Standhaft im Sturm: Personalvorständin und Ex-Kapitänin Tanja Cohrt im Porträt

Leadership

Mitte Juni. 14 Grad. Regen. Wind. Hamburg. Das Verwaltungsgebäude des Hamburger Fährdienstes HADAG liegt im Hamburger Hafen und bewegt sich stetig in den Wellen. Eine Bewegung, die auch in den Räumlichkeiten spürbar ist. Das ständige Schaukeln macht der ehemaligen Kapitänin Tanja Cohrt nichts aus. „Man gewöhnt sich dran.“

Von Karlsruhe ans Meer

Vom vertrauten Gefühl des Wellengangs war die gebürtige Karlsruherin in ihrer Kindheit in Mittelhessen noch weit entfernt. „Außer mit gelegentlichen Besuchen am Nord-Ostsee-Kanal hatte ich keine Berührungspunkte mit der Seefahrt.“ Maschinenbauerin wollte sie werden. Vorbild sei ihr Vater gewesen: Ein studierter Maschinenbauer, der technisch interessiert war, viel von seiner Arbeit erzählte und seine Tochter mit dieser Begeisterung ansteckte. Diesen beruflichen Weg ist Cohrt allerdings nicht zu Ende gegangen, trotz eines bereits absolvierten Praktikums als Industriemechanikerin, das sie auf den Beruf vorbereiten sollte. Das Interesse an Technik habe sie aber nie verloren. „Solche Fußstapfen setzen jedoch Erwartungen. Nicht unbedingt von außen, sondern vor allem von mir an mich selbst. Zu diesem Zeitpunkt war es für mich besser, einen anderen Weg einzuschlagen.“ Viel ausschlaggebender sei aber noch etwas anderes gewesen.

„Kurz vor dem Abitur packte mich die Abenteuerlust“, erinnert sich Cohrt. Sie schaute sich nach Alternativen um und landete schließlich in Bremen. Die dortige Hochschule bot ein Nautikstudium an – technisches Wissen kombiniert mit Abenteuer. Und: Der Diplomstudiengang startete gleich mit einem Praxissemester. Zuerst war es ein Studium auf Probe. Mal schauen, wie es gefällt. Tanja Cohrt ist geblieben und schwärmt: „Es war einfach cool.
Ich hatte eine tolle Reederei, eine tolle Besatzung, ein tolles Fahrtgebiet mit Süd- und Nordamerika. Und das Studium war noch viel besser.“

Rückendeckung

Nach ihrem Studium heuerte die Hochschulabsolventin 2010 als zweiter Nautischer Offizier beim Burger Bereederungs Contor an. Bei der familiengeführten Reederei absolvierte sie bereits ihr erstes Praxissemester und sammelte neben Meilen auf See viele positive Erfahrungen. Ausschlaggebend für ihre Wahl war nicht die größte Flotte, sondern der gute Zustand der Schiffe und die hohe Identifikation mit ihrem Arbeitgeber. „Vor allem haben sie immer hinter mir gestanden, egal was passiert ist.“ Cohrt spricht direkt an, was vermutlich vielen durch den Kopf geht: Eine junge Frau als Offizierin auf einem Containerschiff. „Frauen in der Seefahrt oder generell in männerdominierten Branchen haben es teilweise immer noch sehr schwer. So traurig es ist, wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns.“ Sie spricht offen von Mobbing und sexueller Belästigung in der Branche. Auch sie habe diese Erfahrungen machen müssen. „Trotzdem stand meine Reederei zum richtigen Zeitpunkt immer hinter mir und zog die erforderlichen Konsequenzen. Ich konnte immer mit einem guten Gefühl weiterarbeiten.“ Ein wichtiger Grundpfeiler ihrer Arbeit, wie Tanja Cohrt verdeutlicht. „Ohne diesen Rückhalt hätte es meine Karriere so nie gegeben.“

Je weiter sie in der Hierarchie an Bord aufstieg – und sie stieg schnell auf –, desto mehr verbesserte sich ihre Situation. Jeder Dienstgrad brachte mehr personaldisziplinarische Funktionen mit sich. Spätestens als sie im Jahr 2016
zur Kapitänin befördert wurde, war ihr klar: Wer Probleme mit einer Frau an Bord hatte, fuhr erst gar nicht mehr mit. Schlussendlich habe ihr auch ein dickes Fell geholfen und die Genugtuung zu zeigen: Ich bin immer noch da und ich werde bleiben.

