Widerstandskraft ist individuell und ­situativ

Sieben Gedanken

Jede Veränderung beginnt mit einem Gedanken. Hier sind sieben zu Resilienz.

Das Immunsystem der Seele

In der Wissenschaft wird Resilienz auch als „Immunsystem der Seele“ verstanden. Genauso wie unser körperliches Immunsystem durch die Auseinandersetzung mit bewältigbaren Erregern gestärkt wird, entwickelt der Mensch eine psychische Widerstandsfähigkeit, indem er Herausforderungen annimmt und schwierige Zeiten überwindet. Auch wenn dies unangenehm ist und mit „Wachstumsschmerzen“ verbunden sein kann.

Resilienz hat viele Facetten

Der Begriff der Resilienz wird oft missverstanden, so als würde resiliente Menschen nichts umwerfen oder als seien sie gegenüber allen Missständen und Krisen unberührbar. Diese Resistenz ist nur eine Ausprägung von Resilienz. Darüber hinaus gibt es die Regeneration: Ein Ereignis oder die Ansammlung zu vieler Alltagsstressoren fordern uns über unsere Belastungsgrenze hinweg heraus. Wir knicken ein, aber regenerieren mit der Zeit wieder. Die dritte Ausprägung ist die Konfiguration als Fähigkeit, sich an Umgebungen und Verhältnisse anzupassen, die wir nicht ändern können. Alle drei Facetten der Resilienz sollten situationsgerecht und flexibel eingesetzt werden.

Kernkompetenz für das 21. Jahrhundert

Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr denn je gefordert sind, uns an dynamisch verändernde Ausgangssituationen anzupassen. Die sind oft mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden. Resilienz hilft uns, flexibel und situationsgerecht mit Herausforderungen umzugehen, und ist damit ausschlaggebend, um gesund zu bleiben. Die gute Nachricht ist, dass etwa 50 Prozent unserer Resilienz trainierbar ist. Zum Beispiel durch das Stärken von Resilienzfaktoren wie Selbstregulationsfähigkeit, Sinn- und Werteorientierung, Optimismus, soziales Netzwerk, Selbstwirksamkeit sowie Zukunfts- und Lösungsorientierung. So können sich Unternehmen und Individuen proaktiv wappnen.

Wenig Aussagekraft als ­Messinstrument

Kann Resilienz in Auswahlverfahren neuer Mitarbeitenden erhoben werden? Darauf hat die Resilienzforschung eine klare Antwort: Resilienz kann immer nur in Bezug auf einen spezifischen Stressor gemessen werden, da sie sich situativ verhält. Und wir wissen erst nach der Exposition mit der Herausforderung, wie das Individuum darauf reagiert hat. Es gibt keine Faktoren, die sicher aussagen können, ob jemand zukünftige Krisen oder stressige Ereignisse resilient meistern wird. Jemand kann beispielsweise beruflichem Stress mit Gelassenheit begegnen, wird aber durch eine Krankheit eines Verwandten so tief getroffen, dass er diese Kompetenz zeitweilig verliert.

Resilienz als ­Wettbewerbsvorteil

Unternehmen haben erkannt, dass Resilienz eine wichtige Kompetenz ist und suchen zunehmend resiliente Bewerberinnen und Bewerber. Da eine Voraussage oder Messung der individuellen Resilienz schwierig ist, können sich Unternehmen stattdessen einen echten Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie für ihre Belegschaft resilienzfördernde Rahmenbedingungen und Weiterbildungsangebote schaffen.

Kein Freibrief zur Ausbeutung

Wenn Resilienzförderung rein gewinnorientiert eingesetzt wird, besteht die reale Gefahr, dass das Konzept missbraucht wird. Wenn Unternehmen und deren Führungskräfte schädigende Bedingungen schaffen oder aufrechterhalten und ihre Mitarbeitenden durch Trainings belastbarer und stressresistenter machen wollen, ohne die Bedingungen zu verbessern, nutzen sie deren Widerstandsfähigkeit aus. Resilienzförderung und Prävention können also nur unter Berücksichtigung der Verhältnisse, der Unternehmens- oder Führungskultur, wirken.

Eine Führungsaufgabe

Führungskräfte haben einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden und sind damit entscheidende resilienzfördernde oder -schwächende Faktoren im Unternehmen. Studien zeigen, dass bei schlechter Führung mit, zum Beispiel zu wenig Wertschätzung, zu viel Micromanagement oder auch zu viel Laissez-faire, die Belastung für das Team steigt und stress-assoziierte Erkrankungen wie Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zunehmen – und damit auch die Arbeitsunfähigkeitstage. Ein Unternehmen tut gut daran, seine HR-Mitarbeitenden sowie Führungskräfte hinsichtlich Gesunderhaltung oder Wiederherstellung zu schulen und Resilienz auch im Alltag zu leben.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Tech. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Claudia Pusch und Tatjana Reichhart

Claudia Pusch (links) ist systemische Beraterin und Therapeutin sowie Lehrtrainerin in der systemischen Ausbildung. Tatjana Reichhart ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutin. Beide beraten, coachen und trainieren mit ihren Teams Unternehmen und Behörden zu psychischer Gesundheits- und Resilienzförderung auf allen Ebenen. In der von ihnen gegründeten Kitchen2Soul Akademie bieten sie unter anderem die Ausbildung zum systemischen Resilienz-Coach an. Sie sind Autorinnen von Resilienz-Coaching (Springer, 2023) und Selbstbestimmt (Kösel, 2022) sowie Tatjana Reichhart von Das Prinzip Selbstfürsorge (Kösel, 2019).

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