Ausgleich von Personal­überhang während Corona

Arbeitsrecht

Die Corona-Pandemie und die damit in Verbindung stehenden Einschränkungen sind eine starke Belastungsprobe für unsere Wirtschaft. Eine Folge ist, dass ein erhebliches Ungleichgewicht beim Bedarf an Arbeitskräften besteht. Während viele Unternehmen ihre Tätigkeit erheblich herunterfahren oder sogar ganz einstellen müssen, ist in anderen Wirtschaftszweigen ein erhöhter Arbeitskräftebedarf festzustellen, der auf eine gesteigerte Nachfrage sowie auf Corona-bedingte Mitarbeiterausfälle zurückgeführt werden kann. Ein Zustand, der wohl noch eine ganze Weile so bestehen wird. Die Landwirtschaft steht zusätzlich vor dem Problem, dass Einreiseverbote und unterbrochene Reisewege die Anreise der vielen Saisonarbeitskräfte erschweren, die jährlich vor allem aus Osteuropa anreisen. Hierzu wurden zwar zuletzt Lösungen erarbeitet – ob diese allein ausreichen werden, bleibt jedoch abzuwarten.

Aber nicht nur die Unternehmen haben ein wirtschaftliches Interesse daran, der ungleichen Verteilung von Personalkapazitäten und Personalbedarf zu begegnen und einen Ausgleich zu schaffen. Auch Arbeitnehmer können daran ein erhebliches Interesse haben, um Kurzarbeit bedingte Gehaltseinbußen, Existenzängste oder auch Langeweile zu vermeiden. Darüber hinaus ist grundsätzlich allen damit gedient, wenn während der Corona-Pandemie in systemrelevanten Wirtschaftszweigen genug Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Doch welche Möglichkeiten hält das deutsche Arbeitsrecht für diese ungewöhnliche Situation bereit, um einen Ausgleich zu schaffen?

1. Nebenbeschäftigung neben Kurzarbeit

Für den Arbeitnehmer, der von Kurzarbeit betroffen ist, stellt es den naheliegendsten Weg dar, neben seiner Haupttätigkeit eine Nebenbeschäftigung aufzunehmen. Die Aufnahme einer Nebenbeschäftigung während der Kurzarbeit ist zulässig, wenn sich die Nebenbeschäftigung mit der (reduzierten) Arbeitszeit beim Hauptarbeitgeber vereinbaren lässt.

Für Arbeitnehmer wird die Attraktivität dieser Gestaltungsmöglichkeit durch einen Aspekt aber stark begrenzt: Die Vergütung einer Nebenbeschäftigung, die nach Beginn der Kurzarbeit neu aufgenommenen wurde, wird auf das Kurzarbeitergeld angerechnet, indem es dem der Berechnung des Kurzarbeitergeldes zugrundeliegenden Ist-Entgelt hinzugerechnet wird (§106 Abs. 3 SGB III).

Mit Blick auf die Corona-Pandemie ist hierzu eine vorübergehende Ausnahme eingeführt worden. Bis zum 31.Oktober 2020 erfolgt für neu aufgenommene Nebenbeschäftigungen in systemrelevanten Branchen und Berufen keine Anrechnung, soweit das Entgelt aus der neu aufgenommenen Beschäftigung zusammen mit dem Kurzarbeitergeld und dem verbliebenen Ist-Entgelt aus der Haupttätigkeit die Höhe des Soll-Entgelts aus der Haupttätigkeit, für die Kurzarbeitergeld gezahlt wird, nicht übersteigt (§ 421c SGB III).

2. Ausnahmeregelung zum Arbeitszeitgesetz

Für Unternehmen, die Corona-bedingt einen erhöhten Bedarf an Arbeitskräften haben, ist die naheliegendste Möglichkeit zur Deckung des Bedarfs, dass die bestehende Belegschaft zu Überstunden herangezogen wird. Jedoch sind dabei die Vorgaben des Arbeitszeitgesetz einzuhalten – also vor allem die Höchstarbeitszeiten, die Mindestruhezeiten sowie das grundsätzliche Verbot zur Sonn- und Feiertagsbeschäftigung. Mit der Verordnung zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge der COVID-19-Epidemie vom 7.April 2020 sind in den systemrelevanten Wirtschaftszweigen (siehe § 1 Abs. 2 der Verordnung vom 7.April 2020) Ausnahmen von der Höchstarbeitszeit, der Mindestruhezeit sowie dem grundsätzlichen Verbot zur Sonn- und Feiertagsbeschäftigung geschaffen worden, die bis zum 30.Juni 2020 anwendbar sind. Die Ausnahmen dürfen aber nur angewandt werden, wenn sie nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden können. Außerdem sind Ausgleichs- beziehungsweise Ersatzruhezeiten zu gewähren.

3. Personalpartnerschaft

Um die Über- und Unterkapazitäten über die Unternehmensgrenzen hinaus auszugleichen, wird derzeit häufig das Schlagwort Personalpartnerschaft genannt. Die Relevanz dieses Instruments, zeigt sich daran, dass zur Koordination der Über- und Unterkapazitäten sogar schon digitale „Tauschbörsen“ geschaffen wurden, die auch von der Bundesregierung beworben werden.

