Wie sie wollen

Future of Work

Die Arbeit bei Google, Facebook und Co. erscheint vielen als das Paradies auf Erden. Doch ohne Fleiß kein Preis – das gilt in der schönen neuen Welt noch mehr als bisher.

Das Klischee steht in einem Nebenraum, und gerade ist es frei. Es ist Mittagszeit, es wird gegessen und niemand spielt daher Kicker. Tischkicker, was sonst? Es kann einen nicht überraschen, dass er hier steht, nur seine Abwesenheit hätte es. Genauso wenig kann der Hund verwundern, der zwischen den Füßen der Mitarbeiter in dieser riesigen Bürohalle wuselt, auch nicht der Pizzalieferant, und ebenso wenig das Schlagzeug. „Wir sind hier jung, dynamisch, aufgeschlossen“, sagt der Mann, der einem am Empfang die Hand schüttelt. Willkommen in der schönen neuen IT-Welt.

Schöne neue Arbeitswelt. Um sie zu verstehen, besucht man die Prenzlauer Berger Backfabrik, einen Bürokomplex in Berlin, dessen Namen deutlich macht, dass die Vergangenheit der Arbeitswelt hier zu nichts mehr taugt als einem wohlklingenden Label. Im gesamten vergangenen Jahrhundert wurden in dem riesigen Klinkerhaus Brötchen gebacken, seit 2002 befinden sich in dem schick hergerichteten und Patina-freiem Mehrstöcker rund 40 Unternehmen, die meisten von ihnen Start-Ups. Unter ihnen auch DailyDeal, ein Online-Vermittler von Rabattgutscheinen und seit einem Jahr ein Teil des Google-Imperiums. Wer begreifen will, warum Google kürzlich zum vierten Mal in Folge im Ranking des internationalen Kommunikationsberatungunternehmens Universum auf dem ersten Platz landete – für den lohnt ein Besuch bei DailyDeal. Dort findet er den Kickertisch, und vieles andere, was die neue Arbeitswelt so zu bieten hat.

Hohe Identifikation

Ab und an kann man beim Kickern wohl auch die Personalchefin treffen. Katrin Müller heißt sie, zum Gespräch bittet sie dann aber doch ganz konventionell an Tisch und Sessel. Katrin Müller hat lange schwarze Haare, ein Piercing über dem rechten Mundwinkel und ist 24 Jahre alt. Seit zwei Jahren arbeitet sie bei DailyDeal, erst kurz zuvor gründeten die Brüder Fabian und Ferry Heilemann das Unternehmen. Katrin Müller erinnert sich noch gut an die Office-Partys, „die Aufbruchstimmung damals“. Damals verwaltete Müller noch 30 Personalakten, inzwischen sind es mehr als zehn mal so viele. „Innerhalb dieser kurzen Zeit habe ich so viel gelernt wie es in anderen Unternehmen nicht in zehn Jahren möglich gewesen wäre“, sagt Müller. Nirgends sonst hätte sie so viel Verantwortung übertragen bekommen. „Und deshalb identifiziere ich mich natürlich auch ganz anders mit meinem Unternehmen.“ Die studierte Betriebswirtin muss es wissen, denn sie kennt die Fallhöhe von alter zu neuer Arbeitswelt. Katrin Müller hat vor DailyDeal und ihrem Bachelor-Studium eine Ausbildung in einem Thüringer Stahlwerk gemacht, ein Konzern klassischster Prägung, wie sie sich erinnert. Zu gestalten war da wenig, zu befolgen viel. Und das Potenzial zur Mitgestaltung des Unternehmens beschränkte sich meist auf den eigenen Schreibtisch. Wäre sie nicht zu jung für sowas, hätte Katrin Müller bei DailyDeal einen Kulturschock durchmachen müssen. Erst recht gilt das für das echte Google, dessen deutsche Zentrale in Hamburg beheimatet ist. Und wo Sprecher Stefan Keuchel gerade auf drei überdimensionierte Strandkörbe schaut, als sein Telefon klingelt und er die Frage beantworten soll, warum alle Studentenwelt zu Google will?

