Berufliche Erfüllung ist keine Frage von Qualifikationen und Titeln, sondern das Ergebnis von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Diese lebt Innovationsexpertin Tina Ruseva in verschiedenen Rollen aus. Umso wichtiger ist es, klare Grenzen zu setzen, um langfristig zufrieden und gesund zu bleiben.
Charleen Rethmeyer ist Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ebenfalls ihr Volontariat. Die Berlinerin hat einen Bachelorabschluss in Deutsche Literatur sowie Kunst- und Bildgeschichte und arbeitete mehrere Jahre freiberuflich für mehrere Berliner Verlage. Sie schreibt mit Vorliebe Features und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Zukunft der Arbeitswelt.
Als Geschäftsführerin eines KI-Start-ups, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands New Work sowie als Mutter von zwei Kindern trage ich viele verschiedene Hüte. Ich investiere langfristig, muss aber auch kurzfristig wirtschaftlich haushalten. Ich bin Arbeitgeberin, aber auch Arbeitnehmerin. Ich fordere Leistung ein, habe aber selbst Bedürfnisse, erlebe Stress und muss auf meine Gesundheit achten. All diese Aspekte prägen meinen Blick auf die Arbeitswelt und die Themen, die mich beschäftigen. Dabei gilt: Gegenseitige Muss-Zurufe bringen uns nicht weiter. Es kommt auf ein gutes Miteinander an – auf eine Teamkultur.
Weitermachen
Als weibliche Fachkraft, junge Mutter und IT-Expertin, aber auch aufgrund meiner bulgarischen Herkunft stieß ich am Anfang meiner Karriere oft auf Hindernisse. Lange Zeit dachte ich, ich sei der Grund dafür. Statt Diskriminierung sah ich zuerst Kompetenzbedarf. Diese gewisse Naivität hat mir letzten Endes geholfen. Ich habe dadurch kontinuierlich an meinem Wissen gearbeitet, habe ein Informatikstudium, einen MBA, eine Promotion und eine Coaching-Ausbildung abgeschlossen. Viele Frauen in meinem Umfeld tun Ähnliches. Sie haben das Gefühl, sich ständig weiterqualifizieren zu müssen, um „genug“ zu sein.
Wenn man trotz aller Herausforderungen immer wieder Neues ausprobiert, baut man nicht nur sein Wissen, sondern ein Netzwerk auf. Für mich wurde aus dem, was anfangs wie ein steiniger Weg schien, eine Karriere, die beeindruckend aussieht, aber im Grunde das Ergebnis meiner eigenen Suche nach Sinn und Erfüllung ist. Gerade seit ich verstanden habe, dass das Problem nicht persönlich, sondern allgemein ist, habe ich beschlossen, mich für eine bessere Arbeitswelt einzusetzen. Seitdem sage ich: „Ich habe Arbeit zu meinem Beruf gemacht.“
Grenzen setzen
Ich war früher eine Effizienzmaschine. Ich habe den Laptop an den Strand genommen und zum Elternabend, beim Gassigehen habe ich E-Mails beantwortet und beim Joggen an Meetings teilgenommen. Heute glaube ich nicht mehr an Work-Life-Blending. Für mich war das der direkte Weg in mein Burn-out. Seitdem weiß ich, dass auch menschliche Ressourcen endlich sind, und vertrete leidenschaftlich „Boundary Work“. Ich ziehe also klare Grenzen zwischen meiner Rolle auf der Arbeit und meinem Privatleben. Ich versuche, diesen Ansatz auch meinen Mitarbeitenden mitzugeben, die oft aufgrund ihrer hohen Motivation dazu neigen, diese Grenzen zu überschreiten. Es hilft, diese Flexibilität kurzfristig zu haben, langfristig aber führt sie zu unvertretbaren Erwartungen und einem nicht nachhaltigen Ressourcenmanagement.
Strategische Organisation
Ich arbeite bewusst flexibel. Prioritätenlisten oder fest blockierte Kalenderzeiten bringen wenig, wenn sie ständig verschoben werden oder neue Aufgaben entstehen. In kollaborativen Umfeldern, wie im Start-up oder Verband, hängt vieles von anderen ab – etwa von der Verfügbarkeit des Teams. Deshalb sind Autonomie und Flexibilität entscheidend.
Für jede Aufgabe entscheide ich situativ: Geht es um schnelle Abstimmungen, ist ein Telefonat oft besser als eine Whatsapp-Nachricht. Zur Finalisierung eines Dokuments nutze ich lieber Kommentarfunktionen statt Meetings, Feedbackgespräche erfordern dagegen ein persönliches Treffen. Der Kommunikationsbedarf der Aufgabe bestimmt, ob synchrone oder asynchrone Zusammenarbeit sinnvoller ist.
Mein Rat ist kein Rat
Ich halte mich bewusst zurück, jungen Menschen Ratschläge zu geben. Worte sind unheimlich mächtig und junge Menschen werden heute von allen Seiten beschallt. Deswegen denke ich, dass Eigenverantwortung und Selbstbestimmung umso wichtiger werden. Ich wünsche es Berufsanfängern, und auch meinen Kindern, diese als kostbare Güter zu verstehen und leben zu lernen. Selbstbestimmung bedeutet dabei nicht Ego oder völlige Unabhängigkeit, sondern vor allem bewusst in einer Gemeinschaft zu handeln und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Diese Freiheit ist ein Privileg unserer demokratischen Gesellschaft. Wir müssen sie wertschätzen und feiern.
Ich lese viel und gerne – vor allem Fiktion. Lieblingsbücher wie zum Beispiel Shogun, Hundert Jahre Einsamkeit oder Zeit zu leben und Zeit zu sterben auch mehrfach. Belletristik öffnet neue Perspektiven für meine eigene Arbeit. Und Familiensagen sind ein Stück weit wie Peer Learning, weil die fiktionalen Figuren andere Wege aufzeigen, um mit Herausforderungen umzugehen. Ich lese auch viele Studien und Sachbücher über den Arbeitswandel. Im deutschen Sprachraum empfehle ich hierfür Richard David Prechts Freiheit für alle oder Die vierte Gewalt. Mich haben aber vor allem „fachfremde“ Bücher beeinflusst, wie zum Beispiel If You Want to Write von Brenda Ueland – nach dem Lesen habe ich mich das erste Mal getraut, selbst etwas zu schreiben.
Insgesamt hat sich mein Produktivitätsbegriff in den letzten Jahren sehr gewandelt. Während ich mich früher zwischen Arbeit, Familie und Freizeit hin- und hergerissen fühlte, schätze ich heute auch die kleinsten Momente, in denen ich etwas für mich oder für andere tue. Wenn ich zum Abschluss des Tages nach der Gassirunde meinen Hund zum Beispiel glücklich und erschöpft sehe, weiß ich: Heute war ein schöner Tag und ich habe etwas Gutes geschafft.
Tina Ruseva ist Gründerin und CEO der Upskilling-Plattform Mentessa. Nach einem Diplomstudium in Medieninformatik und einem MBA promovierte sie an der Sofia University St. Kliment Ohridski in Innovationsmanagement. Ruseva begründete zudem das Big & Growing New Work Festival und den Bundesverband New Work.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Exzellenz. Das Heft können Sie hier bestellen.
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Charleen Rethmeyer ist Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ebenfalls ihr Volontariat. Die Berlinerin hat einen Bachelorabschluss in Deutsche Literatur sowie Kunst- und Bildgeschichte und arbeitete mehrere Jahre freiberuflich für mehrere Berliner Verlage. Sie schreibt mit Vorliebe Features und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Zukunft der Arbeitswelt.