Frau Pflaum, Sie haben sich den Traum vom Fliegen erfüllt, wurden mit 25 Jahren Lufthansa-Pilotin. Zudem trainieren Sie seit über 20 Jahren mit dem Schwerpunkt Faktor Mensch den Nachwuchs nicht nur für das Cockpit, sondern mittlerweile auch für die Wirtschaft. Auf welche Fähigkeiten legen Sie hierbei das größte Augenmerk?
Auf die Selbstreflexion. Ich sage immer: Start with I, was so viel bedeutet wie: bei sich selbst beginnen. Es geht darum, sich selbst erst mal bewusst zu werden, welche Verantwortung man hat und wie die eigene Rolle genau aussieht. Das gilt für jede und jeden einzelnen im Team genauso wie für die Führungskraft.
Welche Faktoren machen Teams menschlich, psychologisch und mental stark?
Meiner Erfahrung nach muss psychologische Sicherheit topdown gelebt werden. Wenn es vom Vorgesetzten nicht propagiert und als Role Model vorgelebt wird, ist es sehr schwer, psychologische Sicherheit in Teams zu etablieren.
Wie sollten die Kräfte austariert sein zwischen Führungskraft und Teammitgliedern? Es wird immer wieder diskutiert, ob es in der neuen Arbeitswelt überhaupt noch Führungskräfte braucht.
Ich bin der Meinung, dass es schon erst mal die Führungskraft braucht, die mit einer möglichst flachen Hierarchie und auch durchaus delegativ auftritt, um jedes einzelne Teammitglied zu fördern. Dazu gehört, immer wieder Einladungen auszusprechen: zu Kommunikation, Nähe und Vertrauen. Eine empathische und charismatische Führungskraft mit emotionaler Intelligenz kann in das Team reinspüren, individuelle Bedürfnisse und Nöte erkennen und so erreichen, dass jede und jeder im Team bestmöglich arbeiten kann. Die wirkliche Kraft kommt aus dem Team, darin ist die Führungskraft eingeschlossen.
In den Briefings vor Abflug haben sie nur wenig Zeit, die Crew einzustimmen. Was sagen Sie in diesen Minuten?
Ich gebe ihnen einen Vertrauensvorschuss, indem ich sage: Ich bin heute hier, um für euch für alles zu unterschreiben, was wir in unserer Rolle ausüben. Das heißt, dass ich jeder Person, die mit ihrem Streifen am Arm eine klare Rolle erfüllt, mein Vertrauen schenke. Ich sage auch: Jeder Flug ist ein Präzedenzfall. Wir wissen nicht, was kommt – und es kann alles passieren. Darauf sind wir mit unseren Kompetenzen vorbereitet.
Im Zweifel und im Notfall haben Sie als Kapitänin das Sagen. Da ist kein Raum für Befindlichkeiten oder Diskussionen. Ist die stetige Einladung zu Vertrauen und Nähe ein Ausgleich im Sinne von Begegnungen im Team auf Augenhöhe?
Wir haben bei der Lufthansa 6.000 Piloten und fast 30.000 Kabinenmitarbeitende – und alle sind sehr verschieden. Ich erlebe jede Kollegin und jeden Kollegen immer wieder neu. Wenn ich die Einladung zu unbedingtem Vertrauen nicht ausspreche, kann es sehr einsam werden da oben.
Schwer vorstellbar, für jeden Flug mit jedem neuen Team eine neue Vertrauensbasis zu schaffen, möglicherweise nur für einen Zehnstundenflug.
Das eine ist, dass ich mein Team forme, mit dem ich an Bord gehe, und das andere ist, dass ich aber trotzdem Kollaboration fördere, das heißt, ich möchte ja trotzdem mit den anderen Teams, sei es mit den Bodenteams, sei es mit der Technik, mit allen Stakeholdern, mit denen ich zu tun habe, eine Basis guter Zusammenarbeit schaffen. Die wechselnden Teams sehe ich auch als Gewinn für unsere Unternehmenskultur, indem man nicht nur an sein eigenes Silo denkt.
Sie sprachen eben die Kompetenzen an, mit denen die Crew auf alles, was passieren kann, vorbereitet ist. Verhalten und Kommunikation in Gefahren- und Stresssituationen sind in der Luftfahrt unabdingbarer Bestandteil der Ausbildung. Wie lässt sich das trainieren?
Das Fundament bei uns in der Luftfahrt ist eine Sicherheitskultur. Nur auf dieser Grundlage kann eine Fehlerkultur entstehen, die psychologisch sichere Teams fördert. Unsere Sicherheitskultur wird gelebt in unserem Crew Ressource Management, dass jedes Crew Member von der Pike auf lernt. Dies beinhaltet unter anderem Kommunikation und Work Load Management. In der Grundausbildung lernen die Crews, welchen Impact ihr Handeln hat. Dazu gehört es auch, situative Aufmerksamkeit zu erlernen, weil wir eben in der Luft nicht diskutieren können. Ich habe jedes Mal wieder ein neues Team und habe nur die erwähnten paar Minuten Zeit, mit ihnen so eine Basis zu generieren, dass sie dann mit mir durch jede Situation gehen und alles meistern, was da kommt. Und deswegen trainieren wir in der Luftfahrt so kompetenzbasiert.
Welche Skills sind nach der Kompetenzmatrix der Lufthansa besonders wichtig?
Neun Kompetenzbereiche sind gegliedert in die Kategorien: technisch, prozedural und interpersonell. Dabei umfasst die Kategorie interpersonell alleine fünf Kompetenzbereiche: Kommunikation, Leadership und Teamwork, Workload Management, Situational Awareness, Problem Solving und Decision Making. Natürlich sind das technische Handwerk und die Verfahrenskenntnis die Basis der Arbeit eines professionellen Crew Members. Dennoch machen die interpersonellen Kompetenzen den Unterschied.
