Visionen verkaufen: Was Risikokapitalgeber überzeugt

Start up, HR!

Als Venture Capitalists (Risikokapitalgeber) mache ich meine Investitionsentscheidungen in HR-Tech-Unternehmen von bestimmten Faktoren abhängig, die sich von denen anderer Investorenklassen wie Business-Angels oder Investoren in der Wachstumsphase durchaus unterscheiden können. Venture Capital (VC), oder Wagniskapital, bezeichnet die Finanzierung von jungen, potenziell wachstumsstarken Unternehmen durch Investoren. Diese Unternehmen haben oft großes Wachstumspotenzial, aber die Investitionen können mit erheblichen Risiken verbunden, die hohe Erträge rechtfertigen sollen.

Unser Fonds wird über einen Zeitraum von vier Jahren etwa 30 Investitionen tätigen. Mein Geschäftspartner und ich werden mindestens ein Dutzend Pitch Decks pro Woche sichten, uns zwei bis drei Unternehmen pro Woche im Detail ansehen und zwei Investitionen pro Quartal tätigen. Unser Manifest lautet: “We invest in groundbreaking companies that make work better, creating wildly profitable companies, and giving workers the career of their dreams.”

Die wirtschaftlichen Aspekte

Aber wie treffen wir eigentlich eine Investitionsentscheidung? Vorweg erläutere ich die wirtschaftlichen Aspekte von Risikokapital: VC funktioniert nach dem Potenzgesetz. Eine kleine Anzahl von Investitionen machen den größten Teil unseres Erfolgs aus. Einige unserer Investitionen werden erfolgreich sein, andere nicht. Aber wir verlassen uns darauf, dass ein paar von ihnen das hundertfache zurückbringen. Wir müssen also jede Investition mit der anfänglichen Überzeugung angehen, dass diese Investition „den Fonds zurückbringen“ wird, das heißt, 500.000 Euro in 30 Millionen Euro umwandeln wird. Das bedeutet, dass der Gründer in weniger als zehn Jahren ein Unternehmen aufbauen muss, das mehr als 60 Millionen Euro Umsatz pro Jahr macht, und das ist wirklich schwierig!

  1. Als Erstes prüfen wir, ob die Gründerinnen und Gründer wirklich ein großes Unternehmen aufbauen wollen, denn viele von ihnen sind mit dem Aufbau eines „mittelständischen“ Unternehmens zufrieden. Das ist schön und gut, aber es ist nichts für uns.
  2. Zweitens müssen wir herausfinden, woran die Gründer glauben und woran andere nicht glauben. Welche Theorie oder Überzeugung haben sie, die andere für Unsinn halten? Wenn alles, was sie vorhaben, eine etwas bessere Version von etwas ist, das bereits existiert, dann werden wir es ablehnen.
  3. Die dritte Frage, die wir uns stellen, lautet: „Warum sind Sie ein Talentmagnet?“ Um ein wirklich großes Unternehmen aufzubauen, müssen Sie Mitarbeiter, Kunden und andere Investoren anziehen.

Das Hauptziel von Gründerinnen und Gründer in der Anfangsphase ist es, die Vision zu verkaufen. Die Produktentwicklung ist zwar wichtig, aber der langfristige Erfolg hängt davon ab, ob Firmen das Produkt kaufen und nutzen werden. Um ein Unternehmen schnell wachsen zu lassen, müssen die Gründerinnen und Gründer mehr als einen Investor finden.

Ich empfehle allen, die sich für die Funktionsweise von Risikokapital interessieren, das Buch Venture Mindset von Ilya Strebulaev und Alex Dang. Es bietet einen hervorragenden Überblick über die Funktionsweise von Risikokapital und seinen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung. Wir glauben, dass Technologie, wenn sie richtig eingesetzt wird, die Arbeit besser machen kann. Besser für Arbeitnehmer und besser für Arbeitgeber.

Wenn wir uns speziell mit HR-Technologie befassen, teilen wir die Investitionen in vier Gruppen ein: Category Creation, Emerging Markets, Incumbent Disruption, sowie Platform Extensions. Wir glauben, dass es in all diesen Bereichen Möglichkeiten zur Entwicklung großer Unternehmen gibt.

