Tatkündigung oder Verdachts­kün­di­gung – oder doch beides?

Arbeitsrecht

Steht im Raum, dass ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin eine schwerwiegende Pflichtverletzung oder sogar ein strafbares Verhalten begangen haben soll, fragt sich der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung regelmäßig, ob die außerordentliche Kündigung wegen der nachgewiesenen Tat (nachfolgend: „Tatkündigung“) oder wegen eines dringenden Verdachts (nachfolgend „Verdachtskündigung“) ausgesprochen werden kann. Das Urteil des LAGNürnberg vom 08.Dezember 2020, Az.: 7Sa226/20 zeigt, dass und warum der kündigende Arbeitgeber sich in der Vorbereitung der Kündigung regelmäßig nicht zwischen den beiden Alternativen entscheiden, sondern eine Tat- und eine Verdachtskündigung kombinieren sollte.

Grundlegend: Was ist eine Tatkündigung und was ist eine Verdachtskündigung und welche Unterschiede gibt es?

  • Bei einer Tatkündigung spricht der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung aus, da er davon überzeugt ist, dass der Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin die vorgeworfene schwerwiegende Pflichtverletzung oder das strafbare Verhalten tatsächlich begangen hat. Es reicht dabei nicht aus, dass der Arbeitgeber exklusiv dieser Überzeugung ist. Wenn eine Kündigungsschutzklage erhoben wird, ist vor allem maßgeblich, ob sich das Arbeitsgericht aufgrund der Darlegung und der Nachweise vom Kündigungsvorwurf vollständig überzeugt sieht. Ist das nicht der Fall, ist die Tatkündigung wegen des fehlenden Nachweises unwirksam und das Arbeitsverhältnis nicht beendet.
  • Bei einer Verdachtskündigung hingegen spricht der Arbeitgeber die Kündigung aus, da ein dringender, auf objektiven Tatsachen beruhender Verdacht besteht, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin eine schwerwiegende Pflichtverletzung oder ein strafbares Verhalten begangen hat. Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein, die der Arbeitgeber notfalls beweisen muss. Zudem muss es sehr wahrscheinlich sein, dass der Verdacht zutrifft. Bloße, mehr oder weniger haltbare Vermutungen sind nicht ausreichend. Der Arbeitgeber ist aus diesem Grund vor allem verpflichtet, den Sachverhalt vor Ausspruch der Kündigung bestmöglich aufzuklären. Insbesondere muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Möglichkeit einräumen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und Entlastungen vorzubringen.

Das BAG stellt zudem klar, dass es sich bei der Verdachtskündigung nicht um eine „unterentwickelte Tatkündigung“ handelt, bei der lediglich der Beweis leichter zu führen ist (BAG, Urteil vom 31.Januar 2019, Az.: 2AZR426/18 Rn. 23). Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder eines strafbaren Verhaltens begründet einen Vertrauensverlust, der wiederum einen Eignungsmangel bedingt. Bei der Verdachtskündigung knüpft der Kündigungsgrund also an die Person und nicht an das Verhalten des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin an.

Was hatte das LAG Nürnberg am 8.Dezember 2020 zu entscheiden?

Das LAG Nürnberg hatte mit dem Urteil vom 8. Dezember 2020 über eine fristlose Kündigung zu befinden, die gegenüber einem Arbeitnehmer ausgesprochen wurde, der sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, zu Lasten des Arbeitgebers einen Diebstahl begangen zu haben. Der Arbeitgeber hatte in der Vergangenheit festgestellt, dass es in seinem Warenbestand regelmäßig „Schwund“ gab. Um dies aufzuklären, brachte der Arbeitgeber eine verdeckte Kameraüberwachung an, die den gekündigten Arbeitnehmer auf frischer Tat aufnahm.

In Kenntnis dieser Umstände ging der Arbeitgeber davon aus, den Tatnachweis führen zu können und hörte den Betriebsrat an, wobei die Betriebsratsanhörung sich auf eine als erwiesen erachtete Handlung beschränkte. Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab und der Arbeitgeber kündigte den Arbeitnehmer anschließend außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage, die in der ersten Instanz erfolgreich war.

