltung. Grundbedingung dafür ist, dass das HR in die Rolle des vorausblickenden Gestalters gelangt und sich über das administrative Tagesgeschäft hinaus mit der Zukunft des Unternehmens befasst. Dabei gilt es, ein durch und durch agiles Umfeld zu schaffen, das den permanenten Wandel meistert, die individuellen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt und zugleich eine ausgewogene Balance zwischen Planet, People und Profit in den Vordergrund rückt. So werden die Aufgaben eines zukunftsfähigen HR nicht nur digitaler, sondern auch „grüner“.

Zukunftsfähigkeit beschreibt die erlernbare Kompetenz eines Unternehmens, sich so aufzustellen, dass es sich schnell und flexibel auf veränderte Marktbedingungen, technologische Entwicklungen, gesellschaftliche Trends und ökologische Herausforderungen ausrichten kann. Hierzu muss die Zukunft zunächst ergründet werden, um dann in einem nächsten Schritt zügig Maßnahmen einzuleiten, die eine künftige Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Dies erfordert eine Organisationsstruktur und -kultur, die schnelle Anpassungen ermöglichen sowie Personalentwicklungsaktivitäten, die nicht im Jetzt stecken bleiben, sondern weit in die Zukunft gerichtet sind.

Eine gute Basis dafür sind Zuversicht und tatkräftiger Optimismus. Denn die Zukunft ist ein Möglichkeitsraum. Wir können uns vor ihr fürchten – oder das Beste von ihr erhoffen. Es ist nicht die Zukunft an sich, die uns beunruhigt oder hoffnungsvoll stimmt, es ist unsere eigene Meinung darüber. Wer zuversichtlich ist, lässt sich nicht von Ängsten leiten, sondern setzt sich für das Gelingen ein. Denn Energie folgt der Aufmerksamkeit. Die Zukunft, die dann tatsächlich eintritt, ist die Summe unserer Entscheidungen und das Gesamtergebnis unserer mutigen Taten.

Zukunftsbilder und attraktive Zukunftsnarrative kreieren

Wer die Zukunft erreichen will, muss zunächst ein Bild davon haben, wer er in Zukunft sein will und was er dort tut. Und je schneller wir unterwegs sind, desto weiter müssen wir nach vorne schauen. Fehlende Zukunftsbilder sind ein Zeichen dafür, auf der Stelle zu treten und letztlich stets zu spät dran zu sein. Solche Unternehmen laufen Planvorgaben aus dem Vorjahr hinterher und hangeln sich von Quartal zu Quartal. Indem sie sich reaktiv auf das Derzeitige konzentrieren, sind sie unvorbereitet, wenn das Alte nicht mehr funktioniert. Eine proaktive Voraussicht auf die Bedarfe der Zukunft ist bei ihnen kaum zu erkennen. Sie leiden an kognitiver Zukunftskurzsichtigkeit.

Fehlende Zukunftsbilder sind womöglich auch der Grund für die Unruhe, die Zwietracht, die Zweifel, die Gereiztheit und Überforderung, die allerorts spürbar ist. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht, und solche Ungewissheit macht uns zu schaffen. Ungewissheit ist für unser Gehirn eine latente Bedrohung, weil es nicht weiß, ob das Kommende für uns gut ist oder uns schadet. Bei einem Risiko ist das anders, denn ein Risiko lässt sich berechnen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit können wir sagen, ob das Unterfangen, auf das wir eingehen wollen, gelingt oder scheitert.

Wer sich frühzeitig auf eine Zukunft vorbereitet, die kommen kann, ist besser gerüstet für die, die dann tatsächlich kommt. Indem wir also rechtzeitig Szenarien erstellen für eine Zeit, die noch nicht da ist, können wir uns gut darauf einstellen und in eine erstrebenswerte Zukunft steuern. Weder ist die Zukunft schicksalhaft vorherbestimmt noch unabänderlich. In der Soziologie wird es die „Pluralität der Zukunft“ genannt. Der Begriff umfasst die Vielzahl möglicher Geschehnisse, Ergebnisse und Begebenheiten, die aus den unzähligen Handlungen der Menschheit resultieren. Wenn sich dabei alles so wie bereits heute exponentiell weiterentwickelt, dann können die Dinge nicht nur schlechter, sondern auch sehr viel besser werden als jemals zuvor.

Ausflüge in die Zukunft ­simulieren

Szenarien sind keine Prognosen, sondern spekulative Zukunftsbilder. Mit ihrer Hilfe können wir gefahrlos Ausflüge in die Zukunft simulieren. Sie sind keine Utopien, sondern wollen plausible Wege vom Heute ins Übermorgen aufzeigen. Solange Szenarien noch Zukünfte sind, können wir uns darauf einstimmen, potenzielle Chancen früh ergreifen, etwaige Risiken antizipieren und über wünschenswerte Varianten vorausschauend debattieren. Natürlich ist es nicht möglich, sich auf jedes Ereignis vorzubereiten, doch immerhin sind dann Optionen zur Hand, um im Ernstfall rasch ins Handeln zu kommen, während andere noch in Schockstarre sind.

