Die eindrucksvolle Oliver Wyman-Studie Getting Under The Hood Of Automotive Labor Cost Per Vehicle aus diesem Jahr macht es einmal mehr deutlich: Das goldene Zeitalter der deutschen Automobilindustrie scheint zunächst vorüber. Untersucht wurden die Labor Cost per Vehicle (LCPV), eine Kennziffer, bei der Deutschland weltweit und wenig ruhmreich an Nummer eins steht, weit vor England, Italien und Frankreich, ebenso vor den Vereinigten Staaten. Deutschland weist eine viermal höhere Kennziffer als Japan auf und versechsfacht nahezu jene Chinas oder der Türkei.
Das Dilemma, in dem wir uns befinden, wird noch beunruhigender, weil das vermeintliche Lösungspaket von sehr kostspieligen Personalabbaumaßnahmen bei gleichzeitiger notwendiger und massiver Investition in Innovationen und parallel wachsendem Einsatz von künstlicher Intelligenz nicht aufgehen wird. Künstliche Intelligenz kostet zunächst nämlich ebenfalls. Gleichzeitig wissen wir, dass uns nicht viel Zeit bleibt. Die Autorin und Autoren der zuvor genannten Studie, Jim Schmidt, Daniel Hirsch und Jennifer Wong, sprechen von einem Lösungsfenster von ein bis zwei Jahren, in dem wesentliche Weichenstellungen vorgenommen werden müssten.
Die Rechnung geht (noch) nicht auf
Die deutsche Industrie steckt in der Klemme. Der Großteil der Unternehmungen scheint in Schockstarre zu verharren. Man wartet gespannt auf die Politik, mithin auf die neue Bundesregierung, die zumindest Geld in Aussicht gestellt hat – aber ist allein das schon inhaltlich der gewaltige Ruck, der ausreichen wird, um die Gesamtwende herbeizuführen? Brandt und Hirsch sprechen von der Notwendigkeit einer neuen inneren Geisteshaltung. Der rein betriebswirtschaftliche Hebel seitens der Unternehmungen macht nämlich 70 bis 75 Prozent des Veränderungspakets aus. Es ist müßig, opportunistisch auf die Politik zu warten. Große Prozessverlagerungen werden im hohen Stil die Buchhaltungen, die IT, aber auch HR und alle weiteren indirekten Funktionen betreffen, während in Deutschland das Thema der Automatisierung – und zwar im radikalen Sinne der Vollautomatisierung – erfolgen muss. Denn bei allen Kompromisslösungen beim Thema Automatisierung wird die Mindestlohnerhöhung einem Einsparvolumen entgegenstehen.
Hinzu kommt die Tatsache, dass die kalkulatorische Effizienz erstaunlicherweise nicht bei Hochqualifizierten zu holen ist, sondern im Niedriglohnbereich. Je höher der Mindestlohn angehoben wird, umso eher lohnt sich die Investition in Robotisierung von Tätigkeiten – ein fatales Eigentor also. Natürlich bleiben die oftmals aufgeblähten Headquarter in Deutschland mit der stetig wachsenden Bürokratie bestehen. Auch hier ist vieles aus dem Ruder geraten.
Indes wird das Einsparvolumen nicht ausreichen – Wyman rechnet insgesamt mit zwölf bis 13 Prozent an Einsparungen, allein die Original Equipment Manufacturer (OEM) benötigen aber mindestens 30 bis 40 Prozent Einsparvolumen. Aktuell rechnet man in der Automobilbranche mit 46 Prozent des Gesamtergebnisses aus Deutschland. Demgegenüber stehen 78 Prozent der Lohnkosten in Deutschland. Diese müssten demnach auf mindestens 50 Prozent reduziert werden.
Volkswirtschaftlich gesehen wird es um die Lohnnebenkosten gehen, um den Bürokratieabbau und um das eventuelle Streichen von gesetzlichen Feiertagen, die inzwischen weder gesetzlich noch kirchlich Sinn ergeben – gemeint sind der Ostermontag und der Pfingstmontag –, aber das ist auch nur Makulatur, wenn auch diese Debatten eine gewisse Signalwirkung haben. Doch kleine Maßnahmen werden nicht ausreichen. Die industrielle Digitalisierung als viel beschworener Heilsbringer kann ebenfalls nicht als erfolgreich bezeichnet werden. In Deutschland sprechen wir seit zwei Jahren von einem realen Produktivitätsverlust.
Angesichts dieser Lage wird es auch für unsere HR-Profession ungemütlich. Wir wurden zu Helden dekoriert während des Krisenmanagements in der Coronazeit. Aber ein echter Business-relevanter Beitrag und nachhaltige Impulse mit Wirkungsgrad seitens des Personalmanagements waren eher überschaubar. Was ist und was wird der Erfolg von HR sein?
Dieser wird sich nicht mehr nur aus den herkömmlichen Kennzahlen begründen, sondern auch aus einer nachhaltigen Werteentwicklung für die Beschäftigten. Für uns in der Personalarbeit war Erfolg lange Zeit ein Begriff, der von außen definiert wurde: ROS- oder EBIT-Ziele, Fluktuationsraten, Krankenstände, Rekrutierungen von Fachkräften, Vakanzen-Management, Performance Scores, Incentives. Nicht umsonst wurde die HR-Funktion vielerorts als Unterfunktion des Finanzbereichs deklariert, Personalleiter berichteten an den Finanzvorstand.
Soziale Nachhaltigkeit und Produktivität sind kein Widerspruch
Eine Trendwende ist erkennbar. Die transformationsgeprägten Phasen, in denen sich abwechselnde Krisenszenarien zum Normalfall wurden, lassen immer mehr das erfolgskritische Trio von CEO, CFO und CHRO in den Vordergrund treten. Erfolg von HR kristallisiert sich heraus aus dem Miteinander mit Unternehmensführung und Finanzsektor und zu dritt als strategisches Team im Unternehmen.
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Auf den ersten Blick konkurrieren die mehr als notwendigen Produktivitätsbemühungen mit dem Anspruch sozialer Nachhaltigkeit und werteorientierter Unternehmensführung. Soziale Nachhaltigkeit und Produktivität sind kein Widerspruch. Organisations- und Personalentwicklung sind die wohl gewinnbringendsten Investitionen in die Zukunft.
Produktivitätssteigerung und Sinnfülle von Arbeit, digitale Datenwelt mit wachsendem Einsatz von künstlicher Intelligenz und konstruktivem Festhalten am Wertekompass unserer Profession – hieraus entsteht die neue Wettbewerbsfähigkeit. Nur HR kann die beiden Pole Produktivität und Sinnfülle miteinander verbinden und den Beweis antreten, dass werteorientierte und nachhaltige Produktivitätssteigerung möglich ist. Die wahre Produktivität drückt sich nicht nur in Quartalszahlen aus, sondern entsteht im Spannungsfeld zwischen persönlichen Werten und messbarer Wirkung. HR hat die Chance – ja, die Verantwortung –, diese neue Definition von Erfolg zu gestalten. Die gesuchte Synthese heißt: Werte und Daten = Wirkung. Damit wird HR zum Resonanzkörper der Organisation. Erfolg entsteht dort, wo Menschen in Organisationen ihre Potenziale angstfrei entfalten können – und wenn HR diesen Raum nicht nur beschützt, sondern kraftvoll mitgestaltet.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Erfolg. Das Heft können Sie hier bestellen.