© Acadian Ventures

Die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die HR-Tech-Branche steht dabei im Mittelpunkt. Ich habe mich dazu entschieden für ein KI-Studium zurück an die Universität zu gehen, damit wir besser informierte Investitionsentscheidungen treffen können. Wir sind von den Möglichkeiten der KI begeistert und haben bereits mehrere Investitionen im Zusammenhang mit KI getätigt. Die meisten künftigen Anwendungen werden Elemente der KI enthalten. Unsere grundlegende Überzeugung ist, dass KI einen massiven Einfluss auf die Art und Weise haben wird, wie HR und Arbeit erledigt werden, und dass neue Softwareunternehmen entstehen werden, die diese Fähigkeiten bereitstellen. Wir glauben, dass die derzeitigen etablierten Unternehmen reif für eine Umwälzung sind. Warum verwenden wir immer noch Lohnbuchhaltungstechnologien, die vor 40 Jahren entwickelt wurden?

Seit geraumer Zeit ist Software as a Service (SaaS) das vorherrschende technische Bereitstellungs- und Geschäftsmodell. Wir sind der Meinung, dass sich dies ändern wird, zum Teil angetrieben durch KI. Es wird neue Wege geben, Software zu kaufen und zu nutzen. Innovation entsteht nicht nur durch die Technologie. Sie entsteht durch die Anwendung von Technologie auf ein Geschäftsproblem. Arbeitskräftemangel, Lohnunterschiede, Mitarbeiterengagement, Kompetenzmanagement, flexible Leistungen, Rentenreform, Systemintegration … Es gibt keinen Mangel an Problemen, die Gründer angehen können.  Auch wenn wir Technologie auf Prozesse wie Recruiting angewandt haben, ist das Problem noch nicht gelöst. Die „time to hire“ ist in den letzten 30 Jahren nicht wesentlich gesunken.

HR-Tech hat sich traditionell an Menschen gerichtet, die in Büros arbeiten, aber in den letzten Jahren gab es eine neue Welle von Anbietern, die auf Arbeiter und Angestellte abzielen. Wir haben in diesen Bereich investiert und sehen uns aktiv nach weiteren Möglichkeiten um. In den letzten Jahren gab es auch neue Innovationen im Bereich der KMU. Vor einem Jahrzehnt hatten die Unternehmen eine bessere Technologie als die KMUs, heute könnte man sagen, dass es genau umgekehrt ist.

© Acadian Ventures

Vor 60 Jahren war Deutschland das beste Land der Welt, um ein Start-up zu gründen. Heute ist dies nicht mehr der Fall, da Gründer und Investoren mit bürokratischen Hürden zu kämpfen haben und es an Spätphasenfinanzierung mangelt. Es gibt eine bizarre Nostalgie für On-Premise-Software, die die Innovation behindert. Wir würden uns wünschen, dass die Einkäufer deutscher Unternehmen effektiver mit Start-ups zusammenarbeiten, da die Verkaufszyklen in Deutschland länger sind als anderswo. Dennoch sind wir von der deutschen HR-Tech-Szene begeistert. Es gibt Gründer mit fundierten technischen Kenntnissen und kühnen Ambitionen. Es ist unsere Aufgabe, sie zu finden und zu unterstützen.

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Thomas Otter

Thomas Otter ist General Partner bei Acadian Ventures. Er investiert in die Zukunft der Arbeit und in HR-Technologieunternehmen und verfügt darüber hinaus über fundierte operative Erfahrung bei der Skalierung von Produkten und der Leitung schnell wachsender Cloud-Unternehmen im Unternehmensmaßstab. Er glaubt fest an lebenslanges Lernen und hat am Karlsruhe Institute of Technology (KIT) über die Beziehung zwischen Unternehmenssoftware und Compliance promoviert. Vor kurzem hat er ein Postgraduate Diploma (PGDip) in Strategie und Innovation an der Universität Oxford abgeschlossen. Außerdem hat er einen Master of Laws (LLM) in Datenschutzrecht, einen PGDip in HR und einen Bachelor with Honours  (BA (Hons)) in Politikwissenschaften. Er hält regelmäßig Gastvorträge an verschiedenen Universitäten und ist Fellow der British Computer Society. Otter wuchs in Südafrika auf und lebt jetzt in Heidelberg.

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