Wer sich mit der Szenarienplanung befasst, springt raus aus der Filterblase der eigenen Wahrnehmung und bleibt permanent an den Trendthemen dran. So haben Futurologen, Zukunftsforscher und große Beratungsfirmen mithilfe wissenschaftlicher Methoden längst Szenarien für eine Vielzahl von Technologien und Industrien entwickelt. Viele davon sind kostenlos abrufbar. Trendanalysen, Insights aus fortschrittlichen anderen Branchen, Gespräche mit Zukunftsexperten und denen, die neue Technologien in die Welt bringen, bilden eine weitere Grundlage für die Vorausschau. Wen sie nicht fragen: Ihre Kunden. Diese können zwar sagen, was ihnen heute fehlt, aber nicht, was sie in fünf oder zehn Jahren wollen. Sie sind, genauso wie das Topmanagement, keine Fachleute für Zukunftsthemen und können deshalb auch keine fundierten Prognosen abgeben. Die systematische Suche nach zukünftigen Wachstumsfeldern kann, weil diese zwangsläufig immer auch mit Personalthemen verknüpft sind, gar nicht früh genug beginnen. Hierzu empfehle ich, drei Szenarien zu entwickeln:

  • ein Beste-aller-Welten-Szenario
  • ein Sehr-wahrscheinlich-Szenario
  • ein Schlimmster-Alptraum-Szenario

Um nicht der Gefahr zu erliegen, die Zukunft linear aus der Gegenwart heraus fortzuschreiben, bedient man sich der Retropolation, auch Backcasting genannt. Dabei wird, ausgehend von der beschriebenen Zukunft im Zieljahr, in festgelegten zeitlichen Schritten rückwärtsgehend abgeleitet, was jeweils bis zu einem bestimmten Zeitpunkt getan sein muss, damit die erwünschte Zukunft Wirklichkeit werden kann.

Wie Sie in zehn Schritten ein Zukunftszielbild entwickeln

Zukunftsbilder und -narrative werden am besten in einer Zukunftswerkstatt oder einem Future Lab entwickelt, das von einem strategisch orientierten HR initiiert werden kann. Dabei verknüpft man die im Vorfeld recherchierten Trends mit mutmaßlichen Einflussfaktoren in Bezug auf Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Technologie, Umwelt, Gesellschaft und Kundenverhalten. Im Ergebnis geht es um eine differenzierte Sicht auf mögliche Zukünfte sowie um die Handlungsfelder, die das Unternehmen und speziell auch das Human Resources Management daraus ableiten will und kann.

Um ein Future Lab in Gang zu bringen, empfehle ich die folgenden Schritte:

  1. Future Taskforce zusammenstellen
  2. Eine Ausgangsfrage formulieren
  3. Die Zielzeitachse bestimmen
  4. Maßgebliche Trends erforschen
  5. Veränderungskräfte identifizieren
  6. Mögliche Szenarien entwickeln
  7. Future Personas konzipieren
  8. Passende Handlungsfelder fixieren
  9. Die Zukunftsstrategie definieren
  10. Umsetzungspläne initiieren

So kann HR in die Rolle des vorausblickenden Gestalters gelangen und als Treiber der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens endlich zu einem strategischen Partner der Geschäftsleitung werden.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Skills. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Anne M. Schüller, Autorin und Business Coach

Anne M. Schüller

Anne M. Schüller ist Diplom-Betriebswirtin und bekannt als Vortragsrednerin, Impulsgeberin und Autorin rund um das Thema Management mit dem Schwerpunkt kundenzentrierte Unternehmensführung. Sie wurde vor allem für ihr Engagement in den sozialen Medien mehrfach ausgezeichnet. Beim Business-Netzwerk Linkedin als Top Voice 2017 und 2018 und bei Xing als Spitzenwriter 2018 und Top Mind 2020. Die German Speakers Association nahm sie 2015 in ihre Hall of Fame auf. Im August 2024 wurde sie vom Deutschen Innovations­institut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung (DIIND) als Unternehmerin der Zukunft ausgezeichnet. Sie ist Autorin zahlreicher Fachbücher, zuletzt sind von ihr erschienen: Bahn frei für Übermorgengestalter! 25 Quick Wins für Innovatoren und Zukunftsversteher (Gabal, 2022) und Zukunft meistern. Das Trend- und Toolbook für Übermorgengestalter (Gabal, 2024).

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