„Management ist tot“

Leadership

Für Niels Pfläging ist die klassische Unternehmensführung ein Relikt aus grauer Vorzeit und untauglich für unsere komplexe Welt.

Seine These ist aufsehenerregend und er vertritt sie mit Leidenschaft. Die ist in annähernd jedem seiner Sätze herauszuhören. „Können Sie noch folgen?“, fragt Niels Pfläging zwischendurch, wohl in Sorge, dass sein Enthusiasmus seiner Stimme voraus ist.

Herr Pfläging, Sie sagen, dass Komplexität Management den Garaus macht. Wie ist das zu verstehen – erfordern nicht gerade komplexe Systeme Management?
Tatsächlich ist das Verhältnis antagonistisch. Komplexität hat Management bereits den Garaus gemacht. Management ist schon tot, seit den 1970er Jahren in etwa. Aber wie ein Untoter aus einem Horrorfilm läuft es trotzdem weiter in den Unternehmen herum. Die Sozialtechnologie Management wurde im Industriezeitalter zu einem derartigen Erfolgsmodell, dass wir sie heute praktisch gleichsetzen mit Unternehmensführung und Betriebswirtschaft. Genau da liegt das Problem. Management war eine geniale Idee, um mit trägem Wettbewerb und komplizierter Leistungserbringung umzugehen. Aber es ist ganz schlecht im Umgang mit lebendiger Leistungserzeugung, mit Überraschung und der Wissensarbeit, die Peter Drucker so treffend vorausgesehen hat. Er hatte ja auch schon vor Jahrzehnten den Verdacht, dass 90 Prozent dessen, was wir Management nennen, inzwischen nichts weiter leistet, als der Arbeit im Wege zu stehen.

Was genau ist passiert?
Hinter Management steckt eine Schlüsselidee, nämlich die der hierarchischen Trennung des Denkens vom Handeln zugunsten der Effizienz gleichförmiger, standardisierbarer Leistungserbringung. Arbeiter müssen hier nur handeln und die Manager nur denken, so wie es Henri Fayol und Frederick Taylor vor rund hundert Jahren vorgeschlagen haben. Man steuert dann die maschinenartige Organisation von oben nach unten. Die Amerikaner nennen das „Command and Control“, wir gelegentlich „Weisung und Kontrolle“. Aber der Fachbegriff dafür ist eigentlich „Management“. Diese Art der Leistungserzeugung funktioniert nicht mehr, weil der Kontext dafür fehlt. Management ist aus der Zeit gefallen.

Was war das auslösende Moment dafür?
Die Rückkehr von Komplexität in die Wertschöpfung am Ende des Industriezeitalters. Spätestens seit den 1980er Jahren merken Unternehmen, dass sie es mit immer mehr Überraschungen zu tun haben: Märkte sind dichter, dynamischer und lebendiger geworden. Wir wissen das, aber der Großteil der Firmen geht bisher weiter planerisch-steuernd und mit den gleichen, alten Methoden vor. Wir beharren auf einem Instrumentarium, das dem sowjetischer Planwirtschaft gleicht.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass Führung durch Weisung gefährlicher wird, je dynamischer Märkte sind.
Genau. Je dynamischer die Welt wird, desto weniger kann dieses Instrumentarium funktionieren. Darunter leiden Unternehmen heute. Nicht unter der Komplexität selbst, sondern unter mangelnder Fähigkeit, mit Dynamik umzugehen. Das ist auch der Grund, warum die Personalbereiche in den letzten Jahrzehnten immer unpopulärer geworden sind. Der anhaltende Reputationsverlust von HR ist nicht verwunderlich, weil 90 Prozent des HR-Instrumentariums tatsächlich statisch-bürokratisierend wirkt und damit in eine völlig falsche Richtung geht. HR stellt sich, ohne es zu wollen, gegen Leistungserbringung und gegen Wertschöpfung.

Aber es gibt doch das Bestreben, dass HR ein Partner auf Augenhöhe sein und unternehmerisch denken will. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist das genau der falsche Ansatz.
Das ist richtig. Dave Ulrich und sein Business-Partner-Ansatz sind eine Verlängerung des Holzwegs – sozusagen das letzte Zucken des alten HR-Paradigmas. Diese Idee funktioniert in der Theorie wie in der Praxis nicht: HRler behaupten zwar, Business Partner zu sein. Sie sind es aber nicht, da sie weiterhin steuern, entscheiden, Macht ausüben. Wohlgemerkt, die HRler sind nicht das Problem – es ist das Modell, das nicht stimmt. Business Partner kann HR erst werden, wenn es sich von den eigenen Budgets, von Vorgabe und Steuerung verabschiedet. In den Pionier-Unternehmen, die das Modell der Gegenwart und der Zukunft haben, muss HR dagegen gnadenlos dienen. Es kann nicht nach Gutdünken Prozesse und Praktiken vorschreiben, Teams und Führungskräfte entmündigen.

