People Management von morgen – quo vadis, HR?

Transformation

Die HR-Funktion ist im Wandel – schon die gängigen Funktionsbeschreibungen bilden dies ab: von Personalabteilung über Personalfunktion, von HR-Funktion zum People-&-Culture-Bereich, gerne ergänzt um Sustainability, Organization oder Transformation. Das Cover des ersten HRM-Magazins titelt im Jahr 2009 zur neuen Rolle von HR: Gestalten Sie schon oder verwalten Sie noch? Dies ist mit Blick auf das schon 1997 durch Dave Ulrich eingeleitete HR-Organisationsmodell der Business-Partner-Rolle ein Signal für die nicht einfache Entwicklung von einer Dienstleistungs- und Rechtsfunktion zu einer wertschöpfenden Beratungsorganisation. Und diese schon lange eingeforderte, sicherlich auch attraktive Transformation der HR-Funktion ist heute noch nicht abgeschlossen, wie die aktuelle Studie Reifegrad der HR-Organisation 2024 von Kienbaum und SAP zeigt. Wo liegen die Ursachen für den anspruchsvollen Weg der HR-Funktion zu einer die Unternehmensziele und Geschäftsmodelle empowernden Experten- und Beratungseinheit – und welche Prognosen leiten sich für ihr Operating Model aus KI-Technologie-Push und gesellschaftlich-arbeitsmarktorientierten Veränderungen ab? (siehe Abbildung)

© Studie KienbaumBAP 2024

Blick auf Veränderungstreiber

Schon die Status-quo-Bestimmung der HR-Funktion ist anspruchsvoll – im Gegensatz zur weiteren großen Steuerungs- und Servicefunktion „Finance & Controlling“ sind bis auf tarifliche und arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen deutlich größere Freiheitsgrade in der Ausgestaltung von Kernauftrag und Funktionalstrategie, Struktur- und Prozessmodell, Zielsetzungen und Performance-Metriken, Jobrollen und Anforderungsprofilen gegeben. Eine pure, funktionale und prozesszentrierte Organisation wird den Segmentierungsanforderungen von Headquarter-Funktion, Geschäftsbereichen oder Divisionalaufstellung und regionalen sowie internationalen Standorten nicht gerecht. In größeren Organisationen und Konzernstrukturen hat sich deshalb das Mantra der Rollentrennung in Services, Experten-Einheiten und Kundenrollen oder HR-Business-Partnerschaft (Ausgangsmodell Dave Ulrich) international durchgesetzt. Dabei lassen sich Umsetzungsgrade und Schwachpunkte durchaus diskutieren – zumindest im DACH-Raum zeigen sich doch deutliche Varianzen bezüglich:

  • der Konsequenz der notwendigen Administrationsfreiheit in der klassischen Business-Partner-Rolle,
  • der Kompetenzprofile und Bemessungsratios für die Kundenrolle (Business-Erfahrung, Verständnis, Akzeptanz, Augenhöhe, Positions-Grading und Rollenabstufungen beziehungsweise -varianten),
  • des Interaktionsmodells zwischen den drei Kernbausteinen Business Partner (BP), Shared Service Center (SSC ) und Centers of Competence (CoC) wie Themen- und Kunden-Ownership, Demand Management und Ticketing, One-Face-Konsequenz und Rollen-Splits),
  • des Reifegrads HR Services und Operations mit IT-Architektur und Digitalstrategie, mit Standardisierung und Lean-DNA, mit Near- beziehungsweise Offshoring und Outsourcing und
  • der Abbildung lokaler Anforderungen an Personalmanagement – mit Standort-Ressourcen, Berichtslinie HR oder Business, Prozessautonomie und Arbeitgebermarke.

In der Konsequenz ordnen sich zumindest in Deutschland nur etwa 60 Prozent der Unternehmen einer klassischen Säulen-Organisation zu – mit Varianten in ihrer Ausdifferenzierung und einer Disruptions-Neugier in Richtung Ambidextrie und agiler Modelle, die etwa der Geschäftsdynamik von Start-ups, Grown-ups oder Digitalunternehmen gerecht werden. Stabil erscheint über die letzten 20 Jahre die Standard-­Ressourcenbemessung mit einer HR Headcount Ratio von 1:70 bis 1:80 im Median – mit beträchtlichen Streuungen von 1:40 bis 1:150 unter Voraussetzung der Bereitstellung eines „HR Standard Offerings“ von Management-, Lifecycle- und Service-­Prozessen.

