Haben Teilzeitkräfte Anspruch auf Überstundenzuschläge?

Arbeitsrecht

Das Thema Überstunden betrifft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Vollzeit und in Teilzeit. Dürfen aber Arbeitgeber für den Ausgleich von Mehrarbeit bei Vollzeitkräften etwas anderes vorsehen als für Teilzeitmitarbeitende? Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden: unter Umständen ja.

Die Teilzeitbeschäftigung in Deutschland hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Laut einer aktuellen Studie von Statista arbeiteten im ersten Quartal 2021 rund 28 Prozent aller Beschäftigen in Deutschland in Teilzeit. Der Geschlechterunterschied ist dabei hoch: Während die Teilzeitquote der männlichen Arbeitnehmer nur etwa 10 Prozent beträgt, arbeiten rund 48 Prozent der Arbeitnehmerinnen in Teilzeit. Die Rechte von Teilzeitkräften stellen sind somit ein relevantes Thema, das auch die Gerichte immer wieder beschäftigt.

Der wichtigste Grundsatz für Teilzeitbeschäftigte steht in § 4 Teilzeitbefristungsgesetz. Danach dürfen Arbeitskräfte in Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als Vollzeitbeschäftigte in vergleichbarer Position – es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Eine Benachteiligung von Teilzeitkräften kann gleichzeitig auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts darstellen. Vor diesem Hintergrund stellt sich in der Praxis immer wieder die Frage, was für die Mehrarbeitsvergütung von Teilzeitkräften gilt: Müssen hier ebenfalls die gleichen Regeln wie für Vollzeitmitarbeiter angewendet werden?

Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten

Das 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat nun –unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung —für Teilzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst entschieden, dass ein Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten bezahlt werden muss. Diese Frage hatte der Senat jedenfalls für „ungeplante Überstunden“ zuletzt noch zugunsten der Teilzeitbeschäftigten beantwortet (Az. 6 AZR 161/16). Begründung: Teilzeitbeschäftigte würden ansonsten ohne sachlichen Grund gegenüber Vollzeitbeschäftigten diskriminiert, wenn sie nicht bereits bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit Überstundenzuschläge für ungeplante Überstunden erhielten.

Die Differenzierung zwischen geplanten und ungeplanten Überstunden hatte der 6. Senat im Jahr 2013 (Az. 6 AZR 800/11) entwickelt (dies war nicht unkritisch, denn der Wortlaut des § 7 Abs. 8 lit. c) TVöD nimmt diese Unterscheidung nicht vor). Danach sollen bei Wechselschicht- oder Schichtarbeit nur solche Arbeitsstunden als Überstunden gelten, die bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Schichtplanturnus nicht ausgeglichen werden. Nach Ansicht des Senats mache die Regelung aber nur Sinn, wenn man eine Differenzierung nach geplanten und ungeplanten Überstunden hineinlese. Daran anknüpfend kam anschließend die Frage auf, ob es zulässig ist, Überstundenzuschläge an Teilzeitbeschäftigte erst ab dem Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zu zahlen.

Auch der 10. Senat hat 2018 zu den Regelungen über Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte des Manteltarifvertrages für die Systemgastronomie noch entschieden: Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit können Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitsstunden verlangen, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgehen (Az. 10 AZR 231/18). Zur Begründung führten die Richter damals an, dass es den Tarifvertragsparteien um den Zweck gegangen sei, durch Überstundenzuschläge die verlorene Freizeit auszugleichen. Dieser Zweck könne eine unterschiedliche Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten sachlich nicht rechtfertigen.

Beim BAG waren zu diesem Thema zuletzt wieder mehrere Revisionen anhängig, denen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts (LAG) Nürnberg zugrunde lagen. Das LAG hatte entschieden, dass Teilzeitbeschäftigte – konkret ging es um Pflegekräfte eines kommunalen Krankenhauses, für die der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst gilt – Überstundenzuschläge nur dann erhalten, wenn sie die Arbeitszeit für einen Vollbeschäftigten überschreiten. Denn der im Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (hier TVöD-K) zum Ausdruck gebrachte Leistungszweck der Überstundenzuschläge liege darin, eine grundsätzlich zu vermeidende besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Damit liege ein sachlicher Grund für eine etwaige Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten vor.

Urteil: Differenzierung ist wirksam

Über eines dieser Verfahren hat das BAG nun entschieden (Az. 6 AZR 253/2019). Auch das BAG stellte fest: Die Differenzierung zwischen Voll- und der Teilzeitbeschäftigten sei wirksam, weil für beide Gruppen völlig unterschiedliche Regelungssysteme des Tarifvertrags in Bezug auf das Entstehen und den Ausgleich von Mehrarbeit und Überstunden gelten. Der Senat hat zudem laut Pressemitteilung in zwei anderen Verfahren (6 AZR 332/19, 6 AZR 254/19), die Revisionen der Klägerinnen zurückgewiesen.

Der 6. Senat hat mit der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben und klargestellt, dass für das Entstehen von Überstunden ausschließlich auf das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten gemäß § 7 Abs. 7 TVöD-K abgestellt werden kann. Anderenfalls liegt Mehrarbeit im Sinne von § 7 Abs. 6 TVöD-K vor, die nicht zuschlagspflichtig ist. Diese Rechtsprechung wirkt sich zunächst auf den gesamten Bereich des TVöD-K aus. Inwieweit auch andere Tarifverträge betroffen sind und von einer generell gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten auszugehen ist, lässt sich anhand der Pressemitteilung noch nicht beantworten; dies werden erst die Entscheidungsgründe zeigen.

Spannend in diesem Zusammenhang auch: Der 8. Senat hat nun auch in einem ähnlich gelagerten Fall dem EuGH vorgelegt(Beschluss vom 28. Oktober 2021, Az. 8 AZR 370/20 (A)). Die Klägerin begehrte die Gutschrift von Überstundenzuschlägen auf dem Zeitkonto für die von ihr über die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleisteten Stunden sowie Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen unzulässiger Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten und mittelbarer Diskriminierung wegen des Geschlechts. Nach § 10 Ziffer 7 Satz 2 des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen, zwischen der Gewerkschaft Verdi und dem Beklagten, einem bundesweit tätigen ambulanten Dialyseanbieter, geschlossenen Manteltarifvertrags (MTV) sind mit einem Zuschlag von 30 Prozent nur Überstunden zuschlagspflichtig, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Arbeitskraft hinaus geleistet wurden.

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Manuela Rauch, Partnerin im Bereich Arbeitsrecht bei Eversheds Sutherland

Manuela Rauch

Dr. Manuela Rauch ist Partnerin im Bereich Arbeitsrecht bei Eversheds Sutherland.

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