Warum funktioniert Linienmanagement in einem komplexen System nicht?
Management beruht immer auf dem Gedanken der Steuerung des Unten durch das Oben. Das steckt auch im herkömmlichen Verständnis von HR drin: Stellenbeschreibungen, Organigramme, Personalentwicklungs-Prozesse, Mitarbeiterbeurteilung, Anreizsysteme – da ist überall die Ideologie zentraler Steuerung enthalten. Aber der Dynamik, auf die wir in Märkten treffen, lässt sich nicht wirksam mit Gegenmacht aus dem Top-Management begegnen. Man kann nicht intern steuern, wenn draußen der Markt regiert und uns ständig überrascht. Heute übt der Markt mit seiner Dynamik brutale Macht auf Organisation aus. Unternehmen spüren die unerträgliche Spannung, die entsteht, wenn wir aus dem Zentrum heraus gegen den Markt steuern.

Woran zeigt sich, dass das Instrumentarium von HR nicht mehr funktioniert?
Führungskräfte und Mitarbeiter fühlen sich nicht mehr von HR verstanden oder halten Personalmanagement für unnötige Bürokratie. Es wird dann oft versucht, das bestehende System weiter zu verbessern, anstatt das System selbst zu verändern, und ganz auf Steuerung zu verzichten. Was wir brauchen, ist eine Art interne Marktwirtschaft – HR als Diener der Organisation, ohne HR-Budget und Umlagen, gnadenlos an Leistung und der Peripherie ausgerichtet. Die Managementmethode war dazu gedacht, Firmen auf Effizienz zu trimmen für eine industrielle Massenproduktion, die es so gar nicht mehr gibt. Wir sehen heute fast überall hoch individualisierte Dienstleistungs-Wertschöpfung mit hoher Dynamik. HR-Werkzeuge müssen dem entsprechen.

Was halten Sie von Instrumenten wie beispielsweise das Führen mit Zielen, dass man Mitarbeitern möglichst viel Flexibilität gibt, solange sie ihre Ziele erreichen?
In der Idee der Zielvereinbarung steckt eine historische Ironie. Ausgerechnet der Prophet des Wissenszeitalters, Peter Drucker, erfand das Management by Objectives beziehungsweise die individuelle Zielvereinbarung – gerade dann, als die Zeit für eine solche Methode eigentlich vorbei war. Drucker ahnte früh, wie Wissensarbeit Unternehmen in Richtung Team-Empowerment transformieren würde, gleichzeitig prägte er eine Methode, die untrennbar mit dem Gedanken der Mitarbeiter-Steuerung verbunden ist. In der Dynamik sind Ziele keinesfalls mehr wirksam zur Steuerung individuellen Verhaltens verwendbar, Teams können sich nur selbst welche setzen, um sich an etwas messen zu können. Solche Verbesserungs-Ziele müssen aber nicht verhandelt werden – sie sind eindeutig: Besser werden am Markt. Siegen. Verschwendung verringern. Jeder Mensch versteht das. Gleichzeitig tun wir in Unternehmen weiter so, als müssten wir individuelle Ziele aushandeln. Das prinzipielle Problem dabei ist: In Unternehmen gibt es keine individuelle Leistung. Es gibt nur ein miteinander und füreinander Leisten. Leistung entsteht in der Komplexität eben im Zwischenraum zwischen den Menschen. Individuelle Ziele sind also ein Verbrechen gegen die Wertschöpfung.

Aber ein Unternehmen muss doch auf das Individuum zurückkommen, weil es einzelne Personen einstellt.
Wir rekrutieren einzelne Personen, aber niemand leistet allein. Unternehmen müssen Bedingungen dafür schaffen, dass neue Mitglieder etwas zu Teams beitragen können und dabei Leistung entstehen kann. Aus traditioneller Management-Vorstellung heraus mag das ein Paradoxon sein, aber nicht, wenn man versteht, wie Leistung in komplexen Systemen zwischen Menschen entsteht. Das meine ich nicht sozialromantisch. Wir strukturieren Organisationen immer noch gegen die Leistung, mit Vertrieblern und Backoffice-Leuten, Marketern und Key-Accountern jeweils in eigenen Abteilungen. Dabei vertreibt oder performt ein Vertriebler nicht mit anderen Vertrieblern, sondern mit Kollegen anderer Bereiche oder Funktionen. Nicht Vertriebler bilden Teams, sondern diese funktionsübergreifenden Konstellationen. Die meisten Organisationen haben noch nicht verstanden, dass funktionale Teilung und das Beharren auf dem Mythos individueller Performance kapitale, leistungshemmende Denkfehler sind.