Von frühzeitig propagierten 1:100 Zielgrößen sind somit die meisten Unternehmen noch entfernt – bedingt durch IT-Schwächen und Systembrüche, Komplexitätstreiber aus Organisationsstruktur und Mitbestimmung, stetig wachsende Governance- und Reporting-Anforderungen, letztlich auch Schwächen im Design oder in der Umsetzung des HR Operating Models. Dieses eher befriedigende als fundiert-exzellente Gesamtbild der HR-Funktion trifft heute auf eine komplexe Transformationssituation in Unternehmen, Arbeitsmärkten und in der Gesellschaft wie folgt:

  • schwierige Standortfaktoren (Energiekosten, Bürokratie, Infrastruktur, Personalkosten) mit Portfolio-Optimierung und Restrukturierungswelle sowie Personalabbau und -verlagerung,
  • demografische Entwicklung mit sich verschärfender Talent-Shortage in vielen anspruchsvollen Jobgruppen mit einer Prognose von minus zehn Prozent plus aktueller Workforce in den nächsten zehn Jahren,
  • Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsanforderungen und investitionsintensive Technologie-Shifts mit Auswirkung auf Geschäftsmodelle,
  • nächster Schub der digitalen Unternehmenstransformation mit Richtung Innovation und neuer Geschäftsmodelle sowie Prozessoptimierung mit künstlicher Intelligenz und Data Analytics,
  • Purpose und Humanzentrierung in Balance bringen mit Agilität, Performance und Kultur,
  • Anforderungen im Hinblick auf die neue und flexible Arbeitswelt mit Anforderungen der Generation Z mit Selbstbestimmung und einer Retention Challenge und
  • globaler Shift von einer VUCA- in eine BANI-Kultur (Färbung von Komplexität mit Angst, Instabilität, Unbegreiflichkeit).

Anforderungen an ­zukunftsorientiertes ­People Management

Diese Veränderungen haben massive Auswirkungen auf die Gesamtperformance von Unternehmen – mit folgenden Treiberfaktoren: Verfügbarkeit von Personalressourcen beziehungsweise Kompetenzprofilen, Personalkosten, Performance-Motivation und Veränderungsbereitschaft. Deshalb können die Bedeutung und der potenzielle Wertbeitrag einer HR-Funktion in den kommenden Jahren nur steigen! Dies bildet sich aktuell bereits durch die Präsenz in der Vorstandsebene, der Gehaltsstruktur und einer Nachfrageintensität von HR-Führungsrollen heraus und wird sich fortsetzen. Eine HR-Funktion in enger CEO-Anbindung, auf Augenhöhe mit der Finanzfunktion, mit erweiterter Funktions- und Businessverantwortung und entsprechenden Ressourcen/Investitionsmöglichkeiten muss sich dann allerdings auch an einem essenziellen, messbaren Wertbeitrag für die Unternehmensentwicklung messen lassen und drei Zielbereiche adressieren:

  • Bereitstellung globaler Personalressourcen mit „Hire to Retire“-Prozessverantwortung – dies ausgerichtet an der strategischen Personalplanung, an Zukunftskompetenzen und an wettbewerbsfähigen Personalkosten,
  • Gestaltung einer attraktiven Arbeitgebermarke mit interner und externer Dimension – in Abbildung humanzentrierter Bedürfnisse und Employability, bindungsorientierter Führung und Human-Tech Balancing sowie
  • Empowerment der Unternehmenstransformation – in strategischer Beraterrolle mit wirksamen Change-Modellen und -Instrumenten, mit Organisationsentwicklung und mit Sicherstellung der Besetzungsqualität in erfolgskritischen Positionen.