Eine Personalpartnerschaft zwischen dem abgebenden Unternehmen und dem aufnehmenden Unternehmen kann rechtlich in unterschiedlicher Weise ausgestaltet werden; im Wesentlichen bieten sich zwei Gestaltungsvarianten an, zu denen im Folgenden die Grundlagen zusammengefasst werden sollen (eine ausführliche Darstellung der Gestaltungsmöglichkeiten finden Sie hier).

a) Arbeitnehmerüberlassung

Setzt ein Unternehmen Mitarbeiter eines anderen Unternehmens nach seinen Weisungen in seinem Betrieb ein, liegt es nahe über eine Arbeitnehmerüberlassung nachzudenken. Die Arbeitnehmerüberlassung ist nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG grundsätzlich erlaubnispflichtig. Vom Grundsatz der Erlaubnispflichtigkeit sieht das Gesetz nur wenige Ausnahmen vor. Bei der Personalpartnerschaft in Zeiten der Corona-Pandemie können zwei der Ausnahmen in Betracht gezogen werden, um Erlaubnisfreiheit zu begründen:

  • 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG sieht vor, dass die Erlaubnispflicht entfällt, wenn die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Arbeitgebern desselben Wirtschaftszweiges zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen erfolgt und wenn ein für den Entleiher und Verleiher geltender Tarifvertrag dies vorsieht. Das Vorliegen eines solches Tarifvertrags ist aber nicht ganz üblich und dass die Tarifvertragsparteien aktuell von der Möglichkeit Gebrauch machen werden, solche tariflichen Regelungen neu zu schaffen, ist nur schwer einzuschätzen. Im Jahr2009 hatte z.B. die IG Metall mit Arbeitgeberverbänden im Ruhrgebiet einen gesonderten, aber nur bis Ende 2010 befristeten Tarifvertrag für die Metallindustrie abgeschlossen, der Arbeitnehmerüberlassungen ermöglichte.
  • 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG sieht eine Ausnahme von der Erlaubnispflicht vor, wenn die Arbeitnehmerüberlassungen zwischen Arbeitgebern erfolgt, sie nur gelegentlich erfolgt und der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Auch wenn der Anwendungsbereich dieser Ausnahmevorschrift bisher eng verstanden wurde, hat sich das Bundesministerium für Arbeit für die Anwendung dieser Ausnahme in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ausgesprochen (siehe hier).

Aber auch schon in der Gesetzesbegründung wird als Beispiel für eine gelegentliche Arbeitnehmerüberlassung genannt, dass der Hintergrund der Ausnahmevorschrift ist, einen kurzzeitigen Spitzenbedarf eines anderen Unternehmens abzudecken. In dem Gesetzgebungsverfahren gab es aber auch Unstimmigkeiten. Kritisiert wurde der Begriff „gelegentlich“. Hiergegen wurde eingewandt, dass es sich um einen sogenannten „unbestimmten Rechtsbegriff“ handelt, für den es keine feststehende juristische Definition gibt und der daher zu ungenau sei. Da die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG bisher von geringer praktischer Relevanz war, kann kaum auf Rechtsprechung zurückgegriffen werden, um das Verständnis zu schärfen. Unter „gelegentlich“ ist jedenfalls zu verstehen, dass die Überlassung nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise erfolgen darf. Nicht abschließend geklärt ist, ob die Gelegentlichkeit ausgeschlossen ist, wenn die Arbeitnehmerüberlassung mit Gewinnerzielungsabsicht erfolgt. Aus anwaltlicher Vorsicht sollte zwischen dem abgebenden und dem aufnehmenden Unternehmen aber nur vereinbart sein, dass das aufnehmende Unternehmen die Personalkosten erstattet. Von einem Versuch, mit der Arbeitnehmerüberlassung einen Gewinn zu erzielen, sollte eher Anstand genommen werden. Aufgrund der Vorgabe aus § 613 BGB kann die Arbeitnehmerüberlassung nur im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer erfolgen.

b) Kombination aus Ruhestellung und Befristung

Eine Alternative zur gelegentlichen Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG ist die Kombination aus einer Ruhendstellung und einer Befristung. Für diese Gestaltungsvariante haben sich zum Beispiel eine große Fast-Food-Restaurantkette und eine große Supermarktkette entschieden: Das Arbeitsverhältnis mit dem abgebenden Arbeitgeber (der Fast-Food-Restaurantkette) wird vorübergehend ruhend gestellt und mit dem aufnehmenden Arbeitgeber (der großen Supermarktkette) wird ein befristetes Arbeitsverhältnis abgeschlossen.

Sind die beiden Arbeitgeberunternehmen und der Arbeitnehmer mit der Ausgestaltung der Personalpartnerschaft einverstanden, bedarf es einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung zwischen dem abgebenden Arbeitgeber und dem Mitarbeiter, zwischen dem aufnehmenden Arbeitgeber und dem Mitarbeiter sowie zwischen den Arbeitgebern, wobei in allen drei Vertragsverhältnissen besondere Themenbereiche regelungsbedürftig sind. Ferner ist auf der Seite des aufnehmenden Arbeitgebers zu beachten, dass in Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern und einem Betriebsrat bei der Einstellung – auch bei einer befristeten Einstellung – der Betriebsrat ein Beteiligungsrecht hat.

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Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners 

Pascal Verma

Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners in Hamburg. Seine Tätigkeits- und Beratungsschwerpunkte liegen im Arbeitsrecht und im Datenschutzrecht.

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