Auf dem Weg zu einem lebens­dienlichen Performance Management

Leistung

Die Sorgen in Deutschland sind spürbar: Die Wirtschaft schwächelt, die Regierung ist zerrissen, die Zukunft scheint ungewisser denn je. Globale Umweltkrisen und der Verlust gesellschaftlichen Zusammenhalts tragen zusätzlich zur allgemeinen Verunsicherung bei. In dieser angespannten Lage fordern viele Wirtschaftsführer eine neue Leistungskultur. Doch was diese Leistung konkret ausmacht und welche Rahmenbedingungen sie fördern, bleibt oft unklar. Stattdessen lassen sich aus Kurzschlussreaktionen – wie dem Rückgriff auf das umstrittene „Forced Ranking“, das gezielt Verlierer und Gewinner eines internen Leistungswettbewerbs erzeugt, oder hitzigen Debatten in sozialen Medien – zwei zentrale Annahmen ableiten: Leistung ist stets messbar und auf einzelne Köpfe zurückführbar. Die Botschaft lautet: Mitarbeitende sollen mit „Fleiß und Anstand“ wieder mehr leisten, wobei sich diese Einzelleistung „wieder lohnen soll“.

Doch ist dieser Ansatz in einer Welt voller Unsicherheiten der richtige? Gerade die aktuellen Herausforderungen könnten dazu anregen, innezuhalten und grundlegende Fragen zu stellen: Welche Art von Leistung benötigen wir, um in dieser neuen, komplexen Realität zu bestehen? Und wie schaffen wir es, Leistung in Organisationen so zu gestalten, dass sie nicht nur dem Unternehmen dient, sondern auch zur gesellschaftlichen Resilienz beiträgt? Ein zeitgemäßes Performance Management erfordert nicht nur neue Tools und Prozesse, sondern vor allem einen Perspektivwechsel. Und dieser hängt entscheidend davon ab, welches zugrunde liegende Organisationsmodell und welche Ideologie das Denken und Handeln eines Unternehmens prägt.

Vorherrschende Leistungslogiken: die Maschine und der Organismus

Aktuell konkurrieren zwei Überzeugungen wie Unternehmen gelenkt werden sollen. Beide Ansätze konzeptualisieren Leistung unterschiedlich. Zum einen gibt es das noch stark verbreitete „Maschinenmodell“, welches traditionell und recht bürokratisch daherkommt. Organisationen in diesem Modell wähnen sich in einer stabilen Welt, die Planbarkeit ermöglicht, um auch schwere Tanker auf das Ziel der Gewinnmaximierung einzuschwören. Hier regiert eine strikte Hierarchie, Prozesse sind standardisiert, Kontrolle ist zentralisiert, und Menschen werden als Zahnräder in einem großen, präzise arbeitenden System betrachtet. Wer leistet, tut, was gefordert ist, und erledigt dies effizient. Gefördert wird diese individuelle Leistung durch formale Qualifikationen und extrinsische Anreize wie Beförderung, Arbeitsplatzsicherheit – aber auch die Angst vor Sanktionen treibt an. Skaliert wird diese Leistung durch feste Regeln und klar definierte Rollen, die wenig individuellen Spielraum zulassen. Die Gesamtleistung ergibt sich vor allem durch die Addition der Einzelleistungen.

Im Gegensatz dazu setzen agile Unternehmen auf das „organische Modell“. Organisationen in diesem Modell sehen sich als komplexe, adaptive Systeme, die auf ständige Anpassung, Kreativität und marktorientierte Innovation ausgelegt sind. Agile Methoden, kurze Produktzyklen, kreative Diversität und interdisziplinäre Teams sind die dominierenden Merkmale der Zusammenarbeit. Auch diese Unternehmen zielen in erster Linie auf den Shareholder Value ab, welcher in diesem Modell vermehrt durch Wachstum und Marktanteils­steigerung vergrößert werden soll. Mitarbeitende werden nicht mehr als Zahnräder, sondern als „Humankapital“ betrachtet: Sie sind hoch individualistisch, wettbewerbsorientiert und motiviert, in einem meritokratisch-unternehmerischen Umfeld zu „gewinnen“. Leistung bleibt individuell und wird in diesem Modell durch Geschwindigkeit, Innovation und marktorientierte Metriken definiert. Außerdem wird sie incentiviert durch Autonomie, persönliche Entwicklung, Boni und allerlei Vergünstigungen (Perks) wie moderne Büros, Fitnessangebote oder Wellbeing-Programme. Um diese Leistung zu skalieren, arbeitet man mit ambitionierten Zielen (Big Hairy Audacious Goal (BHAG)), flachen Hierarchien, mikro-unternehmerischen Strukturen und internem Wettbewerb.

