Verhalten und Leistung eines Menschen schwer messbar

Kolumne

Heute hat der Begriff der Performance überall in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Technik, aber auch in Kunst und Kultur Einzug gehalten. In Finanzbereichen von Unternehmen meint Performance die Wertentwicklung eines Investments oder eines Portfolios mit ähnlicher Anlagestruktur im Vergleich zum Gesamtmarkt oder ganzer Branchen. In der IT bedeutet Performance Leistungsfähigkeit, zumeist bezogen auf die Rechengeschwindigkeit eines Computers, seiner Hardware oder Software. Im Marketing wird der Wirkungsgrad von Strategien, Aktivitäten, Kampagnen und Content gemessen. Die Resultante ist dann deren Performance. Sie bezeichnet Marktzugangsaussichten, Markenbekanntheit und die Generierung von Leads, die wiederum Einfluss nehmen können auf Umsatz und Ergebnis einer Unternehmung. Gemessen wird dies mit Konversionsraten, Kundenbefragungen und weiteren KPIs (Key-Performance Indicator) wie dem ROI (Return on Invest).

In den bei uns in HR angesiedelten Bereichen der Personalentwicklung wird der Begriff der Performance bezüglich des Verhaltens und der Leistung von Mitarbeitenden genutzt. Verhalten wie Leistung können in einer konkreten Situation oder während eines längeren Zeitraums gezeigt, gemessen und deswegen auch entlohnt werden. Wie sinnvoll und zielführend ist es aber, Produktivität, Effizienz, Zielerreichung und vor allem Verhalten und Leistung eines Menschen zu messen und zu bewerten wie eine Maschine, eine Hard- oder Software oder eine auszurollende Marketingkampagne? Ganze Abteilungen beschäftigen sich heute mit der Generierung von KPIs zur objektivierbaren Messung von Arbeitsleistung über Generierung von Umsatz pro Mitarbeitenden und Zeiteinheit (Geschäftsjahr oder Projektablauf) im Vertrieb, durchschnittliche Bearbeitungszeiten beispielsweise im Recruiting, quantitative Abrechnungsquoten pro Mitarbeitenden in der Payroll oder Betreuungsquoten von HR-Referenten in der Produktion.

Der Begriff Performance

„Performance“ ist im Arbeitskontext zu einem weit verbreiteten Schlagwort geworden. Doch was bedeutet dieser Begriff genau? Sieht man von der lateinischen Urform „performare“ und der deutschen Übersetzung „durchführen“, „durchbilden“ oder „völlig bilden“ ab, dann ist der angelsächsische Zweig der Performance ein ursprünglich aus der Welt des Theaters entstandener Begriff. Es war vor allem der heute 90-jährige amerikanische Theaterregisseur Richard Schechner, der in den 1960er Jahren den Begriff des „environmental theatre“ prägte und später in genau diesem Umfeld seine „performance group“ gründete, mit der er über Jahre wegweisende Workshops durchführte.

Im Zentrum des Interesses standen anthropologische und kulturhistorische Studien, die ihn dann viel später mit Victor Turner (1920–1983) verbanden. Dieser erforschte als Ethnologe und Anthropologe vor allem Rituale in unterschiedlichsten Kulturen. Der Performance-Begriff bewegte sich zwischen Anthropologie und Theaterwissenschaften und nahm im Englischen zweierlei Bedeutung an: „to perform = ausführen“ und „to perform = aufführen“. Der britische Philosoph John L. Austin (1911–1960) bezog den Begriff der Performance auf Sprechakte, mit denen dezidiert Handlungen vollzogen wurden. Austin entwickelte daraufhin die Theorie der Sprechakte, mit denen Zustände in der Welt tatsächlich und wirkmächtig verändert werden. Es sind dies gesellschaftlich internalisierte Rituale, die nicht konstatierend beschreiben, sondern sich durch performative Äußerungen realisieren. Das Ja-Wort in der Eheschließung ist beispielsweise ein solcher Sprechakt, der als symbolische Handlung soziale Realität verändert. Auch in der katholischen Theologie gibt es diese Konnotation: das sakramental Ausgesagte bewirkt eine reale Veränderung. Der im Jahr 1928 geborene, amerikanische Sprachwissenschaftler Noam Chomsky war es dann, der die sprachwissenschaftlich bedeutsame Differenzierung zwischen Kompetenz und Performanz ausfaltete. Während der erste Begriff die Kenntnis von Sprache beschreibt, meint der zweite Begriff die Umsetzung der Sprachkenntnis.

