„Wir fliegen, wenn andere Leute Urlaub machen“

Future of Work

Martina Niemann ist Chief Human Resources Officer bei Air Berlin und wird auf dem Personalmanagementkongress zum Thema „Wandelnde Arbeitsbedingungen: Das richtige Maß an Flexibilität für Arbeitnehmer und Arbeitgeber“ diskutieren. Mit uns sprach sie im Vorfeld über Mut, Bedürfnisse und Zukunftsthemen.

Frau Dr. Niemann, unsere Arbeitswelt wird immer flexibler. Aus der Sicht der Personalchefin: Verheißung oder Herausforderung?
Aus der Sicht eines Personalers ist Flexibilität eher eine Verheißung als eine Herausforderung. Denn Flexibilität bedeutet ja nicht etwas Einseitiges, sondern dass Möglichkeiten gesucht und gefunden werden, um die Bedürfnisse der verschiedenen Beteiligten in der Arbeitswelt miteinander vereinbaren zu können. Für mich steht Flexibilität für die Bereitschaft, zu Win-Win-Lösungen für Unternehmen und Beschäftigte zu kommen. Eine einseitige Flexibilität nur einer der beteiligten Parteien werden wir nicht umsetzen können.

Was folgt daraus?
Das bedeutet, dass an die Arbeitgeber wie an die Arbeitnehmer bei flexiblen Arbeitsbedingungen höhere Anforderungen gestellt werden als im Standard-Arbeitsleben. Ein gutes Beispiel hierfür sind flexible Arbeitszeit- und Einsatzmodelle. Natürlich müssen Arbeitgeber heute gleichzeitig mehr individuell verschiedene Einsatzmöglichkeiten anbieten als früher, um beim fortschreitenden demografischen Wandel noch ausreichend Arbeitskräfte gewinnen zu können. Und ebenso natürlich müssen Arbeitnehmer heute eine höhere Bereitschaft zu wechselnden Arbeitseinsätzen mitbringen als vor zwei Jahrzehnten, weil durch die weltweite Vernetzung der Arbeitsprozesse ein höherer Anpassungsdruck der Unternehmen an sich schnell ändernde Kundenbedürfnisse gegeben ist.

Diese Bedingungen sind eine nicht zu unterschätzende Chance für kreative Lösungen, die den Bedürfnissen der Unternehmen wie der Mitarbeiter entgegenkommen. Es gibt inzwischen die Bereitschaft der Unternehmen, lebensphasenorientierte Arbeitszeit- und Einsatzmodelle anzubieten, um gute Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Das bedeutet, dass Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt heute die Möglichkeit haben, sich das Arbeitsmodell auszuwählen, das gerade besonders gut in ihre aktuelle Lebensphase passt.

Einfach ist das aber sicher nicht für jeden.
Nein. Und es erfordert Mut, sich nach einem anderen Job umzusehen, wenn man mit den Flexibilitätsanforderungen im bestehenden Unternehmen nicht einverstanden ist. Abhängig von der eigenen Qualifikation sind die Erfolgschancen für einen solchen Schritt größer oder kleiner. Aber in der heutigen demografischen Situation in Deutschland haben die Menschen auf dem Arbeitsmarkt die beste Ausgangslage seit vielen Jahren, um ihre persönlichen Vorstellungen davon, wie sie arbeiten wollen, auch verwirklichen zu können. Ich kann alle nur ermuntern, diese Chancen zu nutzen.

Bei einer Fluggesellschaft stelle ich es mir schwierig vor, flexible Regelungen zu finden, die allen gleichermaßen gerecht werden.
Eine Fluggesellschaft lebt davon, die Bedürfnisse ihrer Kunden in Bezug auf das Flugangebot, die Pünktlichkeit, den Komfort und die Qualität der Reise absolut zuverlässig zu befriedigen und darüber hinaus ihren Kunden das entscheidende Bisschen mehr an Zuwendung und Serviceorientierung ihrer Mitarbeiter zu bieten. Die Fluggäste stehen absolut im Mittelpunkt unseres Handelns. Das bedeutet, dass wir an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden pro Tag für sie im Einsatz sind. Das müssen alle wissen und verinnerlichen, die sich für eine Tätigkeit in einer Fluggesellschaft interessieren.

An zweiter Stelle versuchen wir, bei unseren Arbeitsbedingungen eine Vielfalt von Regelungen zu finden, so dass möglichst viele, die gerne bei einer Airline arbeiten wollen, für sie passende Arbeitsbedingungen bei uns finden. Dabei ist aber klar, dass es für die allermeisten Mitarbeiter Wechselschichtdienst gibt, auch an Wochenenden und Feiertagen. Und es ist klar, dass wir fliegen, wenn andere Leute Urlaub haben. Anders geht unser Geschäft nicht. Wer diese Grundvoraussetzungen für das Arbeiten in einer Airline annehmen kann, der findet bei uns viele verschiedene Arbeits- und Einsatzmodelle in interessanten Berufen und im Kontakt mit vielen Menschen und Kulturen. Das heißt, wir können und wollen nicht Regelungen finden, die allen gleichermaßen gerecht werden. Sondern wir wollen vielfältige, attraktive Arbeitsplätze bieten.

Wie setzt Air Berlin das um?
Wir achten darauf, dass die Verteilung der Einsätze auf unsere Beschäftigten nach transparenten, nachvollziehbaren Regeln erfolgt und dass vielfältige Einsatzmodelle gewählt werden können. Dies kann man zum Beispiel daran erkennen, dass fast 40 Prozent unserer Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter in einem der vielen verschiedenen Teilzeitmodelle arbeiten. Diese Teilzeitmodelle haben wir in Zusammenarbeit mit den Personalvertretungen entwickelt. Diese achten darauf, dass die Vereinbarungen, die wir abschließen, für alle betroffenen Beschäftigten die gleichen Chancen und Verpflichtungen vorsehen. Bei einer Fluggesellschaft kommt es aber ganz wesentlich auch darauf an, die Arbeitsmodelle kontinuierlich weiterzuentwickeln, um sie den sich schnell wandelnden Bedürfnissen unserer Kunden anzupassen. Das ist eine der Hauptaufgaben, die das Personalmanagement und die Arbeitnehmervertretungen in Fluggesellschaften erfolgreich lösen müssen.

Was erwarten Sie von der Diskussionsrunde auf dem Personalmanagementkongress?
Ich erwarte, dass wir uns mit Zukunftsthemen befassen, die mit Flexibilität und demografischer Entwicklung zusammenhängen. Zum Beispiel damit, ob sich Flexibilisierungschancen dadurch ergeben, dass Unternehmen zunehmend ältere Arbeitnehmer, Frauen und Quereinsteiger als Potenziale vom Arbeitsmarkt gewinnen müssen, um ihre Arbeitsplätze zu besetzen. Oder damit, wie wir die Potenziale der Teams in unseren Unternehmen durch Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen vielfältiger zusammensetzen können. Und wir sollten auch die Frage diskutieren, wie das als Folge der Nutzung moderner Kommunikationstechnologien zunehmende „Ineinandergreifen“ von Beruf und Privatleben von Unternehmen und Mitarbeitern erfolgreich bewältigt werden kann. Alles in allem hoffe ich, dass wir kontrovers diskutieren werden, denn meistens gibt es nicht nur eine, sondern viele verschiedene Sichten auf die Dinge.

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Sven Pauleweit

Sven Pauleweit

Ehemaliger Redakteur Human Resources Manager

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