In der Schule war er ein Außenseiter, schaffte gerade so das Abitur und studierte schließlich etwas lustlos VWL in Göttingen. „Meine Loser-Zeit“, nennt Alexander Kornelsen diese Phase seines Lebens. „Ich konnte alles irgendwie ein bisschen“, sagt der heute 37-Jährige. Ein herausragendes Talent, das habe er nicht, war er von sich überzeugt. „Du darfst keine Schwäche zeigen!“, hatte ihn seine kasachische Familie stets mit auf dem Weg gegeben: Ein Leitsatz, der ihn als Heranwachsender nicht unbedingt guttat.
Als Student begann er schließlich bei einem Spielepublisher und hatte als Marketer plötzlich Erfolg. „Ich merkte, wie gern ich arbeitete“, erinnert er sich. Aufgeblüht sei er. Später stieg Kornelsen als Berater bei einer Innovationsagentur ein. Mit dem Erfolg kam der Konsum: „Ich stellte mir meine riesige Wohnung mit Möbeln voll, um dann irgendwann in einer Ecke zu sitzen und zu weinen.“ Das war nicht das Leben, das ihn glücklich machte. Er fragte sich: Ist Arbeit wirklich alles?
Lebenswandel
Er änderte sein Leben radikal, lebte und arbeitete in einem Van, ging pilgern, surfen, skydiven. Er trampte und couchsurfte durch die Türkei, setzte zwei erfolgreiche Podcast-Projekte um, organisierte Events, schrieb an einem Buch mit – und wurde zum Experten für New Work. Rastlos, nannten ihn seine Freunde. Die Komfortzone verlassen, war es für ihn. Angst? Treibt ihn an. Er hatte eine Sehnsucht nach etwas, das ihn immer wieder Extremes ausprobieren ließ. Er hatte dabei aber irgendwie immer auch das Gefühl, eine Rolle zu spielen.
Schließlich verließ er die Innovationsagentur und heuerte als Business Developer beim Medienhaus NOZ Digital an. Umzug nach Osnabrück. Dann brach plötzlich Corona aus. Stillstand. „Ich merkte durch die Pandemie, dass ich vielleicht doch nicht so extravertiert bin, wie ich immer dachte“, sagt Alexander Kornelsen. Er begann das Alleinsein zu mögen, sich für Minimalismus zu begeistern.
Dennoch fühlte er sich einsam in der fremden Stadt. Also forderte er sich selbst erneut heraus und postete auf Linkedin ein Foto, auf dem er neben einem Stapel Bücher stand. 100 Stück. Die will er alle bis zum Jahresende 2021 gelesen haben. „Ich holte mir morgens einen Kaffee, verkroch mich ins Bett und las vor der Arbeit, in den Pausen, zum Feierabend“, erzählt er. Damit ging es ihm besser. Diese Erfahrung, sich etwas vollständig selbst zu erschließen, erfüllte ihn. Denn ein solches Erlebnis kann man nicht kaufen. Er las vor allem Bücher über die Klimakrise und wurde wütend über all das Unheil, dass die Menschheit in der Natur anrichtet. Diese Energie, sie musste irgendwohin. Nur wo? „Ich war damals echt booksmart, aber hatte kein Ziel“, sagt er. Dann kam Anni.
Die Begegnung
Sie saßen bei ihrem ersten Date: er, der Marketingprofi, auf der Suche nach Sinn. Sie, die Geologin, die seit Jahren zum Klimaschutzpotenzial von Mooren forscht. Moore, really? „Wenn du in einem Satz sagen könntest, warum du dich ausgerechnet mit Mooren beschäftigst, wie würde der Pitch lauten?“, wollte er von Anni wissen. „Es gibt keinen effizienteren Weg, Kohlenstoff zu speichern, als mit Moorschutz“, war ihre Antwort. Was dahintersteckt, ist in der Wissenschaft bekannt: Obwohl Moore nur drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, haben sie rund ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffs gebunden.