Die Attraktivität der objektiven und statistischen Genauigkeit macht aber genau das Problem deutlich, denn der Mitarbeitende ist nun mal mehr als eine Resultante aus objektivierbarem Zahlenmaterial. Seine Kreativität, sein menschlicher Wertbeitrag in einem Team, seine soziale Kompetenz, Empathie, kollegiales Einfühlungsvermögen, Kritikfähigkeit, sensibles Umgehen mit anderen Mitarbeitenden oder Führungskräften in den unterschiedlichsten Situationen des Arbeitslebens sind nur schwer messbar, allenfalls beschreibbar und nur in Teilen durch ausgefeilte Assessments im Vergleich zu einer analogen Vergleichsgruppe bewertbar.

Der Mensch ist nicht nur eine ökonomische Ressource

Der Wunsch im Business nach Berechenbarkeit des Menschen als Faktor in der „profit- & loss“-Kalkulation ist absolut berechtigt, was kurz- und langfristige Kosten angeht, aber der Mensch und sein Wirkungsgrad innerhalb einer Unternehmung sind weit mehr als das. Ein langfristiges, zielführendes Performance-Management darf nie von der Personalentwicklungsmaßnahme mit professioneller Begleitung in Beruf und Karriere zum rein statistischen Analyse-Tool für flächendeckende Ausschlussverfahren degenerieren. Nicht umsonst wehrt sich der Sozialpartner gegen derartige Reduzierungsversuche des Menschen auf die rein ökonomische Ressource.

Anforderungsprofile mit viel Liebe zum Detail definieren

Drehen wir das Ganze einmal in einem Kraftakt um. Performance ist wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg einer Unternehmung. Aber sie sollte nicht primär als Auslösungsmechanismus für eine retrospektive Sanktionierung verstanden werden, sondern als Resultante von Motivation, Volition und Identifikation mit dem Unternehmen. Damit ist auch klar, dass wertbeitragendes Leadership zuallererst in der Pflicht steht, alles dafür zu tun, dass gute Performance überhaupt erst entstehen kann. Das fängt bei der passgenauen Suche nach den richtigen Personen im Recruiting an. Geht es mir nur darum, die Vakanz statistisch zu füllen, oder gehe ich den mühevolleren Weg, um möglichst viele Parameter mit ins Kalkül zu ziehen? Parameter, die nicht nur darüber entscheiden, dass Mitarbeitende arbeiten, sondern wie und in welchem Umfeld sie das tun: die Passgenauigkeit im Team, das Arbeitsumfeld, die individuelle und kollektive Arbeitslast, die Unternehmenskultur. Kurz: Es geht darum, mit viel Zeit und Liebe zum Detail das Anforderungsprofil und Stellenprofil zu definieren,um Arbeit und Mitarbeit als ganzheitlichen Prozess zu verstehen und den Menschen nicht zu einem Headcount degenerieren zu lassen.

Und es geht weiter: Wie entwickelt sich der Mitarbeitende? Was sind die Parameter, die ihn dazu befähigen, in seiner Performance zu wachsen? Wie beobachte ich als Führungskraft oder als HR-Manager das individuelle Verhalten und die persönliche Leistung des Mitarbeitenden? Wie erkenne ich, welche Freiräume ich gewähren muss, damit der Mitarbeitende gestalterisch und kreativ, und damit wertschöpfend agieren kann? Wie konfiguriere ich diese Freiräume, damit im Sinne der Kooperation Mitarbeitende motiviert an der Wertschöpfung teilnehmen und teilhaben, um dann Performance zu bringen? Wie setze ich meinen persönlichen Fokus als Führungskraft: Kontrolliere ich mehr oder gebe ich individuelles Feedback, entwickle ich positiv oder begrenze ich negativ?


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Eine Unternehmung, die langfristig erfolgreich sein will, muss lernen, dass Wertschöpfung nur mit Wertschätzung funktioniert. Die Produktivität ist ein Resultat dieses Lernschritts. Das ist das Geheimnis der Performance. Sie beginnt bei der Motivation. Im Grunde geht es sogar um die Performance dessen, der die Performance einfordert. Mein damaliger Mentor sagte mir immer: Frage dich selbst! Wer ist der Ausbilder des Ausbilders? Wer ist der Trainer des Trainers? Wer ist der Coach des Coachs? Wer ist die Führungskraft der Führungskraft? Hier liegt einer der Schlüssel für die High-Performance einer Performance-Kultur.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Performance. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Dr. Emmanuel Siregar

Dr. Emmanuel Siregar ist in der Konzernleitung der Claas-Gruppe als Arbeitsdirektor und CHRO weltweit für Personal und Organisation verantwortlich. Ihm berichten fünf globale Human Resources Business Partner mit ihren weltweiten Teams. Der promovierte Geisteswissenschaftler engagiert sich zudem als ehrenamtliches Präsidiumsmitglied im Verband der Personalmanager*innen (BPM) und ist in dieser Funktion Mitherausgeber des Human Resources Manager.

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