Monatelang unterwegs

Acht Jahre fuhr Cohrt beruflich zur See. Weltweit steuerte sie Häfen an: Im Nord- und Ostseeraum genauso wie im Mittelmeer. Knapp zwei Jahre war sie als Kapitänin auf einem Containerfeeder hauptsächlich in Nordeuropa unterwegs, fuhr aber auch über den Atlantik nach Kuba. Je nach Schiffsgröße immer mit 900 bis 2.500 Containern an Bord. Und das Schiff dabei als ein eigener Mikrokosmos. Monatelang auf engsten Raum. Wie organisiert sich das Zusammenleben an Bord?

Gemeinsame Essenszeiten sind die Taktgeber und die Messen sind die Orte der Gemeinschaftlichkeit. In den Schiffsräumen werden die Mahlzeiten eingenommen und die Freizeit verbracht, oft aufgeteilt zwischen Offiziers- und Mannschaftsdienstgraden. Manchmal mit regional unterschiedlicher Küche, je nach Zusammensetzung der Crew. Das Zusammenleben ist jedoch nicht automatisch harmonisch und erfordert Anstrengungen von allen Beteiligten. Eine Regel, die die Kapitänin konsequent umsetzte: Wenn verschiedene Nationalitäten gemeinsam in einem Raum waren, wurde Englisch gesprochen. „Das beugt Missverständnissen vor, dass man übereinander spricht. Und es ist ein Gebot der Höflichkeit und ermöglicht allen, sich am Gespräch zu beteiligen“, erklärt sie dazu. Anfangs sei noch etwas Durchsetzungskraft erforderlich gewesen, langfristig verbesserte es aber die Kommunikationskultur an Bord deutlich.

Kommunikation sei nicht nur innerhalb des Teams ein bestimmender Faktor gewesen, sondern auch von der Crew nach außen zu ihren Angehörigen. Über Seemannsmissionen in Großbritannien organisierte Cohrt günstige SIM-Karten, damit alle Besatzungsmitglieder einen Internetzugang hatten und somit auch die Möglichkeit, regelmäßig Kontakt zu ihren Familien zu halten. Maßgeblich für eine grundlegende Zufriedenheit auf dem Schiff. Wenn das Containerschiff vor Anker lag, organisierte sie Grillpartys oder andere gemeinsame Aktivitäten. Dafür braucht es nicht viel: Aus großen Netzen und Basketbällen ließ sich zum Beispiel unkompliziert ein Basketballfeld im Hafen bauen. „Selbst mit den einfachsten Mitteln lässt sich vieles erreichen.“

© privat

An Bord gibt es kein Wochenende. Die Schichten laufen die ganze Woche durch. „Am Samstag oder Sonntag verzichtet man vielleicht mal auf die Überstunden.“ Fünf Monate betrug Cohrts längste Seereise. Drei Wochen war
die längste Zeit ununterbrochener Seetage, in der sie keinen Hafen sah. Glücklicherweise kämen Hafenaufenthalte bei Containerschiffen häufig vor, so Cohrt. Zudem profitierten sie als Anlieger in kleineren Häfen von besseren Liegezeiten, wo teilweise nachts nicht gearbeitet wird. Anders als bei Großcontainerschiffen, die weit draußen an peripheren Häfen 24 Stunden durcharbeiten.

„Ganz bewusst bin ich gern in Nordeuropa oder im Mittelmeerraum gefahren.“ Insbesondere in Nordeuropa, Portugal oder Großbritannien hätten sie gute Liegezeiten und nach den Ladezeiten die Möglichkeit gehabt, in die Stadt zu gehen. Ihr Highlight des Landgangs? „Irgendwo einen Kaffee trinken oder selbstbestimmt im Restaurant mein Essen aussuchen.“ Ansonsten gab es das, was der Schiffskoch auf den Tisch stellte. Nicht, dass sie schlecht versorgt gewesen wäre, ganz im Gegenteil. „Denn die Moral steht und fällt schließlich immer mit dem Essen.“ Nur Frikadellen konnte sie eine Zeit lang nicht mehr sehen.

