Arbeitszeugnisse auf dem Prüfstand

Recruiting

Das Lob klingt übertrieben, die Formulierungen sind hölzern, und die wichtigsten Informationen fehlen: Obwohl der Nutzwert vieler Zeugnisse begrenzt ist, gelten sie für Mitarbeiter wie Personaler als unverzichtbar. Über den Stellenwert des begehrten Dokuments und Möglichkeiten, es besser zu machen.

Arbeitszeugnisse haben in Deutschland im Vergleich zum Ausland nach wie vor einen absoluten Sonderstatus. So gelten bei uns Urkunden zum Ende eines Arbeitsverhältnisses oder als Zwischenzeugnis als unverzichtbare Leistungsnachweise in Bewerbungsprozessen. Gleichzeitig sehen immer mehr Personaler sie mittlerweile als übertriebene Lobeshymnen mit bedingter Glaubwürdigkeit. Ein Widerspruch, der sich auflösen lässt?

Trotz der hohen Zahl der Stellenwechsler von jährlich mehr als einer halben Million und der damit verbundenen Bedeutung der Zeugnisse – sowohl im Bewerbungsprozess als auch im Recruiting – wird das Thema oft stiefmütterlich behandelt oder belächelt.

Das Gesetz sieht vor, dass Zeugnisse wahrheitsgemäß und mit verständigem Wohlwollen formuliert werden. Daraus hat sich allerdings eine sehr positive und stark lobende Sprache entwickelt, die schnell als übertrieben oder unglaubwürdig gilt. Einen wesentlichen Anteil daran haben auch die mehr als 30.000 jährlichen Gerichtsprozesse zum Arbeitszeugnis, die nicht nur die Zeugnissprache deutlich geprägt haben, sondern auch den Spielraum der Arbeitgeber stark einschränken, wenn es um Formulierungen geht. Bewertungen, die den Arbeitnehmer durch ihre Wortwahl in seinem weiteren beruflichen Werdegang unnötig behindern oder als branchentypisch anzusehen sind, im Zeugnis aber fehlen, sind dabei untersagt.

Auch die Tatsache, dass Arbeitgeber zunehmend die Zeugniserstellung als lästig empfinden und Mitarbeitern die Verantwortung übertragen, ihre Zeugnisse selbst zu erstellen, wertet die Aussagekraft der Urkunden ab.

Um Zeit zu sparen, verwenden Personaler und Führungskräfte neben Fachbüchern und Zeugnismustern häufig Zeugnisgeneratoren. Deren Vorteil: In der Regel garantiert der Wortlaut der entsprechenden Programme Rechtssicherheit. Ihr Nachteil: Generatoren produzieren recht pauschale Bewertungen, die wenig auf den Beurteilten zugeschnitten sind. Justiert der Ersteller nach, hat er wiederum keinen Anspruch auf ein rechtssicheres Zeugnis mehr.

Verbreitete Fehler

Das gesamte Dilemma zeigt sich bei einem Vergleich aktueller Trends in der Zeugnisschreibung in einer Studie von arbeitszeugnis.de zu Auffälligkeiten in Arbeitszeugnissen aus dem Jahr 2010. Diese ergab, dass jedes zweite der 1.000 geprüften Zeugnisse – unabhängig von der Branche und Größe des Unternehmens – gravierende Mängel aufwies. Bis heute hat sich daran kaum etwas verändert.

Hier einige verbreitete Mängel:

1. Beredtes Schweigen:
Wichtige Bewertungen im Leistungsteil des Zeugnisses fehlen vollständig, was oft als Hinweis auf eine ungenügende Leistung des Arbeitnehmers in den entsprechenden Teilbereichen verstanden wird. Fehlt zum Beispiel die Bewertung einer als branchentypisch anzusehenden Belastbarkeit bei einem Journalisten oder die Kreativität bei einem Designer, so ist der Arbeitgeber in einem Streitfall in der Regel in der Korrekturpflicht.

2. Beschönigungen:
Oft wirken Zeugnisformulierungen übertrieben wohlwollend. Gerade unerfahrene Zeugnisschreiber neigen dazu, Temporaladverbien und Superlative im Leistungsteil zu stark zu häufen, was einen unglaubwürdigen Gesamteindruck ergibt.
Beispiel: Ein stets äußerst umfassendes und sehr fundiertes Fachwissen (Note 1 – unglaubwürdig, da das Fachwissen nicht mit Temporaladverbien bewertet wird) statt: sehr gutes bzw. umfassendes und sehr fundiertes Fachwissen (Note 1)

3. Strukturelle Mängel:
Die Verwendung missverständlicher Textbausteine, ein unstrukturierter Aufgaben- und Leistungsteil, Rechtschreibfehler sowie die Anwendung von verschiedenen Verschlüsselungstechniken wie der Negationstechnik, Passivierungstechnik und Ausweichtechnik gehören zu den maßgeblichen Auffälligkeiten in Arbeitszeugnissen.

Ein Beispiel wäre die Formulierung: Seine folgerichtige Denkweise kennzeichnet seine sichere Urteilsfähigkeit
in vertrauten Zusammenhängen. (Haufe Verlag). Diese Formulierung wird vom Fachautor mit der Note drei bewertet, wirktaber bei der Bewertung des Urteilsvermögens ausgesprochen missverständlich, da hier die Fähigkeit, Sachverhalte zu beurteilen, erheblich einschränkend wirkt.
Besser: Besonders hervorzuheben ist seine Urteilsfähigkeit, die ihn zu eigenständigen Einschätzungen und Bewertungen befähigt.