Die Strandkörbe sind ein kleines Konferenzzimmer. Genau wie die komplett im Stil der Hamburger U-Bahn designte obere Etage war das die Idee von Google-Mitarbeitern, die bei der Gestaltung ihres Arbeitsplatzes freie Hand haben. Stefan Keuchel ist seit acht Jahren bei Google, entsprechend routiniert kann er das schöne Google-Universum erklären, oder wenigstens mit ein „paar Mosaiksteinen“ eine Ahnung davon geben. Komplette Essensversorgung auf „Restaurantniveau“ wäre da zu nennen. Die flachen Hierarchien: „Wir duzen uns alle“, sagt Stefan. Die kostenfreien Massagen, jede Woche. Und der Laissez-faire-Stil bei der Mitarbeiterführung, geht es beispielsweise um Haustiere. „We are a dog company“, heißt es explizit in der festgeschriebenen Firmenphilosophie von Google. Das ist auch der Grund, warum im Berliner DailyDeal zwei Hunde recht glücklich sind, vor allem der alteingesessene „Marketinghund Nelly“, wie ihn Personalchefin Müller kurz vorher vorstellte.

Der Ruf Googles als etwas anderer Arbeitgeber hat sich vom Silicon Valley in der IT-Szene inzwischen weltweit verbreitet, und zwar mit Donnerhall. Rund 2.300 Bewerbungen täglich, so Sprecher Keuchel, erreichten das Unternehmen weltweit, und es werden ausnahmslos Akademiker eingestellt. Innerhalb eines Monats könnte Google damit seine komplette Belegschaft durch Initiativbewerber austauschen. Nötig wird das allerdings kaum werden. „Die Fluktuation in unserem Unternehmen geht gegen Null“, sagt Keuchel. Und das ist ja auch das Ziel der Personal-Hätschelei à la Google.

Die Marke gilt als cool

„So eine Arbeitsatmosphäre wird ja nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit gestaltet, sondern aus unternehmerischem Kalkül“, meint Werner Eichhorst, der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Für Eichhorst ist Google exemplarisch für die real existierende neue Arbeitswelt voller Verheißungen und mit einigen Fallstricken. Sei es nun Facebook, Amazon, DailyDeal oder Google – „diese Marken kennen viele Absolventen schon seit langem und sie gelten als cool“. Geht es um den Start ins Berufsleben, profitieren die Marken von diesem Ruf. „Vor allem die Vitalität, die da mitschwingt, beeindruckt Studenten. Das verspricht Aufstiegsmöglichkeiten.“ Und vital ist die Arbeitswelt ja durchaus. Was dazu führen kann, dass ein realistisches Bild Richtung Traumwelt tendiert. „Die Unternehmen haben natürlich auch hohe Erwartungen an Performance und Rendite.“

Bei Google wie bei DailyDeal gilt das Gesetz der Quartalsvorgaben – man kann ruhigen Gewissens von einer Todeszone sprechen. Alle drei Monate werden sie verkündet, für jeden Mitarbeiter ist damit die Benchmark für die nächsten Monate gesetzt. „Bei allem Lockeren und Bunten darf man eines nicht vergessen: Wir arbeiten hier alle sehr hart“, sagt Google-Sprecher Keuchel. Zwar sei es „durchaus okay“, wenn ein Google-Mitarbeiter seine Quartalsvorgaben nicht erreicht. „Aber ich bin seit acht Jahren im Unternehmen und eines habe ich dabei noch nicht erlebt: Dass die Vorgaben ein zweites Mal nicht erreicht werden.“ Keuchel wiederholt dann die Zahlen vom Gesprächsanfang: 2.300 Bewerbungen pro Tag.

Betriebsrat: Fehlanzeige

Es sind die zwei Seiten der Medaille. Wer beim Wort Familienfeier nicht nur freudige Emotionen hegt, wird ahnen, dass auch bei der viel beschworenen Google-Familie nicht alles Idylle ist. Dass eine der jüngsten Google-Aktionen, bei der alle Mitarbeiter weltweit aufgerufen waren, im Schlafanzug zu erscheinen, zwar für großen Spaß bei jenen sorgte, die mitmachten – einige der Mutlosen in Jeans und T-Shirt aber wohl recht dumm aus der Wäsche schauten. Wenn das kostenlose Essen ganz schön fad schmeckt, weil in den damit bewältigten Überstunden den Quartalsvorgaben hinterher gehechelt wird. DailyDeal-Personalerin Katrin Müller setzt, wohl unbeabsichtigt, die Reihe fort, wenn sie über das Konfliktmanagement in ihrem Unternehmen redet. „Wenn es Probleme gibt, kann jeder Mitarbeiter damit zur Führungsriege kommen. Deswegen brauchen wir auch keinen Betriebsrat.“