Führungsqualitäten

Der berufliche Aufstieg aus den eigenen Reihen brachte auch Vorteile mit sich. Vielen Personen war sie bereits als zweiter oder erster Nautischer Offizier vorgesetzt. Teilweise kannte sie die Besatzung bereits seit ihrem Praktikum. Zügig Entscheidungen zu treffen, fällt Tanja Cohrt leicht. Ein Faktor, warum sie so schnell befördert worden ist, vermutet sie. Selbstverständlich seien nicht alle Entscheidungen immer perfekt gewesen, trotzdem stünde sie dazu. „Ich bin verbindlich und kein Fähnchen im Wind.“

Zu ihrem Führungsverständnis gehört aber nicht, dass Führungskräfte unfehlbar seien oder Unsicherheiten verstecken müssen. Ganz im Gegenteil. „Es ist wichtig, ehrlich mit sich zu sein und bei Bedarf Unterstützung zu suchen, anstatt aus Ego-Gründen alles an die Wand zu fahren.“ So habe sie einmal bei einem Schiff eine schlechte Übergabe erhalten, insbesondere was die verschiedenen Manöver betraf – und offen die Lotsen um Hilfe gebeten. So verbanden sie den mehrtätigen Arbeitsaufenthalt in Rotterdam mit verschiedenen Manöverübungen. Von einem Terminal bis zum nächsten, bis sie sich sicher fühlte und es problemlos allein meisterte. Die Seeleute schätzten ihre Ehrlichkeit. „Sie hatten auch Freude daran, mir etwas beizubringen.“

Standhaft bleiben

Manche Entscheidungen nimmt einem niemand ab, damit steht man alleine da. „Die größte Herausforderung ist es, sich im vernünftigen Maß gegen den Druck von außen zu stellen.“ 2017 sei so ein Moment gewesen: Auf dem Atlantik ereignete sich ein ungewöhnliches Wetterphänomen. Ein Hurrikan auf den Weg zur US-Küste änderte plötzlich seine Richtung und steuerte zurück nach Irland. Im Ärmelkanal verursachte er acht Meter hohe Wellen und heftige Winde. Schwer vorstellbar, was das wirklich bedeutet. „Stellen Sie sich vor, sie fahren in einem normalen Auto auf der Straße und auf sie kommt eine Wasserwand zu, so hoch wie ein dreistöckiges Haus.“ Genau an diesem Tag erhielt Tanja Cohrt den Auftrag, von Rotterdam aus in See zu stechen. In der Seefahrt ist es üblich, dass ein Schiff gechartert wird. Das Schiff wird also mitsamt Besatzung zur Verfügung gestellt, und der Charterer entscheidet, im vertraglichen Rahmen, über den Kurs und den Fahrplan.

„Die Bedingungen waren katastrophal und lebensgefährlich“, erzählt sie. „Ich weigerte mich entschieden, loszufahren. Der Wind tobte unerbittlich und die Wellen waren gigantisch. Ich erinnere mich noch genau an die stundenlangen harten Diskussionen.“ Schließlich bestätigte ein externer Wetterdienst ihre Einschätzung: Es war zu gefährlich, auszulaufen. Ihrem Vorschlag, 48 Stunden zu warten, bis sich das Wetter beruhigte, wurde nach langen Verhandlungen schließlich zugestimmt. Eine schwierige Entscheidung, die Rückgrat und Mut verlangte, gegen den Druck von außen standzuhalten. Auf die Frage, was sie dazu bewogen hat, den Druck auszuhalten, lachte sie herzhaft. „Überlebenswille.“

Zwischen den Welten

Langweilig sei es Tanja Cohrt all die Jahre auf See nie gewesen. Auch Heimweh hatte sie nie direkt gespürt. „Es waren eher bestimmte Momente, die ich verpasst hatte. Geburtstage, Hochzeiten oder Festivals mit Freunden.“ Und auch die Zeit an Land sei begrenzt gewesen. Denn selbst wenn sie einige Monate zu Hause war, arbeiteten Familie und Freunde weiter. Aus zwei Monaten wurden dann schnell nur noch acht Wochenenden. „Diese begrenzte gemeinsame Zeit wurde immer schwieriger für mich“, erklärt Cohrt ihre Entscheidung, wieder an Land zu arbeiten. Ein herausfordernder Wechsel: Bewerbungsgespräche fanden oft statt, während die Kapitänin wieder auf See war. Online-Interviews waren vor der Coronapandemie noch die Ausnahme, insbesondere da Cohrt eine gute Internetverbindung nur in Häfen hatte.