Das sind 500 Gigatonnen, also doppelt so viel wie alle Wälder der Erde zusammen. In Deutschland sind bereits 95 Prozent aller Moorböden entwässert. Damit entlassen sie rund 53 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten pro Jahr in die Atmosphäre. Das ist weit mehr, als der gesamte Flugverkehr in Deutschland ausstößt. Moore speichern Wasser außerdem wie ein Schwamm und schützen uns vor Überschwemmungen und Hochwasser und vor Trockenheit. Die Lösung: Die Moore wiederherzustellen, also durch Wiederverwässern zu renaturieren. Das klingt alles erst mal nicht so sexy. Das möchte Alexander Kornelsen ändern.
Die Story zum Moorschutz
Doch das ist gar nicht so leicht, denn der neue „Kunde“ des Marketing-Profis ist auf den ersten Blick nicht besonders attraktiv: Moore riechen modrig, sie sind bevölkert von vielen, vielen Mücken, sie wirken unheimlich – man denke nur an die ganzen Moorleichen aus Film und Literatur. Außerdem kann man niemandem zerstörte Moore zeigen, denn auf den trockengelegten Gebieten stehen Wälder, Felder oder Häuser. Wie soll man etwas schützen, das man nicht sehen kann?
Alexander Kornelsen hatte eine Idee und schlug Anni vor: Lass uns die wichtigsten, intakten Moore der Welt bereisen – und allen zeigen, wie wunderschön sie sein können. Lass uns davon erzählen, wie wir mit Moorschutz unseren Planeten retten können! Sie reisten schließlich in einem Auto mit Dachzelt 45.000 Kilometer von Kanada bis zur Antarktis, besichtigten mehr als 30 Moore, sprachen mit 15 Expertinnen und Moorschützern. Anni nahm Wasserproben, Alexander lief mit der Kamera und Drohne im Gepäck hinter ihr her. Denn er hatte eine Mission: Er wollte diese Expedition visuell einfangen, um daraus einen Dokumentarfilm entstehen zu lassen.
Denn Menschen spenden nur für etwas, das sie mögen, und mögen können sie nur Dinge, die sie sehen, etwa die malerischen, moosbedeckten Flächen und Senken der Moore, über denen am Morgen dichter Nebel liegt. Ein faszinierendes Ökosystem mit schimmernden Wasseroberflächen, dunkelgrünen Torfmoosen, Schilfrohr, Sonnentau, Sumpfveilchen und Orchideen.
Marketing für das Gute
Endlich konnte Alexander Kornelsen seine Marketing-Skills für etwas Gutes einsetzen. „Marketing bedeutet im herkömmlichen Sinne oft, den Leuten etwas zu verkaufen, was sie nicht unbedingt brauchen“, sagt er. Davon hatte er die Nase voll. Er holte sich Hilfe beim Verein Creatives for Future, und schnell hatten sie einen Namen für ihre Expedition gefunden: Mission to Marsh, eine Reise zum Sumpf. Sie gründeten eine gemeinnützige GmbH, sammelten ein Gründungsstipendium ein und schafften es in das Förderprogramm eines Outdoorausrüsters. Ihr gesamtes Kapital steckte nun in dieser Aktion. Ganz nach dem Motto: Es ist schwer, ehrenamtlich die Welt zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören.
160.000 Quadratmeter Moorland konnte Mission to Marsh hierzulande durch ihre gemeinnützige Arbeit bereits renaturieren. Hier sammelt Alexander Kornelsen junge Kiefern, als Ersatz für kommerzielle Weihnachtsbäume. Entkusselung, heißt das im Fachjargon. Denn Bäume wachsen nur auf trockengelegten Mooren und müssen zur Renaturierung oft entfernt werden, da sie das wenige Wasser verdunsten.