Wie kann sichergestellt werden, dass jeder weiß, was in brenzligen Situationen zu tun ist?
Im Rahmen von unserem Threat and Error Management, einer Weiterentwicklung des Crew Resource Management, führen wir zu jedem Start und jeder Landung eine Gefahreneinschätzung durch. Mit Threats meinen wir Bedrohungen, die unseren Alltag begleiten und die wir nicht loswerden können. In der Fliegerei zum Beispiel könnten das sein: Vögel im Flughafengebiet, Lärm, Wetter, Technik oder Ähnliches. In diesem zweckbasierten Briefing analysieren wir mögliche akute Bedrohungen und entsprechendes sicheres Verhalten. Wir sprechen über Erfahrungen, Fehler, die gemacht wurden, die passieren können, um mental besser vorbereitet zu sein. Zudem findet nach jedem Flug eine Nachbesprechung statt, in der wir uns fragen: Was ist gut gelaufen, was würden wir beim nächsten Flug anders machen? Diese Art der Gefahreneinschätzung kann stetig angewandt werden. Und unsere Crews haben gelernt, dies untereinander zu kommunizieren, so dass alle dasselbe Bild von der Situation haben.
Wie lassen sich Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen als Kapitänin und Ausbilderin auf Teams in Unternehmen übertragen?
Zum einen: Hinter jeder Funktion und Rolle steht ein Mensch. Eine Führungskraft muss auf ihr Umfeld zugehen, diese Offenheit selbst demonstrieren und dadurch die anderen einladen, auch offen auf einen zuzugehen. Zu guten Beziehungen gehört auch, auf seine eigenen Gedanken zu achten: to start with I. Man weiß nicht, mit welchen mentalen Rucksäcken die Kollegen am Arbeitsplatz belegt und abgelenkt sind. Den Crews ist klar, dass die eigene mentale Gesundheit und Resilienz zur Sicherheit beitragen. Im Büro schleppt man sich vielleicht mit Sorgen oder psychischen Belastungen eher zur Arbeit.
Zum anderen: Die Menschen hören oft nur, was nicht klappt. Hier sollte man mehr zu stärkenbasierten Beurteilungen kommen und sehen, welche wirklichen Talente gefördert werden können. Ich schule meine Kolleginnen und Kollegen seit über zehn Jahren darin, Positives zu verstärken. Damit erhöht sich das Potenzial und die Lernkurve aller. Schließlich wollen wir es alle das nächste Mal besser machen. In einer positiven Fehlerkultur sollte sich die Führungskraft fragen: Liegt es vielleicht an mir, wenn es nicht funktioniert, weil ich die Stärken nicht sehe und nur schaue, wo jemand einen Fehler gemacht hat? Es ist viel schwieriger, auf das Gute zu achten und dann die passende Formulierung beim Feedback zu finden. Veränderung entsteht durch Sprache, und für mich gibt es kein Richtig oder Falsch. Ich verwende das Wort Kritik grundsätzlich nicht. Die Verneinung funktioniert bei uns im Gehirn nicht, deswegen formuliere ich positiv und achte sehr auf meine Sprache, wenn ich meine Kollegen schule und mit meinen Teams unterwegs bin.
Was Threat and Error angeht: Man könnte für jedes Team überlegen, welche Bedrohungen uns im Alltag beeinflussen. Das kann schon die Sonne sein, die bei 30 Grad Hitze ins Büro, das sich nicht runterkühlen lässt, scheint. Schon die Kommunikation über mögliche Bedrohungen gibt Sicherheit und kann Fehler verhindern. Threat and Error Management ist ein großes Thema meiner Vorträge in der Wirtschaft.
Sie sind schon oft darauf angesprochen worden, was zeigt, dass es noch keine Selbstverständlichkeit ist: Wie erleben Sie die Resonanz darauf, dass sie als Frau den Airbus fliegen und das Kommando an Bord haben?
Ich habe natürlich immer mehr Aufmerksamkeit bekommen, als ich haben wollte, und habe mich dann in dieser Rolle gefunden. Ich bin auch jemand, der gerne und viel kommuniziert. Das mag der Grund sein, warum immer viele Kolleginnen und Kollegen zu mir ins Cockpit kommen. Ab September werde ich auf den Airbus 380 schulen und auch auf dieser Maschine die erste Ausbildungskapitänin sein. Vielleicht kann ich durch mein Buch dazu beitragen, dass sich andere junge Frauen ermutigt fühlen, es doch auch mal zu probieren.
Über die Gesprächspartnerin:
Cordula Pflaum war nach ihrer Ausbildung die 20. Pilotin bei der Lufthansa und erste Ausbildungspilotin für die Langstrecke. Schon als Kind träumte sie vom Fliegen. Mittlerweile hat sie rund 18.000 Flugstunden absolviert, fliegt vor allem den Airbus A350 auf Langstrecke und ist zudem als Ausbilderin und Trainerin tätig. Zusammen mit Heidi Friedrich hat sie das Buch geschrieben Guten Tag, hier spricht Ihre Kapitänin. Von Höhenflügen, Vorurteilen und meinem Leben als Pilotin, in dem sie einen Einblick in den Flugbetrieb gibt (Goldmann, 2024).
Weitere Beiträge zum Thema:
- „Es war sicherheitspolitisch noch nie so ernst wie heute“
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Skills. Das Heft können Sie hier bestellen.