Abhilfe schafft ein grundsätzliches Verständnis dafür, dass es sich bei der Zeugnisschreibung um einen Wertschätzungsprozess mit einem fundierten Informationswert handelt. Wird das ernst genommen, können sowohl Unternehmen im Zuge der Personalauswahl als auch Arbeitnehmer von der Anerkennung ihrer persönlichen Leistungen profitieren.

Wenn Unternehmen dieses Potenzial erkennen, sind sie auch bereit, den Mehraufwand in Kauf zu nehmen, den individuell zugeschnittene Zeugnisse erfordern. Der positive Nebeneffekt: Arbeitnehmer werden nicht unnötig verärgert durch mangelhafte Arbeitszeugnisse und der zeitliche Aufwand für Nachbesserungen von Zeugnissen in den Personalabteilungen sinkt.

Auf diese Aspekte kommt es an

Der Informationswert von Zeugnissen steigt mit dem Zeitraum der Bewertung und mit der Gewissenhaftigkeit, mit der das Dokument erstellt wird. So informiert ein hierarchisch sortierter Aufgabenteil den Personaler schnell darüber, inwiefern das aktuelle Stellensuchprofil mit den derzeitigen Aufgaben des potenziellen Arbeitnehmers übereinstimmt.
Wichtige Hinweise über die Qualitäten eines Bewerbers liefern folgende Punkte:

• ein genau datierter beruflicher Werdegang im Unternehmen,
• die detaillierte Beschreibung der fachlichen Kompetenzen einschließlich spezifischer Berufserfahrungen, Weiterbildungen und besonderer Kenntnisse,
• die Bewertung von besonderen Erfolgen wie beispielsweise die gelungene Leitung komplexer Projekte, die Betreuung und Akquise von Kunden oder die Realisation von Prozessverbesserungen.

Genauso geben Leerstellen und stilistische sowie inhaltliche Fehler in Arbeitszeugnissen Personalern hilfreiche Informationen über die Bewerber. So gilt zum Beispiel ein fehlender Dank / ein fehlendes Bedauern in einem Abschlusszeugnis als Indiz für Streit oder Probleme im Zusammenhang mit dem Ausscheiden aus dem Unternehmen, zumal es sich um freiwillige Angaben des Arbeitgebers handelt. Ebenso wird das Fehlen des obligatorischen Ausstellungsgrunds als Hinweis auf Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausscheiden aus dem Unternehmen gedeutet (wie zum Beispiel Streit oder Leistungsschwäche).

Ist das Abschlusszeugnis außerhalb der regulären Fristen zum Monatsende oder zur Monatsmitte datiert, kann das als Hinweis auf eine fristlose Kündigung verstanden werden. Unterzeichnet der Zeichnungsberechtigte unterhalb der maschinenschriftlichen Unterschrift, so wird dies als Distanzierung vom Zeugnistext interpretiert. Und auch nicht korrigierte Rechtschreibfehler geben Hinweise über die nachlässige Sorgfalt des Zeugnisempfängers im Umgang mit seinen Dokumenten, da er die Mängel nicht beheben ließ.

Böse Überraschungen vermeiden

Werden leistungsrelevante Aspekte (wie das Fachwissen) nicht bewertet, suggeriert das, diese seien nicht erwähnenswert (Note mangelhaft). Das Weglassen von Bewertungen gilt generell als bevorzugtes Mittel, Streit mit dem Arbeitnehmer über die Vergabe von unterdurchschnittlichen Beurteilungen im Zeugnis zu vermeiden.

Wesentlich für einen erfolgreichen Zeugnisprozess ist es, den Arbeitnehmer frühzeitig einzubinden. Wird der aktuelle Leistungsstand in regelmäßigen Personalgesprächen thematisiert oder der Arbeitnehmer bei der Leistungseinschätzung als Grundlage für sein Arbeitszeugnis involviert, birgt das ausgefertigte Zeugnis auf der Bewertungsebene keine negativen Überraschungen.

Der Arbeitnehmer muss sich auf den Arbeitgeber und dessen verständiges Wohlwollen in der Bewertung seiner Leistung verlassen. Für eine faire, glaubwürdige und gewissenhafte Bewertung seiner Leistung wird er dankbar sein. Das Ergebnis ist ein aussagekräftiges Arbeitszeugnis, das nicht nur als Visitenkarte Ihres Unternehmens dient, sondern auch als wertvolles Mittel zur Personalbeurteilung eingesetzt werden kann.

+++ Sie möchten gerne wissen, was die Sätze in Ihrem Arbeitszeugnis eigentlich bedeuten? Dann schreiben Sie uns eine Mail an info@humanresourcesmanager.de.
Die ersten 15 Leserinnen und Leser erhalten von der Personalmanagement Service GmbH eineausführliche Bewertung aller Leistungsaspekte ihres Arbeitszeugnisses. Kommentiert werden auch alle inhaltlichen und stilistischen Fehler und Aspekte, die sich hinderlich auf den weiteren beruflichen Werdegang auswirken können.
+++

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
(c) privat

Thomas Redekop

Thomas Redekop ist Geschäftsführer der Personalmanagement Service GmbH und bietet unter anderem über Portale wie arbeitszeug­nis.de und arbeitszeugnis.com Zeugnisdienstleistungen für Unternehmen und Arbeitnehmer aller Branchen an.

Weitere Artikel