Die unerwünschten ­Konsequenzen beider ­Modelle

Beide Modelle stehen exemplarisch für unterschiedliche Philosophien des Performance Managements. Während das Maschinenmodell auf Kontrolle, Standardisierung und extrinsische Anreize setzt, fördert das organische Modell Dynamik, Eigenverantwortung und Flexibilität. Beide Ansätze haben ihre Vorzüge, offenbaren jedoch auch erhebliche Schwächen. Das Maschinenmodell kann Kreativität und Anpassungsfähigkeit ersticken – ein Blick nach Wolfsburg zu VW verdeutlicht dies aktuell eindrucksvoll. Das organische Modell hingegen geht häufig zulasten von Stabilität, Zusammenhalt und individueller Gesundheit. Zudem führt der Leistungsdruck nicht selten zu unethischem Verhalten. Wie schnell ein solches System in den Abgrund geraten kann, zeigt eindrücklich das Beispiel verschiedener Bankenpleiten, etwa die jüngste der Credit Suisse, die bis zu ihrer Auflösung von einem Skandal in den nächsten taumelte.

Zudem stellen Umfragen beiden Varianten des Performance Managements ein schlechtes Zeugnis aus. Laut dem Portal srhrm.org halten gemäß einer Gallup-Befragung aus dem Jahr 2023 95 Prozent der befragten Manager Leistungsbeurteilungen, die als Kernstück des Performance Managements gelten, für unzureichend. Demnach empfand nur eine kleine Minderheit der Mitarbeitenden Leistungsgespräche als lehrreich und inspirierend. Wiederkehrende Studien des Beratungs­unternehmens Gartner bestätigen zudem, dass weniger als 20 Prozent der HR-Manager die Performance-Management-Systeme ihrer Unternehmen als effektiv einschätzen.
Dieser ernüchternde Blick spiegelt sich auch in wissenschaftlichen Befunden zu den einzelnen Leistungsmanagementpraktiken wider. Zunächst zur Zielsetzung: Die Forschung von Lisa Ordóñez zeigt, dass SMART-Ziele – obwohl sie spezifisch und fokussiert sind – oft Kreativität und Achtsamkeit vernachlässigen. Der Druck durch ehrgeizige Zielvorgaben kann zu emotionaler Erschöpfung führen, welche in Gaming oder kleinen bis hin zu großen Manipulationsversuchen mündet. Modernere Ansätze wie OKRs oder FAST-Ziele, die vermeintlich agiler wirken, tragen dieselben Probleme in sich. Der Drang, immer ehrgeizigere und schnellere Ziele zu setzen, verschärft vermutlich sogar die Herausforderungen, anstatt sie zu lösen. Beim Feedback sieht es ähnlich kritisch aus: Carol Sanford und Marcus Buckingham fordern – recht medienwirksam – ein Ende des klassischen Leistungsfeedbacks: ihre Meta-Analysen belegen, dass evaluatives Feedback in der Tat nicht so effektiv wie gewünscht ist. Laut Ethan Bernstein können technologiegestützte Methoden wie tägliche Pulsabfragen oder Feedback-Apps sogar kontraproduktiv sein, da sie Mitarbeitende dazu verleiten, Selbstdarstellung zu priorisieren und Informationen zurückzuhalten. Avriel Kluger, der wohl bekannteste Feedbackforscher, hat sich mittlerweile auf das Zuhören konzentriert und zeigt, dass Zuhören oft wirksamer ist, als Mitarbeitende direktiv mit Feedback zu lenken.

