Nach ihrer Sportkarriere wechseln viele Profis in die Wirtschaft. Dort finden sie oft nicht mehr die Leidenschaft, die sie in Wettbewerben erlebt haben. Ihnen bleibt der Antrieb, sich weiterzuentwickeln und Ziele zu erreichen. Der Wettbewerbsgedanke ist oft nicht positiv besetzt, meint Berater Irg Bührer. Warum er beide Welten zusammenbringen will und was Unternehmen vom Spitzensport lernen können, erklärt er im Interview.
Herr Bührer, warum brauchen Spitzensportlerinnen und -sportler bei der Karriereentwicklung nach dem Sport spezielle Hilfe?
Beide Seiten brauchen Unterstützung: Athletinnen und Athleten haben zwar oft studiert oder eine Ausbildung gemacht, aber keine praktische Erfahrung in der Unternehmenswelt. Unternehmen wiederum suchen Fachkräfte und können von den Kompetenzen der Sportpersönlichkeiten profitieren, müssen ihre Stärken und Schwächen aber richtig managen. Die Welten sind sehr verschieden.
Wo sehen Sie die größten Unterschiede?
Ich kenne Athletinnen und Athleten, die Schwierigkeiten hatten, sich in der Unternehmenswelt zu integrieren, weil sie die Business-Spielregeln nicht kannten und dadurch am Anfang die neuen Erwartungen enttäuschten: promovierte, hochqualifizierte Menschen, die viel Energie darauf verwendeten, anderen in ihren Teams zu helfen. Für sie galt der Grundsatz: Das Team gewinnt. Im Job müssen sie umdenken, sich schützen, die eigenen Aufgaben erfüllen und die Spielregeln neu lernen. Ansonsten liegt der größte Unterschied sicher in der Feedback- und Fehlerkultur: Athletinnen und Athleten bekommen bei jedem Training sehr viel Rückmeldung – durch ihre Leistung, ihre Teamkameraden und ihre Coachs. Fehler sind für sie essenziell, um besser werden zu können. Im Job haben sie eine andere Konnotation. Leider.
Gibt es Berufe oder Branchen, die für Menschen mit einem leistungssportlichen Hintergrund besonders geeignet sind?
Ich würde das nicht an Branchen festmachen, da auch Sportlerinnen und Sportler diverse Qualifikationen mitbringen und schlicht ein Querschnitt der Bevölkerung sind. Grundsätzlich sind sie aber kompetitiv gepolt: Berufe, in denen die Ziele klar sind und Athletinnen und Athleten sich entwickeln können, sind gut. Sie haben ein ähnliches Mindset wie Unternehmer, sind für Start-ups spannend, ob als Investor, Co-Founder oder Mitarbeitende. Und natürlich ist HR interessant, weil es in dem Bereich auch darum geht, Menschen in ihren Entwicklungen zu unterstützen. Etwas, das Unternehmen ohnehin stärker machen und sich dafür am Sport orientieren sollten.
Inwiefern?
Im Sport geht es darum, Potenziale zu fördern. Jeder Mensch hat Potenziale, die sie oder er entwickeln will. Studien zeigen, dass die Zufriedenheit sinkt, wenn sie das nicht auch im Job machen können. Es gehört zum Menschsein dazu, dass wir uns entwickeln. Meine Erfahrung ist, dass es nicht höchste Priorität für Unternehmen ist, für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Umfeld zu schaffen, das sie ihre Potenziale entfalten lässt.
Welche besonderen Potenziale bringen Profisportlerinnen und -sportler mit?
Für mich die wertvollste Eigenschaft ist ihre Bereitschaft, sich weiterentwickeln und lernen zu wollen. In unser Zusammenarbeit fragen sie mich immer, was nicht so gut war. Sie wollen ständig besser werden. Sie wissen natürlich auch, wie Erfolg entsteht und welche Rolle das Team dabei spielt. Das sind Punkte, die sie für Unternehmen sehr wertvoll machen.
Wie lässt sich die Leidenschaft für Sport auf die Arbeitswelt übertragen?
Diese Leidenschaft werden die ehemaligen Sportlerinnen und Sportler in der Arbeitswelt nicht wiederfinden. Meine Erfahrung ist aber, dass ihr Antrieb groß ist, Ziele zu erreichen. Und das funktioniert in der Arbeitswelt natürlich auch sehr gut. Allerdings weniger kausal: Im Fußball sieht man, ob der Schuss trifft oder eben nicht, wie man ihn verändern muss, um es besser zu machen. In der Unternehmenswelt spielen viel mehr weiche Faktoren mit. Zudem ist Ambiguität eine echte Herausforderung für Athletinnen und Athleten.
Im Sport gibt es auch Fans und Medaillen …
Ja, wohin mit dem ganzen Adrenalin und den Emotionen? Nicht ganz einfach: Sie müssen andere Wege finden. Im Job geht das nicht. Auch wenn ich mir wünschen würde, Emotionen wären mehr Teil der Businesswelt.
Wie gut kommt das Streben nach Exzellenz im Kollegium an? Immerhin klagen viele über Leistungsdruck.
Wer aus dem Sport kommt, blickt anders auf Exzellenz: Wettbewerb gehört dazu. So kann Entwicklung entstehen. Wer heute verliert, muss morgen besser sein. Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland den Wettbewerbsgedanken wieder positiver besetzen. Das ist auch für Unternehmen wichtig, um innovativ sein zu können. Jedem Team würde darum eine Sportlerin oder ein Sportler guttun.
Wie können diese die Unternehmenskultur positiv beeinflussen?
Indem sie die Team- und Leistungskultur entwickeln und Lust darauf machen. Im Sport übernimmt jede Person eine Rolle, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Dafür wird sie wertgeschätzt. Führungskräfte können viel davon lernen, um Rollen klarer zu definieren, Zusammenarbeit zu verbessern und Wertschätzung zu verteilen.
Wo sehen Sie Vorbehalte im Unternehmen gegenüber Sportlerinnen und Sportlern?
Das größte Problem ist, dass Unternehmen zu stark in Stellenbeschreibungen denken und nicht in Persönlichkeiten oder Potenzialen: Es gibt ein Jobprofil. Und die Person muss darauf passen. Gerade in Deutschland ist das stark ausgeprägt. Aber Athletinnen und Athleten passen oft nicht in das Profil. Sie haben Schwächen, weil ihnen etwa die Erfahrung fehlt. Auf der anderen Seite haben sie große Potenziale, die oft über die Stellenbeschreibung hinausgehen. So können sie zum Beispiel bereichsübergreifend eingesetzt werden, um Teams zu unterstützen, bei denen die Zusammenarbeit hakt. Es gibt Unternehmen, die das erkannt haben und für sich nutzen. Allerdings sind sie bisher eher die Ausnahme und leider nicht die Regel.
Über den Gesprächspartner
Irg Torben Bührer ist Gründer und CEO der Beratungsfirma Patparius. Er berät Profi-Athletinnen und -Athleten während und nach ihrer Sportkarriere bei der weiteren Karriereentwicklung, der eigenen Unternehmensgründung und bei Investments. Bührer hat einen Master in International Economics and Management und arbeitete über zehn Jahre lang bei diversen Finanzinstituten, zuletzt bei der UBS.
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