Hieraus leiten sich die erfolgskritischen HR-Prozesse ab, die in einem zukunftsorientierten Operating Model abgebildet werden müssen. Dabei umfasst der Schlüsselbegriff des Operating Models mehr als ein Struktur- und Führungsmodell – es beinhaltet Governance und Prozessverantwortung, HR-Jobrollen und Ressourcen-Logik. Somit ist es auch nicht als einfaches Schaubild darstellbar und bedarf einer projektorientierten Ausarbeitung, um die Transformation einer HR-Funktion zu konkretisieren. Und diese Transformation ist aktuell unseren Studien zufolge für mindestens 40 Prozent der Personalbereiche in Deutschland relevant – mit folgenden Zielsetzungen:

  • Cost of HR: Effizienzsteigerung mit Prozess- und Produkt-Standardisierung, mit Reduktion von Komplexität oder Schnittstellen und mit Nearshoring- beziehungsweise Offshoring-Services­-Einheiten.
  • Digital Experience: Digitale Transformation mit Cloud-HR-Technologie, digitalem Kundenmanagement und KI-Anwendungen wie Robotics und Analytics.
  • Kundenorientierter Ressourcen-Fokus: Weiterentwicklung der Kundenfunktion mit Ausdifferenzierung und Upskilling, mit Fokus auf Projekten und People Experience.
  • Business-driven HR: Effektivitätssteigerung mit Stärkung personeller Werttreiber, mit Flexibilisierung sowie agilen CoC-Einheiten und mit Etablierung von HR-Geschäftsmodellen/Dashboards.
  • Business Integration: Disruptive Aufstellung mit Tech- und Consulting-Fokus, mit Integration von IT- und Transformationsbereich, mit weitgehender Integration in Geschäftsbereiche.

Diese Business Transformation der HR-Funktion ist nicht nur entscheidend für eine attraktive und wirksame Positionierung – sie ist maßgeblich für die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen mit Dienstleistungs- und Industrieausrichtung. Sie trifft auf eher langfristig gewachsene Strukturen und Kompetenzprofile, auf eine Dienstleistungs- und Experten-DNA, auf Defizite in Output-, Business- und Technologieorientierung. Somit braucht es in HR starke interne und externe Treiberrollen, die mit Mut und Entschlossenheit, mit Kompetenz und Partizipation den herausfordernden „Change Case HR“ managen. Und es braucht mit hoher Wahrscheinlichkeit einen maßgeblichen Anteil von digitalen Kompetenzen in HR (plus zehn Prozent), um mit eigener Design- und Implementierungskompetenz die enormen Möglichkeiten von Cloud- und KI-Technologien gerade in den Administrationsprozessen und -produkten umzusetzen. Denn diese machen immer noch 40 bis 60 Prozent der Gesamtressourcen aktueller Personalarbeit aus.

Entwicklungsrichtungen HR Operating Model

Den roten Faden bei der Diskussion um Operationsmodelle bilden folgende drei Cluster: erstens die klassisch-funktionale oder prozessorientierte Ausrichtung, zweitens die vom Dave-Ulrich-Modell ausgehenden Rollen und drittens agile Optionen – ihre aktuelle Gesamtverteilung liegt wohl im 30-60-10-Prozent-Modell und wird maßgeblich von Unternehmensgröße und Reifegrad determiniert. Als wesentliche Weiterentwicklung der klassischen „Building Blocks“ im Dave-Ulrich-Modell (Business Partner, Center of Competence beziehungsweise Center of Excellence, Shared Service Center) dürften Ende-zu-Ende-Einheiten nach dem Factory- oder Wertstrom-Ansatz gelten – als gesamtverantwortliche Recruiting-Center oder Academy Units sowie Change oder Consulting Teams. Gerade in Konzernstrukturen haben sich komplexere Säulenmodelle durchgesetzt, die in Divisionen und Regionen zu kaskadieren sind und gegebenenfalls die Herausforderungen eines prozessgetriebenen Kerngeschäfts und eines projektgetriebenen Innovationsgeschäfts abbilden müssen. Als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung von HR-Modellen schlagen wir ein differenziertes Plattform-Modell vor, das in seiner optionalen Zusammenstellung von „Building Blocks“ den unterschiedlichen Unternehmensanforderungen gerecht werden kann.