Das größte „Problemfeld“ ist allerdings die formale Leistungsbewertung – sei es durch Ratings oder Rankings. Verschiedene Studien belegen, dass die Bewertung von komplexer oder teamorientierter Arbeit nicht nur unpräzise ist, sondern häufig sogar mehr systematische Beurteilungsfehler als Wahrheit enthält. Zusätzlich sind diese Verfahren nicht nur teuer, sondern zeigen auch kaum Korrelation mit der tatsächlichen Unternehmensleistung. Diese Einsicht lässt Ergebnisse formaler Leistungsbeurteilungen sowohl willkürlich als auch kostspielig aussehen. Die variable Vergütung ist als ein weiterer zentraler Baustein ebenfalls problematisch. Gerade bei komplexer oder teamorientierter Arbeit führen individuelle Boni oft zu perversen Anreizen: Mitarbeitende fokussieren sich auf das, was belohnt wird, statt auf das, was wirklich zählt. Zudem können leistungsvariable Anreize intrin­sische Motivation sowie prosoziales und kreatives Verhalten unterbinden und sogar Manipulation, Täuschung und weiteres unethisches Verhalten fördern – besonders in Führungspositionen. Außerdem entstehen versteckte Kosten, wie erhöhte Burn-out-Raten, Fehlzeiten, unerwünschte Fluktuation und hohe Honorare für Vergütungsberater.

Auf zu neuen Ufern: Wie sieht ein zeitgemäßes Performance Management aus?

Die Herausforderung besteht also nicht darin, an den bestehenden Instrumenten zu schrauben und diese lediglich zu optimieren. Das tun wir schon seit geraumer Zeit – und drehen uns dabei scheinbar im Kreis. Gefordert ist vielmehr ein neues Leistungsverständnis: eine Leistungskultur, die nicht nur kurzfristige Unternehmensziele verfolgt, sondern auch langfristige gesellschaftliche Resilienz und nachhaltigen Erfolg fördert. Ein Performance Management also, das lebensdienlich ist für alle, die mit dem Unternehmen in Berührung kommen. Ein erster gangbarer Schritt in diese Richtung besteht darin, ein Performance Management zu schaffen, das Menschen in ihrer ganzen Vielfalt wahrnimmt und unterstützt. Utopisch ist das keineswegs – viele große Familienunternehmen vertreten bereits ein solches Leistungsverständnis und glänzen als Hidden Champions mit Verantwortungsbewusstsein bei gleichzeitiger Innovationskraft.

Als Vorbild in dieser neuen Welt mag uns die politische Gemeinschaft dienen: Organisationen, die sich an diesem Modell orientieren, setzen auf Würde, Vielfalt, Inklusion und Nachhaltigkeit. Statt sich lediglich auf „psychologische Sicherheit“ zu beschränken, liegt der Fokus auf der aktiven Förderung der Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden in der Arbeit. Ebenso geht es um gemeinsame Verantwortung: Das Zusammenwirken basiert auf einer gemeinsam getragenen „Verfassung“, die allen Stakeholdern nicht nur eine Stimme gibt, sondern echte Mitgestaltung ermöglicht und erwartet. Entscheidungsprozesse sind demokratisch und partizipativ gestaltet, fördern Dialog, Moderation und kollektive Steuerung. Die Verteilung von Ressourcen und Rollen erfolgt fair, transparent und ohne Vorurteile, um Chancengleichheit und sozialen Mehrwert zu gewährleisten. Unternehmen, die sich einem solchen Modell verschreiben, stellen eine lebensdienliche Wirtschaft durch Ergänzung um sozial-ökologische Schwerpunkte in den Mittelpunkt und setzen auf Selbstbestimmung der Mitarbeitenden in der Gestaltung des Unternehmens.

Leistung wird in diesem Modell ganzheitlich betrachtet, indem sowohl Shareholder- als auch Stakeholder-Metriken einbezogen werden – einschließlich ökologischer Nachhaltigkeit und des Wohlbefindens der Mitarbeitenden. Unternehmen mit einer Gemeinwohlbilanz etwa, zum Beispiel der Outdoor­ausrüster Vaude, weisen nicht nur systematisch ihren Beitrag zum Gemeinwohl aus, sondern transformieren auch ihr Geschäftsmodell in diese Richtung. Im Kern geht es darum, dass alle Mitglieder des Unternehmens gemeinsam darum ringen, eine lebenswerte Organisation zu schaffen – eine Organisation, die „faire“ Gewinne erzielt und zugleich resilient genug ist, um sich auch in schwierigen Zeiten über Wasser zu halten, weil „alle Mann und Frau an Deck“ stehen.