Kein Tatnachweis und fehlende Betriebsratsanhörung

Das LAG Nürnberg erkannte in der Berufungsinstanz ebenfalls, dass die Kündigung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis nicht beenden konnte.

Zum einen hielt das Gericht dem Arbeitgeber vor, dass er keinen hinreichenden Nachweis für das Vorliegen eines wichtigen Grundes erbracht habe. Insbesondere die Videoaufzeichnungen waren nach Ansicht des LAG keine zulässigen Beweismittel. Es handelte sich um eine verdeckte Videoüberwachung, die den Arbeitnehmer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzte. Die Videoaufzeichnungen konnten also nichts dazu beitragen, dass sich das Arbeitsgericht von der Begehung des Diebstahls überzeugt sah. Da auch keine anderen Beweismittel zur Verfügung standen, war die Kündigung nicht als Tatkündigung zu rechtfertigen.

Die Kündigung konnte der Arbeitgeber zum anderen aber auch nicht als Verdachtskündigung rechtfertigen. Dabei ließ das LAG dahinstehen, ob es sich um einen dringenden Verdacht handelte und ob der Arbeitgeber alles unternommen habe, damit der Sachverhalt bestmöglich ermittelt wurde. Die Verdachtskündigung war – so das LAG – unwirksam, da der Betriebsrat nicht in Bezug auf die Verdachtskündigung angehört wurde. In der durchgeführten Betriebsratsanhörung hatte der Arbeitgeber nur mitgeteilt, dass er die Kündigung aufgrund einer für erwiesen gehaltenen Tat beabsichtige. Kein Gegenstand der Betriebsratsanhörung war, dass der zu kündigende Arbeitnehmer zumindest verdächtigt sei, die Tat begangen zu haben. Da die Betriebsratsanhörung zu einer Tatkündigung nicht automatisch auch als „Minus“ eine Anhörung zur Verdachtskündigung enthält, muss – so das LAG Nürnberg weiter – der Betriebsrat in der Anhörung zumindest die Zielrichtung erkennen können, dass der Arbeitgeber auch eine Verdachtskündigung beabsichtigt. Der Versuch des Arbeitgebers, den Betriebsrat ergänzend, nachträglich in Bezug auf eine Verdachtskündigung anzuhören, war zudem unzulässig. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn nachträglich neue Verdachtsmomente bekannt geworden sind und die maßgeblichen Verdachtsmomente schon vor Zugang der Kündigung vorlagen.

Fazit:

Bei einer außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess den wichtigen Grund darlegen und beweisen. Das heißt, der Arbeitgeber muss die kündigungsrelevanten Tatsachen so darlegen und beweisen, dass das Gericht davon vollständig überzeugt ist und keine ernsthaften Zweifel verbleiben. Das stellt in der Praxis eine hohe Hürde dar und kann regelmäßig aus verschiedensten Gründen – im Fall des LAG Nürnberg zum Beispiel aufgrund eines Beweisverwertungsverbotes – nicht erfüllt werden. Von dem angestrebten Tatnachweis bleibt dann häufig ein Tatverdacht übrig, der geeignet sein kann, einen wichtigen Grund dazustellen, wenn es sich um einen dringenden Verdacht handelt. Um die außerordentliche Kündigung auch auf den Verdacht zu stützen, muss dies von Anfang an beachtet werden, um die materiellen Voraussetzungen der Verdachtskündigung (Anhörung des Arbeitnehmers) einzuhalten und Betriebsrat ordnungsgemäß anzuhören. Soll die außerordentliche Kündigung nachträglich (auch) mit dem dringenden Verdacht begründet werden, ist das nur in Ausnahmefällen möglich. Arbeitgeber sind daher gut beraten, bei einer außerordentlichen Kündigung wegen einer schwerwiegenden Pflichtverletzung sowohl eine Tatkündigung als auch eine Verdachtskündigung vorzubereiten – auch wenn der Arbeitgeber überzeugt ist, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners 

Pascal Verma

Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners in Hamburg. Seine Tätigkeits- und Beratungsschwerpunkte liegen im Arbeitsrecht und im Datenschutzrecht.

Weitere Artikel