Nicht alle DailyDealer wenden sich bei Problemen an ihre Vorgesetzten, sondern an das Online-Angebot kununu.com. Auf der Seite können Bewerber und Mitarbeiter Firmen bewerten, von der Arbeitsatmosphäre bis zur Work-Life-Balance; knapp 160.000 Bewertungen aus Deutschland gibt es bisher. DailyDeal erhält hier im Durchschnitt 2,6 von 5 Punkten. Die schlechtesten Werte werden beim Kollegenzusammenhalt, der Kommunikation und den Karrierechancen vergeben. So heißt es zum Beispiel in einer Bewertung mit dem Schnitt 2,7: „Man muss sehr auf sich selbst achten und sich durchsetzen, um Freiraum zu bekommen. Nach außen hin sind alle gleich und eine Familie. Aber im Konfliktfall zählt oft der Einfluss und nicht das Argument.“ Ein Mitarbeiter erklärt allerdings auch, dass es nicht mehr so hektisch zugehe, seit Google im Boot ist.

Kununu-Sprecherin Tamara Frast hat sich die Mühe gemacht, jenes Ranking, das Google zum vierten Mal in Folge als beliebtesten Arbeitgeber ausweist, mit den Bewertungen bei Kununu zu vergleichen – und das ganze mit „zwischen Traum und Wirklichkeit“ überschrieben. Zwar schneidet Google Deutschland mit 3,7 Punkten überdurchschnittlich gut ab, sehr hohe Erwartungen würden aber oft enttäuscht. „Spätestens beim Eintritt ins Unternehmen wird vielen klar, dass sie falsche Vorstellungen hatten.“ Tamara Frast beobachtet, dass viele Arbeitgeber aus der glitzernden IT-Welt sich gegenseitig dabei überbieten, ihre Mitarbeiter mit iPads auszustatten. Das sorge für Freude am Anfang – und für belastete Nerven, wenn die Arbeitsmails ab sofort auch in der Freizeit aufpoppen. Denn auch das ergibt sich aus den Kununu-Statistiken: Nichts ist Arbeitnehmern, vor allem den progressiven, wichtiger als eine gute Work-Life-Balance.

Vielseitiges Angebot

Trotz allem gilt weiterhin, dass Google und Co. für Absolventen und, mit leichten Einschränkungen, auch für Mitarbeiter, Top-Adressen sind. „Doch einfach das Modell Google eins zu eins zu übertragen, das wird nicht funktionieren“, gibt Werner Eichhorst, der Bonner Arbeitsforscher, Personalmanagern mit auf den Weg. Allerdings habe Google durchaus die Zeichen der Zeit erkannt. „Junge und qualifizierte Arbeitskräfte werden in Zukunft immer schwerer zu finden sein“, sagt Eichhorst. „Und deswegen muss man ihnen was bieten.“ Mit Wohlfühlklima und flachen Hierarchien wird es dabei aber nicht getan sein. „Es geht um ein gutes Paket. Neben einer angenehmen Arbeitsatmosphäre und Flexibilität zählen auch die klassischen Faktoren, ganz vorne steht da sicher die Familienfreundlichkeit.“ Ein Patentrezept gebe es aber nicht, ergänzt Kununu-Sprecherin Frast. „Es kommt letztlich darauf an, was man für Mitarbeiter sucht.“ Soll heißen: Wer auf junge Absolventen schielt und wem eine hohe Fluktuation vielleicht sogar gelegen kommt, dem kann der Kickertisch und die Party-Ecke durchaus mehr nutzen als eine Kantine.

Katrin Müller, der Personalchefin von DailyDeal, ist die Abwesenheit einer Kantine egal. Gerade wird eine Obstplatte drapiert, wie jeden Montag, Mittwoch und Freitag; und im Hof kann sie im Sonnenstuhl Kaffee schlürfen, wenn es die Zeit hergibt. Vor Kurzem bekam sie eine Urkunde für besonderes Engagement, damit ist sie in der „Hall of Fame“ von DailyDeal angekommen. Sie will im Unternehmen bleiben, weiter die Freiheit genießen. „Die Arbeit hier ist ja auch so etwas wie ein Sprungbrett in den Google-Konzern“, sagt Katrin Müller. Sie wird sich weiter engagieren.

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Thomas Trappe

Thomas Trappe

Freier Journalist
Thomas Trappe lebt in Berlin und schrieb unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und die F.A.Z. Heute berichtet er vor allem über Gesundheitspolitik aus der Hauptstadt. In Leipzig studierte Trappe Journalistik und Politikwissenschaften. Er schreibt seit Jahren regelmäßig für den HRM.

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