Landgang

„Im Jahr 2018 traf ich die Entscheidung, zu Hause zu bleiben, bis ich einen neuen Job gefunden hatte.“ Eine schwere Zeit, da die Schifffahrt in einer Krise steckte. Doch gegen Ende des Jahres tauchte eine vielversprechende Ausschreibung auf: Die Position der Betriebsleiterin beim HADAG Seetouristik und Fährdienst. Sie bekam den Job. Die letzte Fahrt als Kapitänin? Überaus sentimental und gekrönt von einer tollen Abschiedsparty, die die Besatzung organisiert hatte. „Es war mir klar, dass ich viele dieser Menschen vermutlich nie wiedersehen würde.“ Der Abschied sei ihr daher besonders schwergefallen. Zumal sie die Crew sehr gut kannte. Und der Kreis schloss sich: „Auf meiner letzten Fahrt als Kapitänin war derselbe Koch an Bord wie auf meinem ersten Schiff als Praktikantin.“ Der Abschied fiel schwer, zumal sie acht Jahre auf See verbracht und zuvor nie in einem Bürojob gearbeitet hatte. „Ich wusste nicht, wie es sein würde, morgens um acht zur Arbeit zu gehen und um vier nach Hause zu kommen.“

Neue Aufgaben

Das neue Leben an Land brachte neue Herausforderungen mit sich. Anfang 2019 wechselte Cohrt zur HADAG und verantwortete fortan die Bereiche Betrieb und Personal. Mittlerweile arbeiten dort fast 75 Schiffsführer und zehn Betriebslenker, die den gesamten Betrieb steuern und Dienste und Schiffe zuteilen.

„Die letzten fünf Jahre waren äußerst intensiv und erfüllend.“ Letztes Jahr wurde Tanja Cohrt gemeinsam mit Martin Lobmeyer in den Vorstand berufen. Dort verantwortet sie weiterhin ihr Steckenpferd: Betrieb und Personal. Letzteres ist momentan eine der schwierigsten Aufgaben. Der gesamte Hafen leide unter massiven Personalmangel. Das führe auch zu einem erheblichen Konkurrenzkampf zwischen den dort ansässigen Firmen – jeder suche händeringend nach Schiffsführerinnen und Schiffsführern. Darüber schweben zusätzliche städtische und politische Ziele, etwa die Dekarbonisierung der gesamten Flotte. All das müsse finanziert werden, es fehle noch an einer Ladeinfrastruktur. Große Herausforderungen für die kleine Verwaltung. „Aber mit diesen wenigen Menschen hier in der Verwaltung rocken wir den ganzen Laden mit 26 Schiffen und über zehn Millionen Fahrgästen.“

Ihre neue Heimat hat die Personalvorständin längst ins Herz geschlossen. Oder ist es doch andersherum? „Hamburg als Stadt fängt einen ein, dagegen kann man sich gar nicht wehren.“ Der Bremen-Sehnsucht kommt sie aber auch regelmäßig nach und verbringt dort in ihrem Zweitwohnsitz oft Wochenenden. „Ich bin sehr froh, dass ich mich so aus der Debatte Hamburg versus Bremen geschickt raushalten kann“, sagte sie lachend. Geheimtipps seien ihre Lieblingsorte in Hamburg wahrscheinlich nicht. „Ich wohne in der Nähe des Elbstrandes, der ist nur einen kurzen Fußmarsch entfernt. Ein absoluter Luxus in dieser Stadt.“ Am meisten begeistert sie die Verbindung aus Stadt und Natur: Entweder in 20 Minuten in Altona das Stadtleben mit all seinen Annehmlichkeiten genießen oder vielleicht doch an den Strand und aufs Wasser schauen?

Obwohl Tanja Cohrt die Kommandobrücke gegen den Vorstandsposten eingetauscht hat, ist sie dem Meer nicht allzu fern. Von ihrem Büro auf dem schwimmenden Ponton im Hamburger Hafen hat sie nicht nur einen direkten
Blick auf das Wasser – sie ist mittendrin.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Weltweit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer ist Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ebenfalls ihr Volontariat. Die Berlinerin hat einen Bachelorabschluss in Deutsche Literatur sowie Kunst- und Bildgeschichte und arbeitete mehrere Jahre freiberuflich für mehrere Berliner Verlage. Sie schreibt mit Vorliebe Features und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Zukunft der Arbeitswelt.

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