Vier Skills haben ihn in den vergangenen zwei Jahren am meisten vorangebracht: „Aus meiner Gaming-Zeit wusste ich, wie Community Management geht, und die Kontakte aus meinen Podcast-Interviews haben mir geholfen, die Idee in die Welt zu tragen“, erzählt Kornelsen. Mittlerweile wurde auf der Plattform Gofundme das Spendenziel von 50.000 Euro erreicht, gespendet haben bekannte New-Work- oder Start-up-Influencer, aber auch das Gofundme-Team selbst. „Aus meiner Marketingzeit weiß ich, wie die perfekte Storyline klingt, und das Netzwerken habe ich in meiner Unternehmensberatungsphase professionalisiert.“ Er rief einen Spenden-Moorathon ins Leben, der im September 2024 startete, schuf ein #moormentum, in dem sie mit ihrer Mission den ersten Platz in der Kategorie „Social Innovation“ abräumten oder die „Höhle der Karpfen“ gewannen. Sie posten auf Linkedin und Instagram: „We want moore.“ Das Ziel: „Wir wollen Unternehmen dazu bringen, dass sie an Moore denken, wenn sie überlegen, wie sie sich in Sachen Nachhaltigkeit einbringen können – und nicht nur an Waldretten und Aufforstung.“ Das geht alles durch Moorkooperationen, Moorpatenschaften und Spenden.
Geben und Nehmen
Im Oktober kommt der Dokumentarfilm über das neunmonatige Moor-Abenteuer ins Kino. „Wir befinden uns gerade mitten in der Postproduktion und zeigen das Material einem ausgewählten Publikum“, sagt Kornelsen. Er teile Ideen gern, wenn sie noch empfindlich sind. „Ich halte die Kritik aus“, sagt er und lächelt, denn eines habe er erreicht: Er folgt dem Credo nicht mehr, keine Schwäche zu zeigen. Stattdessen setzt er auf Austausch und Feedback: „Wenn ich eines kann, dann durchhalten, auch wenn es wehtut!“
In der Dokumentation ist Anni zu sehen, die mit strahlenden Augen und riesigen Gummistiefeln durch die Moore watet oder auf einer weichen Moosdecke wandelt. Hinter ihr läuft Alexander Kornelsen, schlägt entnervt Mücken auf seinem Körper tot, flucht, gießt sich Wasser aus dem Gummistiefel. Ja, es sei wahnsinnig anstrengend gewesen, sagt er. Aber auch lebensverändernd schön. Bei einer Reisepause an einem Strand, fängt die Kamera ein kleines Schildkrötenbaby ein, das sich seinen Weg über den körnigen Strand bahnt und schließlich, endlich, im rettenden Wasser landet. „Einer der schönsten Momente“, sagt Anni in die Kamera. Zu diesem Zeitpunkt sind sie nicht mehr zu zweit unterwegs. Anni ist schwanger. Und das, obwohl Alexander Kornelsen nach einem Unfall vor über einem Jahrzehnt gesagt wurde, dass er auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen könne. Heute ist Baby Robin ein Jahr alt und Alexander Kornelsen arbeitet von zu Hause aus, während seine Frau ihre Doktorarbeit schreibt. „Nachts übernimmt Anni, und ich bin bis 16 Uhr Hausmann und glücklicher Vater“, sagt er und grinst. Dann wird bis 23 Uhr geackert. Dieses Kind sei ein Wunder, ein Geschenk, sagt er.
Alexander Kornelsen mit seiner Frau Ann Christin Kornelsen vor ihrem Auto mit Dachzelt. Die studierte Geografin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Universität Osnabrück. Neun Monate lang waren die beiden auf Expedition von den borealen Mooren Nordkanadas bis zu den Feuchtgebieten in Patagonien.
Im Dokumentarfilm gibt es eine Stelle, in der die Kamera nah auf sein Gesicht ausgerichtet ist und er davon spricht, dass er loszog, um die Moore zu retten – und nun herausfand, dass es auch andersherum sei. Er denkt kurz nach und sagt: „I think, nature restored me.“
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Skills. Das Heft können Sie hier bestellen.