Leistung entsteht, weil Mitarbeitende als Menschen mit Rechten anerkannt werden, nicht nur als Ressourcen. Sie erhalten gezielte Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung und Entfaltung. Motivation wächst dabei aus einem tiefen Sinn für Eigenverantwortung und Bedeutsamkeit, was Engagement und Energie freisetzt. Um Skalierbarkeit zu gewährleisten, verbindet die Organisationskultur Eigenverantwortung mit achtsamer Zusammenarbeit. Gleichzeitig wird die Entscheidungsgewalt bewusst so verteilt, dass eine einseitige und blinde Machtkonzentration vermieden wird. Beispiele hierfür sind das schwäbische Unternehmen Allsafe, in dem operative Entscheidungen – auch budgetwirksame – meist dezentral getroffen werden, oder Premium Cola, das auf konsensorientierte Entscheidungen im gesamten Stakeholdernetzwerk setzt.

Konkret bedeutet dies, dass Leistungsmanagement Bedingungen schaffen soll, die persönliches Wachstum, verantwortungsvolles Handeln und Führung sowie kollektive Exzellenz fördern. Ziele verbinden individuelle und kollektive Ambitionen miteinander und lassen gleichzeitig Raum für Reflexion und Vorstellungskraft. Feedback wird als Dialog gestaltet, der es ermöglicht, andere Perspektiven zu integrieren und Widerspruch auszuhalten. Ziel ist es, gemeinsam Lösungen auf Augenhöhe zu formulieren. Leistungsbeurteilungen sind eine gemeinsame Aufgabe von Teams und Führungskräften, überwiegend lernorientiert, erfassen jedoch bei Bedarf auch konkrete Beiträge. Diese können als Grundlage für Karriereentwicklungen oder andere Maßnahmen dienen. Entscheidend ist, dass der Prozess überprüfbar und robust gestaltet ist. Eine angemessene Vergütung umfasst existenzsichernde Löhne und eine faire Verteilung der Profite, während exzessive Gehälter abgeschafft werden. Schließlich stehen Lernen und Entwicklung im Zentrum – als ganzheitlicher Ansatz, der sowohl die professionelle als auch die persönliche und kollektive Entfaltung unterstützt.

Wir stehen noch am Anfang dieses Weges. Doch zeigen Beispiele, dass einzelne Aspekte dieser realen – oder realistischen – Utopie bereits heute in einigen Unternehmen gelebt werden, die sich bewusst auf den Weg gemacht haben. Die Maschine wird es perspektivisch schwer haben, in dieser neuen Welt Fuß zu fassen. Agile Unternehmen hingegen verfügen durch ihre Anpassungsfähigkeit über bessere Voraussetzungen. Doch ohne ein radikales Umdenken und das Hinterfragen der aktuellen Ideologie von Leistung, Anerkennung und letztlich Verantwortung – gegenüber Organisationen, deren Mitarbeitenden und der Umwelt – wird der Wandel nicht gelingen. Oder, wie der kanadische Philosoph Marshall McLuhan (1911–1980) sagte: „We shape our tools, and thereafter our tools shape us.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Performance. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Prof. Dr. Antoinette Weibel

Ordinaria für Personalmanagement an der Universität St.Gallen und Direktorin des FAA-HSG
Prof. Dr. Antoinette Weibel ist Professorin für Personalmanagement an der Universität St.Gallen. Seit 2016 ist sie Direktorin am Lehrstuhl für Personalmanagement am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten der Universität St.Gallen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Vertrauensmanagement in Unternehmen und Motivationsmanagement. In den letzten vier Jahren beschäftigt sie sich insbesondere mit der Frage, was Unternehmen gut und lebensdienlich macht. Im Rahmen dieser Forschung hat sie gemeinsam mit Otti Vogt auch das hier beschriebene Leistungsverständnis entwickelt.

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