Grundbotschaften sind in diesem Zielbild:

  • Etablierung einer schlanken Strategy- und Governance-Rolle für Kernthemen – mit stärker regional oder divisional aufgestellten Competence-Centern (Korrektur der aktuell starken Headquarter-Ausrichtung vieler Building Blocks).
  • Re-Fokus auf das Executive Management – weil Unternehmenserfolg wesentlich von der Besetzungsqualität im obersten und oberen Management abhängt, weil Aufsichtsgremien Transparenz über strategische und kulturelle Passung sowie über Nachfolge-Pipelines einfordern.
  • Ausdifferenzierung und ressourcenmäßige Stärkung der Kundenfunktion – mit strategischen Partnerschaften auf Divisionsebene, mit optionalen Talent-Coaches für erfolgskritische Jobgruppen ohne Führungsverantwortung und mit intelligentem Zuschnitt von Local-HR-Rollen in kleinen Einheiten.
  • Auf- und Ausbau eigener IT- und Digitalkompetenz, um insbesondere die Services- und Factory-Prozesse radikal auf globale Lösungen, auf digitale Customer Experience und auf Ausschöpfung von Automatisierungspotenzialen auszurichten.
  • Schaffung von flexiblen Projektressourcen mit anspruchsvollen Consulting-Profilen in Business Transformation Empowerment (mit den entscheidenden Hebeln: People, Leadership, Culture und Change) und in Workforce Transformation (strategische und dynamische Personalplanung mit Zukunftskompetenzen und Technologieauswirkungen).

Der Beitrag von HR zur nächsten Stufe digitaler Unternehmenstransformation ist wichtiger als die eigene digitale Transformation, die allerdings die Voraussetzung für Kompetenz und Glaubwürdigkeit als Transformationspartner ist – und sie wird natürlich zu einem Schub an Ressourcen-Fokus und Wertbeitrag in der eigenen Funktion führen. Deshalb ist unsere Prognose für Next Level HR:

  • deutlicher Umbau und Abbau von Shared-Services-Rollen sowie Automatisierung und Shoring-Optionen,
  • Upgrading von Factory-Einheiten mit digitalen Co-Piloten-Lösungen bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung / mittlerem Verschlankungspotenzial,
  • Professionalisierung und Fokussierung von Competence-Centern durch künstliche Intelligenz und mittleres Verschlankungspotenzial Expertenrollen.
  • Unterstützung stabiler Business-Partner-Rollen und -Kapazitäten durch digitale Assistenzlösungen und Workforce Analytics sowie
  • Auf- und Ausbau von Technologie- und Consulting-­Profilen.

Die HR-Funktion der nächsten Generation wird personell sicherlich schlanker und kann das alte 1:100-Ratio-Ziel übertreffen. Wird sie deshalb günstiger? Nicht zwangsläufig. Investitionen in IT und Digitallösungen, in gesuchte Technologie-, Partnering- und Consulting-Profile werden die Durchschnittskosten von HR-Rollen (aktuell bei 76.000 Euro pro Jahr im Median) deutlich verteuern. Oder sie wird bei globalem Set-up die Arbeitskostenpotenziale anderer Standorte nutzen – bei dann sicherlich höherem Steuerungsaufwand. Es ist wichtig, das strukturelle Set-up nicht zum alleinigen Erfolgsfaktor zu erheben und damit eine ausschließliche Operating-Model-Diskussion zu führen. Es bedarf eines systemischen Blicks auf die HR-Funktion, die als Target Operating System verstanden werden kann und damit die bisher dargestellten Transformationsschwerpunkte, also die Kundenzentrierung und das Interaktionsmodell sowie die HR-Performance-Steuerung („drive HR as a Business“) ergänzen sollte.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Exzellenz. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Walter Jochmann

Prof. Dr. Walter Jochmann ist Managing Director und Partner beim Beratungsunternehmen Kienbaum im Bereich HR & Organisation Transformation und begleitet Unternehmen bei der Gestaltung agiler Strukturen und moderner Führungssysteme. Der promovierte Psychologe ist auf Beratungsleistungen für die HR- und People-Funktion spezialisiert. Mit seiner Expertise entwickelt er strategische Konzepte zur Neuausrichtung von Personalbereichen und leitet Projekte im Talent- und Kompetenzmanagement. Jochmann lehrt und forscht zudem im Business Psychology & HR Department der International School of Management in Dortmund.

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