Wie müsste eine Organisation aussehen, die der Komplexität gerecht werden kann?
Teambasiert und funktional integriert. In Banken zum Beispiel stehen bis heute Geschäftsbereiche nebeneinander. Das gleiche gilt für die Produktmanager. Die Organisation ist dann wie ein Silo-Konglomerat. In Wirklichkeit entsteht Leistung aber in den Filialen direkt beim Kunden. Der Rest der Organisation müsste denen dienen – er tut es aber nicht. Sondern es wird hineingemanagt. Das Gegenmodell ist, sich auf die Zellstrukturen zu konzentrieren, die miteinander am Kunden leisten können. Die Organisation der Zukunft besteht darum aus funktional integrierten Zellen. Funktionsbereiche wie Vertrieb gibt es dann nicht mehr. Diese Zellstrukturen kann man in der Realität verschiedener Pionierunternehmen beobachten.

Kann so etwas in einem Konzern mit Tausenden von Mitarbeitern funktionieren?
Das tut es schon. Zum Beispiel bei Toyota, dm-drogerie markt, Google, Aldi, Southwest Airlines und Handelsbanken. Sie haben Tausende oder Zigtausende Mitarbeiter, arbeiten seit vielen Jahren oder Jahrzehnten so – und produzieren überlegene Leistung. Wir reden hier nicht von einer Utopie, sondern eher von einem Kampf der Systeme der Unternehmensführung: Wenn dm auf Schlecker trifft und Toyota auf GM, dann wird es langfristig eng für Schlecker und General Motors. Wir machen Erfolg und Misserfolg gerne an den CEOs dieser Welt fest, übersehen dabei aber die Systeme dahinter. Der Toyota-Way etwa, mit seiner Dezentralisierung, der Wiedervereinigung von Denken und Handeln und der Auflösung von Silostrukturen ist gemanagter Produktions-Planwirtschaft weit überlegen. Das steht außer Frage. Bis heute hat kaum jemand erfasst, dass diese Art von Organisationsmodell die radikalste Innovation in der Leistungserbringung seit Frederick Taylor ist.

Kann man diese Art von System als selbstregulierend verstehen?
Ja. Aber Selbstregulierung meint auch, dass es ein Gegenüber gibt. Jedes Unternehmen hat dieses Regulativ – das ist der Markt. Damit sich Teams selbst regulieren können, brauchen sie diesen externen Gegenpol.

Wie kann dann im Teamkontext Leistungsmanagement funktionieren?
Performance Management und Management by Objectives, wie wir es kennen, sind so tot wie Management selbst. Unternehmen brauchen Performance-Arbeit und Monitoring, die Teams dienen – nicht Controllern und Chefs. Das bedeutet Abkehr von individuellen Zielen und Boni. Das Gegenstück dazu sind sogenannte relative Ziele, die dafür sorgen, dass Teams sich mit dem Markt, mit anderen Teams oder mit ihrer Vergangenheit vergleichen können. Diese Art von Leistungs-Transparenz braucht man in einer selbstregulierenden Organisation. Aber eben nicht planerisch, sondern marktorientiert und selbstgesteuert. Das zu unterstützen, wird für Personaler in den nächsten Jahren kritisch sein. Da gibt es eine Vielzahl von HR-Praktiken, die zwischenzeitlich auf den Müllhaufen der Geschichte landen müssen.

Was aber bleibt HR dann noch?
Es bleiben verschiedene Aufgabenfelder. Der Einfluss von HR muss aber besser und professioneller werden. Die Entwicklung von fairen und Teilhabe ermöglichenden Vergütungssystemen ist so eine Aufgabe. Eine andere ist, intelligente Angebote zur Entwicklung von Teamkonstellationen und -leistungen, Transparenz und Lernen zu machen. Eine der wichtigsten HR-Aufgaben wird es sein, Recruiting zu unterstützen – aber anders als bisher. Der HRler muss weniger entscheiden und filtern, dafür aber Talente aufspüren, damit Teams selbst auf Augenhöhe über Einstellungen entscheiden können – durch sogenanntes Peer Recruiting. Und HR sollte Arbeitswelten unterstützen, in denen man sich begegnen, informell lernen und im Dialog kommunizieren kann. Hier kann HR eine viel größere Rolle spielen als bislang.

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Sven Pauleweit

Sven Pauleweit

Ehemaliger Redakteur Human Resources Manager

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